Originalveröffentlichung am 24.04.2023 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases
Zusammenfassung: Protocluster bestätigt, 650 Millionen Jahre nach dem Urknall
Wie sind wir hierhergekommen? Diese fundamentale Frage kann auf ihrer größten Abmessung, der Kosmologie, gestellt werden, die die Geschichte und den Ursprung des Universums erforscht. Mit NASA’s James-Webb-Weltraumteleskop können Astronomen das frühe Universum und seine Entwicklung wie nie zuvor erforschen, einschließlich der ersten Galaxien.
Die neuesten Erkenntnisse des leistungsstarken Teleskops sind die ersten, die spektroskopisch die Entfernungen für einen jungen Protocluster von Galaxien nur 650 Millionen Jahre nach dem Urknall bestätigen. Die Astronomen gehen davon aus, daß der Protocluster das früheste Stadium dessen darstellt, was sich zu einer massiven Ansammlung wie dem Coma-Cluster entwickeln wird, der Tausende von gravitativ gebundenen Mitgliedsgalaxien umfaßt.
Jeder Riese war einmal ein Baby, auch wenn man sie in diesem Stadium ihrer Entwicklung vielleicht noch nie gesehen hat. NASA’s James-Webb-Weltraumteleskop hat damit begonnen, Licht auf prägende Jahre in der Geschichte des Universums zu werfen, die bisher unerreichbar waren: die Entstehung und den Aufbau von Galaxien. Zum ersten Mal wurde ein Proto-cluster aus sieben Galaxien in einer Entfernung bestätigt, bei der Astronomen über eine Rotverschiebung von 7,9 sprechen, also nur 650 Millionen Jahre nach dem Urknall.
Anhand der gesammelten Daten berechneten die Astronomen die künftige Entwicklung des entstehenden Clusters und kamen zu dem Ergebnis, daß er wahrscheinlich an Größe und Masse zunehmen und dem Coma-Haufen, einem Monster des modernen Universums, ähneln wird.
“Dies ist ein ganz besonderer, einzigartiger Ort beschleunigter Galaxienentwicklung, und Webb gab uns die beispiellose Möglichkeit, die Geschwindigkeiten dieser sieben Galaxien zu messen und mit Sicherheit zu bestätigen, daß sie zu einem Protocluster verbunden sind”, sagte Takahiro Morishita vom IPAC-California Institute of Technology, der Hauptautor der im Astrophysical Journal Letters veröffentlichten Studie.
Die präzisen Messungen des Nahinfrarot-Spektrographen (NIRSpec) von Webb waren der Schlüssel zur Bestätigung der gemeinsamen Entfernung der Galaxien und der hohen Geschwindigkeiten, mit denen sie sich innerhalb eines Halos aus Dunkler Materie bewegen – etwa eintausend Kilometer pro Sekunde.
Die Spektraldaten erlaubten den Astronomen die künftige Entwicklung des Clusters bis hin zu unserer Zeit im modernen Universum zu modellieren und zu kartieren. Die Vorhersage, daß der Protocluster schließlich dem Coma-Cluster ähneln wird, bedeutet, daß er schließlich zu den dichtesten bekannten Galaxiensammlungen mit Tausenden von Mitgliedern gehören könnte.
“Wir können diese fernen Galaxien wie kleine Wassertropfen in verschiedenen Flüssen sehen, und wir können erkennen, daß sie schließlich alle Teil eines großen, mächtigen Flusses werden”, sagte Benedetta Vulcani vom Nationalen Institut für Astrophysik in Italien und ein weiteres Mitglied des Forschungsteams.
Galaxiencluster sind die größten Massekonzentrationen im bekannten Universum, die das Gefüge der Raumzeit selbst dramatisch verzerren können. Diese Verformung, Gravitationslinseneffekt genannt, kann einen Vergrößerungseffekt für Objekte hinter dem Cluster haben, so daß Astronomen durch den Cluster wie durch eine riesige Lupe schauen können. Das Forschungsteam konnte sich diesen Effekt zunutze machen und durch den Pandora-Cluster hindurch auf den Protocluster blicken; selbst die leistungsstarken Instrumente von Webb brauchen die Hilfe der Natur, um so weit zu sehen.
Die Erforschung der Entstehung großer Cluster wie Pandora und Coma war bisher schwierig, da die Expansion des Universums das Licht über die sichtbaren Wellenlängen hinaus in den Infrarotbereich ausdehnt, wo den Astronomen vor Webb keine hochauflösenden Daten zur Verfügung standen. Die Infrarot-Instrumente von Webb wurden speziell entwickelt, um diese Lücken am Anfang der Geschichte des Universums zu schließen.
Die sieben von Webb bestätigten Galaxien wurden zunächst anhand von Daten aus dem Frontier-Fields-Programm des Hubble-Weltraumteleskops als Kandidaten für die Beobachtung ermittelt. Dieses Programm widmete Hubble Zeit für Beobachtungen mit Hilfe von Gravitationslinsen, um sehr weit entfernte Galaxien im Detail zu beobachten. Da Hubble jedoch kein Licht jenseits des nahen Infrarots erkennen kann, gibt es nicht besonders viele Einzelheiten, die Hubble sehen kann. Webb nahm die Untersuchung auf und konzentrierte sich auf die Galaxien, die Hubble aufgespürt hatte, sammelte Bilder und zusätzlich detaillierte spektroskopische Daten.
Das Forschungsteam erwartet, daß die künftige Zusammenarbeit zwischen Webb und dem NASA-Weltraumteleskop Nancy Grace Roman, einer hochauflösenden, weiträumigen Durchmusterungsmission, noch mehr Ergebnisse zu frühen Galaxienclustern liefern wird. Mit dem 200-fachen des Hubble-Infrarot-Sichtfeldes in einer einzigen Aufnahme wird Roman in der Lage sein, mehr Kandidaten für Protocluster-Galaxien zu identifizieren, die Webb dann mit seinen spektroskopi-schen Instrumenten weiterverfolgen und bestätigen kann. Der Start der Roman-Mission ist derzeit für Mai 2027 geplant.
“Es ist erstaunlich, von welchen wissenschaftlichen Arbeiten wir jetzt, da wir Webb haben, träumen können”, sagte Tommaso Treu von der University of California, Los Angeles, ein Mitglied des Protocluster-Forschungsteams. “Bei diesem kleinen Protocluster von sieben Galaxien in solch großer Entfernung hatten wir eine hundertprozentige spektroskopische Bestätigungsrate, was das zukünftige Potenzial für die Kartierung Dunkler Materie und die Vervollständigung der Zeitlinie der frühen Entwicklung des Universums zeigt.”
Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisa-tion).
Galaxien-Protocluster (NIRCam Ansicht)
- Fast Facts
- Objekt
- Objektname(n): Pandora’s Cluster, Abell 2744
- Objektbeschreibung: Galaxiencluster und Gravitationslinse
- Rektaszension: 00:14:18.25
- Deklination: -30:22:46.04
- Sternbild: Sculptor
- Entfernung: 3,5 Milliarden Lichtjahre zum Hauptcluster
- Daten
- Instrument: NIRCam
- Filter: F115W, F150W, F200W, F277W, F356W, F444W
- Bild
- Farbinformation: Diese Bilder sind ein Komposit aus Einzelbelichtungen, die vom James-Webb-Weltraumteleskop mit dem NIRCam-Instrument aufgenommen wurden. Es wurden mehrere Filter verwendet, um bestimmte Wellenlängen-bereiche zu erfassen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuweisung verschiedener Farbtöne (Farben) zu jedem mono-chromatischen (Graustufen-)Bild, das einem einzelnen Filter zugeordnet ist. In diesem Fall sind die zugewiesenen Farben:
- Blau: F115W+F150W Grün: F200W+F277W Rot: F356W+F444W
Über das Bild: Die sieben Galaxien, die in diesem Bild des James-Webb-Weltraumteleskops hervorgehoben sind, befinden sich nachweislich in einer Entfernung, die Astronomen als Rotverschiebung 7,9 bezeichnen, was 650 Millionen Jahre nach dem Urknall entspricht. Damit sind sie die frühesten Galaxien, die bisher spektroskopisch als Teil eines sich entwickelnden Clusters bestätigt wurden.
Die Astronomen nutzten den Nahinfrarot-Spektrographen (NIRSpec) des Teleskops, um die Entfernungen genau zu messen und festzustellen, daß die Galaxien Teil eines sich entwickelnden Clusters sind. Die Galaxie YD4, die zuvor allein auf der Grundlage von Bilddaten als weiter entfernt eingeschätzt wurde, konnte, jetzt genauer, der gleichen Rotverschie-bung wie die anderen Galaxien zugeordnet werden. Vor Webb verfügten die Astronomen nicht über hochauflösende Bildgebungs- oder spektrale Infrarotdaten, um diese Art von Wissenschaft zu betreiben.
Bei extremen Entfernungen verwenden Astronomen den Begriff der Rotverschiebung, um der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Wellenlängen des Lichts bei der Ausdehnung des Universums gestreckt und zu rötlicheren Wellenlängen “verschoben” werden, die länger sind. Kürzere Wellenlängen, z. B. im Ultraviolett- und Röntgenbereich, liegen am blauen Ende des elektromagnetischen Spektrums. Die extremen Entfernungen im frühen Universum lassen sich also daran ab-lesen, wie sehr das dort ausgesandte Licht auf seiner Reise durch den Raum verschoben wurde, um von einem Teleskop erfaßt zu werden.
Galaxien-Protocluster (NIRCam Kompass-Ansicht)
- Fast Facts
- Objekt
- Objektname(n): Pandora’s Cluster, Abell 2744
- Objektbeschreibung: Galaxiencluster und Gravitationslinse
- Rektaszension: 00:14:18.25
- Deklination: -30:22:46.04
- Sternbild: Sculptor
- Entfernung: 3,5 Milliarden Lichtjahre zum Hauptcluster
- Daten
- Instrument: NIRCam
- Filter: F115W, F150W, F200W, F277W, F356W, F444W
- Bild
- Farbinformation: Diese Bilder sind ein Komposit aus Einzelbelichtungen, die vom James-Webb-Weltraumteleskop mit dem NIRCam-Instrument aufgenommen wurden. Es wurden mehrere Filter verwendet, um bestimmte Wellenlängen-bereiche zu erfassen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuweisung verschiedener Farbtöne (Farben) zu jedem mono-chromatischen (Graustufen-)Bild, das einem einzelnen Filter zugeordnet ist. In diesem Fall sind die zugewiesenen Farben:
- Blau: F115W+F150W Grün: F200W+F277W Rot: F356W+F444W
Über das Bild: Bild eines weit entfernten Galaxienprotoclusters im frühen Universum, aufgenommen von der Nahinfrarot-kamera (NIRCam) mit NASA’s James-Webb-Weltraumteleskop, mit Kompasspfeilen, Maßstabsleiste und Farbschlüssel als Referenz.
Die Kompasspfeile nach Norden und Osten zeigen die Ausrichtung des Bildes am Himmel an. Beachten Sie, daß die Beziehung zwischen Norden und Osten am Himmel (von unten gesehen) im Vergleich zu den Richtungspfeilen auf einer Karte des Bodens (von oben gesehen) umgekehrt ist.
Der Skalenbalken ist in Bogensekunden angegeben, welches ein Maß für die Winkelentfernung am Himmel ist. Eine Bogensekunde entspricht 1/3600 eines Bogengrads. (Der Vollmond hat einen Winkeldurchmesser von etwa 0,5 Grad.) Die tatsächliche Größe eines Objekts, das eine Bogensekunde am Himmel bedeckt, hängt von seiner Entfernung zum Teleskop ab.
Der Farbschlüssel zeigt die verwendeten NIRCam-Filter. Die Farbe jedes Filternamens ist die Farbe des sichtbaren Lichts, die verwendet wird, um das infrarote Licht darzustellen, das durch diesen Filter gelaufen ist.