Mikrowellen und ein Ei

Dr. Ilka Petermann – Arizona State University, Tempe/USA
Wer sich bei der Hintergrundmusik im Fahrstuhl an Vogeldreck auf Satellitenschüsseln erinnert fühlt, für den könnte selbst die langweilige Fahrt mit dem Aufzug recht kurzweilig werden: Denn während ersteres wahrscheinlich schon nach wenigen Sekunden der Vergessenheit anheim fällt, führte die Vermutung von letzterem zu einer der wichtigsten Entdeckungen der Kosmologie: der kosmischen Hintergrundstrahlung (Abb.1). Das älteste Licht lässt uns tief in die Anfänge des Universums blicken und war der Beweis für eine Idee, die einst als ‚Big Bang‘ die Gleichgewichtstheorie kippen ließ.

Abb.1: Die detailgetreuste Aufnahme der Kosmischen Hintergrundstrahlung © ESA and the Planck Collaboration


 
Ob zuerst das Huhn oder das Ei da war, beschäftigt Wissenschaftler, Philosophen und vielleicht auch hungrige Gourmets seit geraumer Zeit. In der Kosmologie, der Lehre von Struktur und Eigenschaften des Universums, die sonst nicht gerade für simple Ideen und greifbare Theorien bekannt ist, liegt die Situation dagegen anders: erst kam das ‚kosmische Ei‘, dann schlüpfte das Weltall in einem großem ‚Knall‘. Und die Photonen, die 400.000 Jahre nach dem Ereignis ihre Freiheit gewannen, die spüren wir heute als Mikrowellen auf: gleichmäßig, gleichförmig und ganz schön kalt.
Doch von vorne. Ganz von vorne: Heutzutage nehmen wir an, dass vor 13.8 Milliarden Jahren Raum, Zeit und Materie in einem Urknall entstanden sind. Dabei knallte es nicht in einem schon vorhandenen ‚Raum‘, sondern aus einem extrem dicht gepackten Anfang ‚faltete‘ sich ein ganzes, stetig expandierendes Universum auf. Das ist ein bisschen so, wie wenn bei unserem extrem dicht gepackten Handgepäck (aber das Flugticket war günstig) der Reißverschluss versagt und in einem ‚Bang!‘ der Inhalt weit verstreut wird. Wer gute Nerven hat, könnte aus der weiterrollenden (Kosmologie: expandierenden) Socken-/ Badehosen-/ Kaugummikugeln-Verteilung (Kosmologie: Strahlung, Materie) zurückrechnen, dass der Ausgangspunkt des Desasters (Kosmologie: Weltall) sehr, sehr dicht gewesen sein muss.
Zu Beginn war das Universum extrem heiß, doch infolge der Expansion kühlte es immer weiter ab, sodass Temperatur und Dichte soweit absanken, dass bei 3000 Kelvin Elektronen und Protonen neutralen Wasserstoff bilden konnten. Vorher im thermischen Gleichgewicht, entkoppelten Materie und Strahlung, da die Photonen nun nicht mehr über die Thomson-Streuung (Streuung von Photonen ohne Änderung der Energie) mit der Materie wechselwirken konnten: das Weltall wurde ‚durchsichtig‘. Die Strahlung aus dieser Zeit, knapp 400.000 Jahre nach dem Urknall, ist es, die heute nachgewiesen werden kann.
Der Doppler Effekt beschreibt (Abb. 2), wie sich die Wellenlänge eines Signals ändert, wenn sich Sender und Empfänger relativ zueinander bewegen: aufeinander zu oder voneinander weg. Wenn man zum Beispiel bei der Oma vom Telefon mit dem Hörer in der Hand wegläuft, werden die Schlaufen der gedrehten Telefonschnur (ja, die gab’s mal) weit auseinandergezogen (größere Wellenlänge oder ‚röter‘), beim Zurücklaufen dagegen gestaucht (kleinere Wellenlänge oder ‚blauer‘).

Abb.2: Der Doppler-Effekt beschreibt auch die Wellenlängenänderung von elektromagnetischen Signalen, wenn sich Sender und Empfänger relativ zueinander bewegen. Die kosmische Rotverschiebung geht ebenfalls auf den Doppler-Effekt zurück.


Dasselbe passiert auch mit dem Licht, das nach dem Urknalls erstrahlte und sich seitdem durch ein expandierendes Weltall bewegt: es wird rotverschoben. Die Dehnung der Raumzeit lässt uns die Photonen als kosmische Hintergrundstrahlung im Mikrowellenbereich sehen. Da die Photonen aus der Zeit vor der Rekombination in thermischem Gleichgewicht mit der Materie standen, zeigen sie das beinahe perfekte Intensitätsspektrum eines schwarzen Körpers (ein idealisierter Körper, der alle Strahlung absorbiert und nur thermische Strahlung aussendet, die von seiner Temperatur abhängt): Diese Temperatur beträgt heute frische 2.725 ± 0.002 Kelvin. Hinweis für ambitionierte Jäger und Sammler: in jedem Kubikzentimeter des Weltraumvakuums finden sich im Durchschnitt 400 dieser Hintergrundphotonen…
Georges Lemaitre (1894-1966, Abb.3), belgischer Theologe und Astrophysiker, publizierte 1927 in einer weniger bekannten belgischen Fachzeitschrift seine Ideen zur Expansion des Universums und der damit verbundenen beobachteten Rotverschiebung entfernter Galaxien. Der in Französisch verfasste Artikel wurde erst einige Jahre später ins Englische übertragen (‚A homogeneous universe of constant mass and increasing radius accounting for the radial velocity of extra-galactic nebulae‘) und auf internationalen Konferenzen diskutiert – stieß aber am Anfang auf wenig Gegenliebe. Lemaitres Theorie ging davon aus, dass das Universum aus einem ‚Ur-Atom‘ (‚un atome primitif‘) oder ‚kosmischen Ei‘ explodierte und sich seitdem fortlaufend ausdehnt. Von Kritikern wie Fred Hoyle wenig begeistert als ‚Big Bang‘ bezeichnet, war die Theorie aus den Reihen der Anhänger der Steady-State-Theorie zuerst großer Ablehnung ausgesetzt.
Die Steady-State- oder Gleichgewichts-Theorie, die in den 1940ern von den Physikern Fred Hoyle, Hermann Bondi und Thomas Gold vorgestellt wurde, beschreibt ein Universum, das wie eine Wohnung mit Butler ist. Ganz gleich, ob man eine Garage anbaut, den Garten vergrößert oder einfach nur beim Ostereierfärben in der Küche eine Schweinerei veranstaltet hat: am Ende sieht nicht nur wieder alles aus wie vorher, der gute Geist des Hauses hat sogar neue Gartenmöbel gekauft, damit der Garten nicht so leer ausschaut. Oder kosmologisch gesagt: das Universum expandiert zwar, aber da homogen im gesamten Weltraum stetig neue Materie entsteht, bleibt die Dichte der Materie gleich und das Weltall sieht stets gleich aus – zu jeder Zeit, an jedem Ort. Zweifel kamen auf, als man erkannte, dass sich Galaxien über kosmische Zeiträume sehr wohl verändern, Quasare etwa sind ausschließlich in weit entfernten Galaxien zu beobachten. Und auch die Eigenschaften der gleichförmigen kosmischen Hintergrundstrahlung können nicht mit Ansätzen der Gleichgewichts-Theorie, wie etwa gestreutem Sternenlicht, erklärt werden.
Lemaitres explosives Ei bot hier eine elegante Lösung, die von Edwin Hubble beobachtete Expansion des Universums zu erklären, die Ursache der kosmischen Hintergrundstrahlung aufzuzeigen und auch andere Aspekte, wie die Häufigkeit der Elemente zu verstehen. Auch die Bildung von Strukturen im Universum passte in das von ihm vorgezeichnete Bild. Seit den 1960ern gilt die Urknalltheorie daher als vorherrschende Theorie zur Beschreibung von Ursprung und Entwicklung des Universums.
Diese Entwicklung hätte den englischen Philosophen und Theologen Robert Grosseteste (1175-1253, Abb.3) vielleicht zu einem ‚like‘ mit ‚Daumen hoch‘ (bzw. das mittelalterliche Pendant) veranlasst – gilt seine bemerkenswerte Schrift ‚De Luce‘ doch als wahrscheinlich ältestes Dokument, das die Kosmogonie oder Weltzeugung als eine ‚Explosion aus Licht‘ und mit mathematischen schlüssigen Regeln zu beschreiben sucht. Die Tatsache, dass die Erde dabei nicht im Mittelpunkt des Geschehens steht, müsste man bei einem Tässchen Tee durchsprechen…
Die erstmalige Beobachtung der kosmischen Hintergrundstrahlung gelang dann zwei Physikern und einem Zufall etwa dreißig Jahre später. Die Antenne, mit der die Entdeckung gelang, war nicht etwa eigens für diesen Zweck gebaut worden, sondern gehörte zum weltweit ersten passiven Kommunikations-Satelliten Experiment namens ‚Echo‘. In den 1960ern experimentierte die NASA mit Satelliten, welche die Fernübertragung von Daten möglich machen sollten. Dazu wurde ein metallüberzogener Satelliten-Ballon, der als passiver Reflektor von Mikrowellensignalen dienen sollte, auf einen 1600 km hohen Orbit gebracht. Einmal in Position, sollte ein Signal von einem Punkt auf der Erde abgesendet, am ‚Echo‘-Satelliten reflektiert und an weit entfernter Stelle detektiert werden. Da das reflektierte Signal sehr schwach war, musste die Antenne entsprechend empfindlich sein – eine Voraussetzung, welche eine ‚Hornstrahler-Antenne‘ hervorragend erfüllte. Die Transmission von Signalen vom Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Kalifornien, zu den Bell Laboratories in Holmdel, an der Ostküste der USA in New Jersey gelegen, war 1960 dann auch entsprechend von Erfolg gekrönt.
Bei Testläufen der Holmdel-Antenne fiel den beiden Physikern Arno Penzias und Robert Woodrow Wilson (Abb.3) allerdings ein Rauschen auf, das sie sich nicht erklären konnten. Sie vermuteten Taubendreck als Auslöser für die Störgeräusche, doch eine gründliche Reinigung sprach die Tauben frei und ließ das Rauschen nicht verstummen. Ein Gespräch mit ihrem Kollegen Robert Dicke, der im nahe gelegenen Princeton arbeitete, ließ diesen folgern, dass die beiden die von George Gamow, Ralph Alpher und Robert Herman vorhergesagte Hintergrundstrahlung entdeckt hatten. Für ihre Entdeckung erhielten Penzias und Wilson 1978 den Nobelpreis für Physik.

Abb.3: Ließen es krachen: Georges Lemaitre (1894-1966), Robert Grosseteste (1175-1253), Arno Penzias (*1933) und Robert Wilson (*1936) Bildnachweis für Lemaitre / Grosseteste: Wikipedia Bildnachweis für Penzias und Wilson: Roger Ressmeyer/Corbis


 
Für eine genauere Untersuchung der Kosmischen Hintergrundstrahlung musste man in den folgenden Jahren dann aber die irdische Dunstglocke hinter sich lassen: die Erdatmosphäre ist für Radiofrequenzen nur teilweise durchlässig. Moleküle (wie z. B. das Sauerstoff-Molekül O2) rotieren oder vibrieren und absorbieren damit einfallende Radiostrahlung, Wasserdampf tut ein Übriges. Ein Ausweg fand sich, wie so oft in der Astronomie, in der Form von Weltraumteleskopen. Die erste Mission brachte den Satelliten ‚COBE‘, den Cosmic Background Explorer der NASA ins All, der von 1989-1993 Daten lieferte. Erstmalig wurde eine vollständige Karte der kosmischen Hintergrund-strahlung angefertigt, die als beinahe perfektes Spektrum eines Schwarzen Körpers mit einer Temperatur von 2.73 K mit feinsten Anisotropien beschrieben werden konnte. Die Ergebnisse bestätigten in beeindruckender Weise Voraussagen, die im Rahmen der Urknalltheorie gemacht wurden, und gelten als Ausgangspunkt für die Kosmologie als Präzisionswissenschaft. So formulierte es auch das Nobelpreiskomitee, das den US-Astrophysikern George Smoot und John Mather für ihre Arbeit und wissenschaftliche Leitung der COBE Mission 2006 die höchste Auszeichnung verlieh.
Doch die Wissenschaft wollte noch mehr. Beziehungsweise weniger: war die räumliche Auflösung und Präzisionsvermessung der Temperatur von COBE schon beeindruckend, sollte der Nachfolger WMAP eine um den Faktor 20 verbesserte Karte erstellen. Die US-Raumsonde ‚Wilkinson Microwave Anisotropy Probe‘, die von 2001-2010 Daten lieferte, konnte Temperaturunterschiede im Bereich von Millionstel Kelvin vermessen, erstellte eine neue Karte mit einer Auflösung von nur 0.2 Grad und lieferte eine Fülle weiterer Ergebnisse. WMAP bestätigte was schon COBE gezeigt hatte, nämlich dass die kosmische Hintergrundstrahlung so ebenmäßig wie ein schönes Omelett erscheint: Abweichungen liegen im Bereich 2.7 ± 0.00005 Kelvin. Dieses Ebenmass gilt als Bestätigung der Urknall-Hypothese, da eine solch gleichmäßige Verteilung darauf schließen lässt, dass alle Bereiche des Universums zu einem frühen Zeitpunkt verbunden waren und ein „Informationsaustausch“ stattfinden konnte, der das Universum ins Gleichgewicht brachte und dann durch eine starke, exponentielle Expansion auf die heutigen Ausmaße anwachsen ließ. Dass nämlich weit entfernte Gegenden des Universums durch andere Mechanismen ins Gleichgewicht gekommen sind – dazu ist das Universum zu groß und die lange Zeit, die solch eine Aktion bräuchte, ist nicht mit dem Alter des Universums (13.7 Milliarden Jahre) vereinbar.
Das wäre in etwa so, als wenn drei Astronomen gemeinsam Kuchen backen, diesen untereinander aufteilen und sich anschließend auf den Weg in ihre Heimatländer machten: einer nach Amerika, einer nach Australien und einer nach Deutschland. Geschmack, Fluffigkeit und Schokostückchen-Art ist in jedem Anteil (fast) genau gleich. Dass die drei rein zufällig in ihren drei Ecken der Welt dagegen absolut gleiche Kuchen gebacken haben ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern bräuchte auch so viel Zeit zur absolut präzisen Abstimmung, dass die Urenkel der drei Freunde in ferner Zukunft vermutlich immer noch diskutieren würden (oder deren künstlich-intelligente Haushaltsroboter, man weiss es ja nicht…).
Noch genauer hinschauen (Abb.4) konnte dann ‚Planck‘, das Weltraumteleskop der ESA, das von 2009 bis 2013 die Kosmische Hintergrundstrahlung in fünf kompletten Himmelsdurchmusterungen bei neun Frequenzen (WMAP: fünf) vermaß. ‚Planck‘ dokumentierte dabei auch eine leichte Asymmetrie bei der Durchschnittstemperatur, deren Ursache noch nicht abschließend geklärt ist. Möglich wären sowohl ein physikalischer Hintergrund oder Fluktuationen der Messgeräte (Taubendreck kann ausgeschlossen werden).
 

Abb.4: Verbesserte Auflösungen zur Lösung der Frage wie und wo denn alles begann: COBE, WMAP, Planck, die Mikrowellen-Satelliten von NASA und ESA (Quelle: Wikipedia)


 
Bei den feinen Anisotropien der Kosmischen Hintergrundstrahlung unterscheidet man zwischen primären und sekundären Anisotropien. Erstere sind ‚Fingerabdrücke‘ von Effekten, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Strahlung wirkten. Der Sachs-Wolfe Effekt etwa beschreibt den Einfluss, den Dichteschwankungen im frühen Universum auf die Ausbreitung von Photonen haben: Strahlung durchläuft Regionen unterschiedlicher Dichte und damit unterschiedlicher Gravitation. Auf ihrem Weg finden demnach Rot- oder Blauverschiebungen statt, die sich aber nicht alle gegenseitig aufheben, sodass Photonen auf der Erde immer auch ihren ‚Migrationshintergrund‘ zeigen.
Sekundäre Effekte kommen etwa durch Streuprozesse an freien Elektronen zustande, wie zum Beispiel die Compton-Streuung (im Gegensatz zur Thomson-Streuung eine Streuung von Photonen mit Änderung der Energie). Weisen die Photonen nach der Streuung etwas höhere Energie, also eine etwas höhere Frequenz auf (genauer: relativ zum Planck-Spektrum der Mikrowellenhintergrund-Strahlung nimmt die Zahl der niederenergetischen Photonen ab, die Zahl der höherenergetischen Photonen zu), so spricht man in der Kosmologie vom Sunjajew-Seldowitsch-Effekt.
Ein besonders cooler Ort zeigt möglicherweise einen der primären Effekte: der ‚CMB Cold Spot‘ ist eine ausgedehnte Region im Sternbild Eridanus, in der die kosmische Hintergrundstrahlung eine außergewöhnlich hohe Abweichung von der Durchschnittstemperatur zeigt: statt den üblichen 18 Mikrokelvin sind es hier gut 70 Mikrokelvin. Als mögliche Erklärung gilt ein besonders großer ‚Leerraum‘, ein Supervoid, der den Sachs-Wolfe-Effekt bedingt und durch den die an der Erde ankommenden Photonen eine Änderung ihrer Energie erfahren.
Und so wie das ‚Ei des Kolumbus‘ eine einfache Lösung zu einem verzwickt scheinenden Problem aufzeigt, war es das ‚Ei des Lemaitre‘, das Erklärungen für nicht weniger verzwickte Phänomene bot. Aber dann gibt es ja zum Glück auch noch solche Eier, deren größtes Rätsel ihr Versteck ist – in diesem Sinne: Frohe Ostern und eine erfolgreiche Suche nach Eiern aller Art!