Dr. Ilka Petermann
Wer es sich zur Adventszeit gemütlich machen will, denkt vermutlich nicht zuerst an die kalten Weiten des Weltalls. Und tatsächlich lässt die Temperatur mit -270 °C, also rund drei Grad über dem absoluten Nullpunkt, auch etwas zu wünschen übrig und auch die Distanzen laden nicht gerade zum entspannten Bummeln ein. Doch ganz so leer wie man denkt, ist das Universum – zumindest an manchen Stellen – dann doch nicht und manchmal lässt sich sogar ein gutes ‘Tröpfchen’ finden…
Molekülwolken (Abb.1) sind ausgedehnte interstellare Gaswolken, deren Temperatur und Dichte die Bildung von Molekülen (mehratomigen, durch chemische Bindungen zusammengehaltene Teilchen) erlaubt. Hauptbestandteil ist Wasserstoff, entsprechend der Häufigkeitsverteilung der Elemente, gewürzt mit einer Prise schwererer Elemente wie etwa Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff. Wer die gehaltvollen Wolken beobachten möchte, sieht sich dabei kosmischen Unterschieden wie Tag und Nacht (und einem grauen Nachmittag…) ausgesetzt.
In besonders kalten und dichten Gebieten von Molekülwolken, den sogenannten ‘Kernen’, sorgt die Gravitation dafür, dass sich jene Bereiche unter Einfluss ihrer Schwerkraft weiter zusammenziehen, verdichten und schließlich kollabieren. Immer mehr Gas aus der Umgebung folgt dem Beispiel und stürzt auf den stetig wachsenden Kern. Dieser wird so nicht nur massereicher, sondern auch zunehmend dichter und heißer – bis sich ein hydrostatisches Gleichgewicht* im Zentrum ausbilden kann. Der Kollaps stoppt und der erste Schritt zur Entstehung eines neuen Sterns ist vollbracht! Nach dieser rund 10.000 Jahre dauernden Phase kann man den Stern zwar noch nicht als neuen Glanzpunkt beobachten – im nun folgenden Verlauf wird der (oder besser ‘die’ – ein Stern entsteht in einer kollabierenden Gaswolke selten allein) Stern seine Molekülwolke zu einem spektakulär leuchtenden Objekt werden lassen.
Ein bekanntes Beispiel ist der Orionnebel (Abb.2), Teil der interstellaren Molekülwolke ‘OMC-1’, und eines der aktivsten Sternentstehungsgebiete unserer kosmischen Nachbarschaft. Die intensive UV-Strahlung der jungen Sterne ionisiert die Atome des Nebels und lässt ihn so im sichtbaren Bereich leuchten. Die Zusammensetzung bestimmt dabei die Farben des Emissionsnebels: Wasserstoff steuert etwa ein kräftiges Rot bei, ionisierter Sauerstoff ein feines ‘erbsengrün’ (wie es der britische Astronom William Lassell um 1850 beschrieb). Andere bekannte Sternentstehungsgebiete sind der ‘Tarantelnebel’ in der Großen Magellanschen Wolke, der schon in kleinen Fernrohren leicht zu entdecken ist, oder der Carinanebel, der unter den ersten fünf Bildern des James-Webb-Weltraumteleskops war, die der Öffentlichkeit 2022 vorgestellt wurden.
‘Das ist doch alles Blendwerk!’, ruft Barnard (68) (Abb.3a) an dieser Stelle dazwischen – er fühlte sich wohl nicht recht gesehen. Und doch ist es gerade das, was seinen Anblick so bemerkenswert macht.
Manche Molekülwolken, die neben dem üblichen molekularen Wasserstoff auch noch große Mengen an interstellarem Staub enthalten, sind so dicht, dass sie das Licht von Hintergrundsternen oder leuchtenden Nebeln (fast) vollständig absorbieren. Von William Herschel ist etwa überliefert, dass er nach der Beobachtung einer solchen ‘Dunkelwolke’ völlig überrascht ausrief, er habe ‘wahrhaftig ein Loch im Himmel’ gefunden!
Womit er übrigens dann fast doch recht hatte: nach dem Wissen um Dunkelwolken waren sich Astronomen einig, dass sein Beobachtungsziel, der ‘Schlüsselloch-Nebel’ NGC 1999 (Abb.3b), eine ebensolche enthielt. Daten des Infrarot-Teleskops Herschel (!) von 2010 widersprachen dem jedoch, da sich typische Dunkelwolken-Strahlungsmuster in dem Objekt nicht nachweisen ließen. Ein ‘Loch’ ist’s damit zwar immer noch nicht – aber vermutlich eine Aushöhlung in einem sonst recht strahlenden Reflexionsnebel.
Echte Dunkelwolken sind jedoch heute zahlreich und gesichert katalogisiert. Die Dunkelwolke Barnard 68 etwa, eine sehr kalte Molekülwolke (-264 °C) mit einer Gesamtmasse von rund zwei Sonnenmassen bei einer Ausdehnung von einem halben Lichtjahr, die der Astronom Edward Emerson Barnard 1919 in seinen ‘Katalog von Dunkelnebeln’ aufnahm. Auch der ‘Kohlensack’, mitten in der südlichen Milchstraße, beim Sternbild ‘Kreuz des Südens’ gelegen, macht seinem Namen alle Ehre. Und natürlich der berühmte ‘Pferdekopfnebel’ (Abb.4) im Sternbild Orion, dessen Silhouette sich spektakulär vor dem rot leuchtenden Emissionsnebel IC 434 im Hintergrund abhebt.
Und zwischen Licht und Schatten – da liegen die ausgedehnten, kalten Gebiete, die sich so ausgesprochen ‘bedeckt’ geben. Der Grund ist, dass molekularer Wasserstoff als Hauptbestandteil jeder Molekülwolke zwar reichlich vorhanden ist, aber sehr schwierig durch Beobachtungen im Infrarot- oder Radiobereich zu beobachten ist (sichtbar strahlt er gar nicht). Um Molekülwolken zu vermessen, bedient man sich daher oft eines einfacher zu detektierenden Moleküls wie Kohlen-monoxid, von dem man ausgeht, dass es sich in stets gleichem Verhältnis zum Wasserstoff gleichmäßig in der Wolke verteilt hat.
Mit immer präziseren Teleskopen und Analysewerkzeugen wurde es dann auch möglich, die ‘Zutatenliste’ der Molekül-wolken noch genauer zu untersuchen. Dabei stellte sich schnell heraus: es mag in den Wolken zwar mehr als nur winterlich kalt sein, die Dichte ist mit einigen 100 Teilchen pro Kubikzentimetern im irdischen Vergleich kaum der Rede wert (bei Atmosphärendruck: 2,7×1019 Teilchen/cm3) und die kosmische oder UV-Strahlung hat an manchen Stellen dazu noch ausgesprochen zerstörerische Energien – doch sind die Strukturen ausgesprochen gut ‘gewürzt’.
So sorgte etwa die sehr dichte Riesenmolekülwolke ‘Sagittarius B2’ (Abb.5), rund 390 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt und mit einer Gesamtmasse von mehr als 3 Millionen Sonnenmassen, für eine schöne chemische Bescherung: Astronomen fanden die Alkohole Ethanol (prost!) und Methanol (bloss nicht!), genauso wie sehr komplexe Moleküle wie Ameisensäureethylester (Rum-Himbeergeruch und Komponente für Aminosäuren!), Essigsäure oder Ethanthiol (das so übel riecht, dass es ins Guinness Buch der Rekorde aufgenommen wurde und als Odorierungsmittel bei Flüssiggas für Ekel und Sicherheit sorgt) in der Wolke – was einem besonders ‘reichhaltigen’ Abschnitt so auch den wohl-verdienten Beinamen ‘Heimat der großen Moleküle’ einbrachte.
In der Taurus-Molekülwolke ließ sich dann das bittermandelartig riechende Benzonitril und etwas Aceton (Nagellack) nachweisen, und auch ein wenig Acetaldehyd, ein Alkoholabbauprodukt, das maßgeblich für den ‘Kater’ verantwortlich ist. Bekanntlich hilft gegen letzteren ja ein großes Glas Wasser – und auch das findet sich im Weltall reichlich: So enthält etwa die Gaswolke Lynds 1544 im Sternbild Stier Wasserdampf, der etwa das Volumen von 2.000 Ozeanen auf der Erde ausfüllen würde!
Und da wird es dann etwas schwierig, denn auf einen erfrischenden Schluck Lynds-1544-Wasser müssen wir wohl auf absehbare Zeit verzichten: die Wolke ist ganze 450 Lichtjahre von der Erde entfernt und die Moleküldichte auch hier kaum ausreichend, um mal schnell ein Fläschchen abzufüllen. Dann also doch lieber Glühwein oder Punsch auf dem dicht gepackten Weihnachtsmarkt – und eine schöne, friedliche Adventszeit!
* hydrostatisches Gleichgewicht: In diesem Zustand ist die nach innen gerichtete Schwerkraft der Summe der nach außen gerichteten Kräfte aus Fliehkraft + Gasdruck + Strahlungsdruck gleich