Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff
Die Rotationsachse der Erde ist auf ihrer Bahnbewegung um die Sonne um 23.4 Grad gekippt (genauer, ihre Drehachse hat eine Neigung von 23.4 Grad in Bezug auf die Achse ihrer Bahn). Diese Neigung, die unsere Jahreszeiten verursacht, war vermutlich das Ergebnis eines katastro-phalen Einschlags, der sich vor ungefähr 4.5 Milliarden Jahren zwischen der Erde und einem anderen großen Körper ereignete und der wohl auch die Bildung des Mondes zur Folge hatte. Man vermutet, daß eine so große Neigung im Allgemeinen aus einer starken Wechselwirkung zwischen Objekten folgt, ähnlich denen bei der Kollision, die den Mond hervorbrachte. Auch Sterne drehen sich, und ihre Drehachsen können ebenfalls gegenüber den Umlaufbahnen ihrer Planeten geneigt sein. Im Fall unserer Sonne, die sich etwa ein Mal in fünfundzwanzig Tagen dreht, beträgt die Neigung nur 7.25 Grad und so erhalten wir niemals einen sehr guten Blick auf ihren Nord- oder Südpol. Astronomen folgern daraus, daß die Sonne niemals eine folgenschwere Begegnung mit einem anderen Stern hatte (zumindest nicht, seit sich ihr Planetensystem bildete und nicht in einem jähen Zusammenstoß).
Die Neigung der Drehachse eines Sterns ist offenbar eine wichtige Eigenschaft, aber um diese zu wissen, muß man zuerst die Bahnen seiner Planeten kennen. Ein verblüffendes und zufälliges Ergebnis der Kepler-Mission und seiner beeindruckenden Fähigkeit, transitierende Planeten zu entdecken, ist seine Eignung – über die Bestimmung von Planetensystemen – sich mit der Frage der gekippten Drehachsen von Sternen zu beschäftigen. Die bislang in Exoplanetensystemen gemessenen stellaren Neigungen zeigen eine überraschende Vielfalt – von sehr kleinen Werten wie bei unserer Sonne bis zu stark geneigten Sternen und es gibt sogar einige „retrograde“ Sterne, deren Rotationsrichtung entgegen der planetaren Bahndrehung verläuft. Diese Sterne scheinen desweiteren etwas jung zu sein; tatsächlich haben sich die meisten Sterne mit Planeten aus dem Kepler-Programm nicht über das Stadium des Wasserstoffbrennens hinaus entwickelt. Beinahe alle schräg stehenden Sterne beheimaten heiße Jupiter – Planeten mit etwa Jupitermasse (das heißt, große Planeten), deren Bahn aber sehr dicht an ihrem Stern liegt und damit heiß sind. Der große Bereich an beobachteten Neigungen deutet darauf hin, daß die Schrägstellungen nicht aus einer gewöhnlichen, unerwarteten Kollision hervorgingen, sondern eher von einem noch etwas komplizierteren Prozess herrühren, der einen normalen Jupiter aus seiner weit außen gelegenen Bahn (wie in unserem Sonnensystem) auf eine Bahn sehr nahe am Stern befördert hat.
Eine große Arbeitsgruppe von Astronomen, darunter auch Josh Carter und Dave Latham vom Center for Astrophysics, hat entdeckt, daß der als Kepler-56 bekannte Stern der am weitesten entwickelte, von Kepler beobachtete Stern ist, und der, soweit bekannt, mehr als einen Planeten in seinem System beherbergt. Kepler-56 ist ein Roter Riese, etwa 3.5 Milliarden Jahre alt (als Brennstoff nutzt er jetzt Helium), hat mehr als das 4-fache des Sonnendurchmessers und ist etwa 30% massereicher als die Sonne. Seine beiden Planeten sind keine heißen Jupiter und mit nur etwa 22 beziehungsweise 181 Erdmassen viel masseärmer als Jupiter. Bemerkenswerterweise umkreisen die beiden Planeten ihren Stern auf nahezu kreisförmigen, in der gleichen Ebene liegenden Umlaufbahnen. Wie sich gezeigt hat, ist Kepler-56 ebenfalls geneigt – mit einem großen Winkel von 47 ±6 Grad. Das Ergebnis zeigt zum ersten Mal, daß die Neigung eines Sterns nicht notwendigerweise mit dem Entstehungsprozeß heißer Jupiter in Verbindung steht. Was für das Kippen von Kepler-56 verantwortlich war, ist noch nicht bekannt. Die Autoren behaupten, daß ein dritter, entfernter massereicher Begleiter, wahlweise ein Planet oder ein anderer Stern, für die Neigung verantwortlich sein könnte und tatsächlich lassen die Beobachtungsdaten auf die Anwesenheit eines dritten umlaufenden Körpers schließen. Zusätzliche Beobachtungen sind notwendig, um diese Schlußfolgerungen zu bestätigen, die jetzt schon die eindrucksvolle Leistungsfähigkeit von Kepler und die Vielfalt an Exoplanetensystemen zeigen.
Literatur:
“Stellar Spin-Orbit Misalignment in a Multiplanet System”
Daniel Huber, Joshua A. Carter, Mauro Barbieri, Andrea Miglio, Katherine M. Deck, Daniel C. Fabrycky, Benjamin T. Montet, Lars A. Buchhave, William J. Chaplin, Saskia Hekker, Josefina Montalbán, Roberto Sanchis-Ojeda, Sarbani Basu, Timothy R. Bedding, Tiago L. Campante, Jørgen Christensen-Dalsgaard, Yvonne P. Elsworth, Dennis Stello, Torben Arentoft, Eric B. Ford, Ronald L. Gilliland, Rasmus Handberg, Andrew W. Howard, Howard Isaacson, John Asher Johnson, Christoffer Karoff, Steven D. Kawaler, Hans Kjeldsen, David W. Latham, Mikkel N. Lund, Mia Lundkvist, Geoffrey W. Marcy, Travis S. Metcalfe, Victor Silva Aguirre, and Joshua N. Winn
Science 18 Oct 2013: Vol. 342, Issue 6156, pp. 331-334