Riesige Galaxien mit niedriger Oberflächenhelligkeit

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://pweb.cfa.harvard.edu/news)

Die riesige Galaxie niedriger Oberflächenhelligkeit Malin 1, aufgenommen mit der MegaCam am 6.5 m Magellan/Clay-Teleskop. Astronomen, die darüber nachdenken, wie sich solch riesige Systeme bilden, haben eine neue Untersuchung abgeschlossen, die bestätigt, daß verschiedene, vorgeschlagene Wege wahrscheinlich sind.
Gaspar Galaz et al 2015 ApJ 815 L29

Vor vierzig Jahren entdeckten Astronomen mit einer empfindlichen, neuen Abbildungstechnik eine Klasse von großen, lichtschwachen Galaxien, die sie als Galaxien mit niedriger Oberflächen-helligkeit bezeichneten. Riesige Galaxien mit niedriger Oberflächenhelligkeit (engl.: giant low surface brightness galaxies = gLSBGs) bilden eine Untergruppe, deren Massen mit der Masse der Milchstraße vergleichbar sind, deren Radien aber zehnmal, so viel wie vierhunderttausend Lichtjahre, größer sind. Diese gLSBGs bringen für die Astronomen ein Problem mit sich: trotz großer Masse sind die Galaxienscheiben (kinematisch gesprochen) verhältnismäßig inaktiv. Das gewöhnliche Entstehungsmuster für Galaxien hoher Masse nimmt an, daß sie sich aus Galaxienverschmelzungen formen, einem Vorgang, der die Scheibe aufwirbelt und sie kinematisch aktiv werden lassen sollte. Zudem findet man in der Umgebung der meisten gLSBGs keine anderen Galaxien, ein Hinweis darauf, daß Kollisionen bei ihrer Bildung vermutlich nicht von Bedeutung waren.

Die Frage, wie sich gLSBGs bilden, ist Gegenstand aktiver Diskussionen. Zwei populäre Modelle sind vorgeschlagen worden. Im ersten Modell, dem Szenario ohne Katastrophe, führt langsame Gasakkretion auf die Galaxie zu ihrem Wachstum. Im alternativen Modell, dem Katastrophenszenario, trat in der Vergangenheit ein Verschmelzungsereignis auf; der größte Vorteil dieses Modells ist, daß es in den gegenwärtigen Rahmen der Galaxienbildung paßt. CfA-Astronom Igor Chilingarian und seine Kollegen haben sensible optische Beobachtungen von sieben gLSBGs abgeschlossen; sie haben über den gesamten Durchmesser dieser lichtschwachen, riesigen Systeme Spektren aufgenommen und ihre Ergebnisse mit archivierten optischen und Radiomessungen der atomaren Wasserstoffstrahlung kombiniert. Ihre neue Arbeit ist die jüngste in einer Reihe von Ergebnissen über gLSBGs.

Die Astronomen nutzten den großen Datensatz, um diese beiden Szenarien zu testen; sie zogen auch eine dritte Möglichkeit in Betracht, bei der sich die Galaxien innerhalb eines ungewöhnlich flachen Halos aus Dunkler Materie und dessen gravitativen Einflusses bildeten. (Man vermutet, daß alle Galaxien einen Halo aus Dunkler Materie besitzen; der Halo der Milchstraße enthält zehnmal mehr Masse als an Sternen vorhanden ist.) Die Gruppe folgert, daß alle drei Szenarien am Werk zu sein scheinen, aber in verschiedenen Situationen. Für den größten Teil ihrer Probe war der wahrscheinlichste Prozeß die Entstehung durch Wachstum über allmähliche Akkretion nach der ursprünglichen Galaxienbildung. Für verbleibende gLSBGs erklärte das vorrangige Verschmelzungsszenario die Beobachtungen besser, auch wenn sie in wenigen Fällen feststellten, daß ein spärlicher Halo aus Dunkler Materie ebenfalls eine Rolle spielen könnte. Die Forscher entdeckten zudem, daß zumindest sechs ihrer sieben gLSBGs aktive galaktische Kerne (AGN) beheimaten, jedoch sind ihre supermassereichen Schwarzen Löcher viel masseärmer als solche in normalen Galaxien von ähnlicher Masse; dies besagt, daß Verschmelzungen, selbst wenn sie bei der Bildung von gLSBGs beteiligt waren, vergleichsweise sanft abgelaufen sein müssen.

Literatur:

„Observational Insights on the Origin of Giant Low Surface Brightness Galaxies“

Anna S. Saburova, Igor V. Chilingarian, Anastasia V. Kasparova, Olga K. Sil’chenko, Kirill A. Grishin, Ivan Yu. Katkov and Roman I. Uklein

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 503, 830, 2021

oder

arXiv:2011.01238v2 [astro-ph.GA] 4 Mar 2021