Woher könnten Binärsysteme aus Schwarzen Löchern mit sehr unterschiedlichen Massen kommen?

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Ein Schaubild zeigt zwei Pfade (jeder verlangt zuvor zwei Verschmelzungsereignisse von Paaren Schwarzer Löcher), um ein Schwarzes Loch von ungefähr 30 Sonnenmassen zu erhalten, ähnlich dem, das kürzlich bei der Verschmelzung eines Paares Schwarzer Löcher mit Gravitationswellen entdeckt wurde. Astronomen, die versuchen zu erklären, auf welche Weise das massereiche, sich drehende Schwarze Loch in dem Paar geformt wurde, kommen zu dem Schluß, daß in dichten Sternhaufen ein Drei-Stufen-Prozeß der wahrscheinlichste Pfad ist.
Rodriguez et al., 2020

Die direkte Messung von Gravitationswellen während der vergangenen fünf Jahre bei zumindest elf Quellen hat eine eindrucksvolle Bestätigung von Einsteins Modell der Schwerkraft und der Raumzeit geliefert, wohingegen die Modellierung dieser Ereignisse Informationen über Sternentstehung, Gammastrahlenausbrüche, Neutronensterne, das Alter des Universums und selbst die Überprüfung von Vorstellungen darüber geliefert hat, wie sehr schwere Elemente gebildet werden. Der Großteil dieser Gravitationswellenereignisse kommt von der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher mit vergleichbaren Massen in einem sich umkreisenden Paar. Bei Modellen zur Bildung binärer Schwarzer Löcher werden Paare mit nahezu gleich großen Massen stark bevorzugt, ob sie nun die Folge aus der Entwicklung einzelner Doppelsternsysteme oder aus der dynamischen Paarbildung zweier Schwarzer Löcher sind. Die Gravitationswellenobservatorien LIGO und Virgo meldeten in diesem Jahr jedoch die erste Entdeckung eines Paares Schwarzer Löcher mit stark voneinander abweichender Masse. Deren geschätzten Massen in dem Ereignis GW 190412 betragen circa 30 bzw. 8 Sonnenmassen. Die Frage ist nun, wie sie entstanden sind?

CfA-Astronom Carl Rodriguez leitete ein Kollegen-Team bei einer theoretischen Untersuchung darüber, wie sich solch ein Doppelsystem ungleicher Masse bilden könnte. Die nächstliegende Lösung ist ein Blick auf einen dichten Sternhaufen, in dem sich Paare einander umkreisender Schwarzer Löcher mit niedrigem Eigendrehimpuls und vergleichbarer Masse auf natürlichem Weg bilden können, teilweise deshalb, weil sowohl massereiche Schwarze Löcher als auch Sterne dazu tendieren, in das Zentrum des Haufens zu sinken und leichter einander begegnen können. Aber auch dort sind diese Begegnungen unwahrscheinlich, um ein Paar mit ungleicher Masse zu bilden. Der Eigendrehimpuls jedes Schwarzen Lochs ist ein weiterer erschwerender Faktor. Der Eigendrehimpuls hat einen Wert zwischen 0 und 1. Wenn jedes der verschmelzenden Schwarzen Löcher einen, wie zu erwarten ist, niedrigen Wert für den Eigendrehimpuls besitzt, dann wird ihre Verschmelzung normalerweise ein massereicheres Schwarzes Loch mit einem großen Eigendrehimpuls, vielleicht in der Nähe von 0.7, bilden, doch ist der zu ungefähr 0.43 abgeleitete Wert für den Eigendrehimpuls des massereichen Schwarzen Lochs in GW 190412 gut bestimmt, ein Hinweis darauf, daß es nicht aus solch einer einfachen Verschmelzung herrührt.

Die Astronomen kommen zu dem Schluß, daß der wahrscheinlichste Weg für die Bildung dieses unwahrscheinlichen Paares zwei frühere Verschmelzungen von Paaren Schwarzer Löcher im Haufen gewesen sein könnte, ein Prozeß, der im Endergebnis in einem Schwarzen Loch mit dem richtig gefolgerten Eigendrehimpuls enden kann. Zuerst verschmelzen zwei Schwarze Löcher in jeweils einem Paar; jedes dieser Paare besteht aus Schwarzen Löchern mit vergleichbar mäßigen Massen und jedes Paar bringt ein massereicheres Schwarzes Loch hervor. Im nächsten Schritt bilden diese beiden neu entstandenen Schwarzen Löcher selbst ein Paar, verschmelzen dann und bilden das moderat rotierende Schwarze Loch von circa 30 Sonnenmassen. Dann bildet dieses Schwarze Loch mit einem Schwarzen Loch niedriger Masse ein Paar, dessen Verschmelzung das Ereignis bildete, das als GW 190412 zu beobachten war. (Ähnliche mehrstufige Varianten sind ebenfalls möglich.) Obwohl eine Abfolge solcher Ereignisse selten ist, zeigen die Wissenschaftler, daß bekannte Sternhaufen das richtige Umfeld bieten könnten, damit sich so etwas ereignet. Das neue Ergebnis und Auswertungen der bisherigen Gravitationswellenentdeckungen haben unsere Sicht auf den Reichtum im Kosmos erweitert, obwohl an grundlegenden Annahmen festgehalten wird. Eine dieser Annahmen ist, daß ein Schwarzes Loch normalerweise durch den Kollaps eines Sterns mit niedrigem Eigendrehimpuls entsteht. Zukünftige Arbeiten werden zeigen, ob ein drei-stufiger Verschmelzungsprozeß notwendig ist, um Ereignisse wie GW 190412 zu erklären, oder ob Vermutungen wie diese über den Eigendrehimpuls vielmehr in Frage gestellt werden müssen.

Literatur:

„GW190412 as a Third-generation Black Hole Merger from a Super Star Cluster“

Carl L. Rodriguez, Kyle Kremer, Michael Y. Grudić, Zachary Hafen, Sourav Chatterjee, Giacomo Fragione, Astrid Lamberts, Miguel A.S. Martinez, Frederic A. Rasio, Newlin Weatherford , and Claire S. Ye

The Astrophysical Journal Letters 896, L10, 2020

oder

arXiv:2005.04239v2 [astro-ph.HE] 27 May 2020