Kalte klassische Kuiper-Gürtel-Objekte

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://pweb.cfa.harvard.edu/news)

Ein Schaubild vom Kuiper-Gürtel, das den Ort tausender klassischer Kuiper-Gürtel-Objekte (engl. Kuiper Belt Objects = KBOs, in rot) zeigt. (Weiße Punkte sind KBOs in Resonanz mit Neptun; magentafarbene Punkte sind gestreute Scheibenobjekte; andere Symbole geben Objekte wieder, die nicht im Kuiper-Gürtel liegen.) Astronomen haben festgestellt, daß eine Untergruppe von leicht bläulichen KBOs durchweg Doppelsysteme sind und während der Wanderung von Neptun vermutlich auf ihre Umlaufbahn gedrängt wurden.
Astronomy Magazine/ Roen Kelly after the Minor Planet Center

Der Kuiper-Gürtel ist eine Scheibe aus kleinen eisigen Körpern, die man für Überreste aus dem frühen Sonnensystems hält und welche die Sonne von der Umlaufbahn des Neptun (ungefähr 30 Astronomische Einheiten, AE, von der Sonne entfernt) bis in eine Entfernung von circa 50 AE umkreisen. KBOs laufen bezüglich der Ebene der planetaren Umlaufbahnen mit beträchtlichen Neigungswinkeln um die Sonne. Als klassisch werden diejenigen KBOs bezeichnet, die in einem bestimmten Entfernungsbereich von Neptun kreisen; von diesen hat eine Untergruppe, die als kalte klassische KBOs (cold classical KBOs = CCKBOs) bezeichnet wird, einen sehr geringen Neigungswinkel, weniger als circa sechs Grad. Astronomen vermuten, daß CCKBOs dynamisch ursprünglich sind, was bedeutet, daß sie sich an Ort und Stelle bildeten und eben nicht durch Neptun oder andere Prozesse in ihre Umlaufbahnen gedrängt wurden. Ihr geringer Neigungswinkel spiegelt diese Geschichte wieder.

CCKBOs sind allgemein von der Farbe her rötlicher, das Ergebnis ihrer Zusammensetzung, und nahezu 30% von ihnen sind in weit voneinander entfernten Zweierpaaren zu finden. Kürzlich ist eine seltene Untergruppe von CCKBOs identifiziert worden, die in ihrer Farbe eindeutig blauer sind und die zu 100% als Zweierpaare vorkommen. Die CfA-Astronomen Rosemary Pike, Mike Alexandersen und Matthew Lehner gehörten zum Col-OSSOS Team (Colours of the Outer Solar System Origins Survey), das im sichtbaren Licht Farbmessungen von 98 KBOs gewann und die Gesamtzahl der CCKBOs durch genaue photometrische Messungen von 87 auf 113 erhöhte. Mit der großen Stichprobe an CCKBO-Farben konnte das Team eine Beziehung zwischen Farbe und Paarbildung feststellen.

Die Wissenschaftler schlagen vor, daß diese blauen CCKBOs „weggedrängte Überlebende“ sind, die sich vor Ort bildeten und in die Region mit anderen klassischen KBOs geschoben wurden, als Neptun nach außen in seine Umlaufbahn wanderte. Durch Verwendung von Simulationen und statistischen Auswertungen zieht das Team den Schluß, daß die Mehrheit der Objekte, die sich in dieser ursprünglichen Umgebung bildeten, als Binärsysteme entstanden sein müssen und aneinander gebunden blieben, auch wenn sie weit voneinander entfernt und somit dynamisch nicht stabil sind. Die Simulationen stärken den Fall, daß diese blauen Überlebenden nach außen gedrängt wurden. Die Astronomen folgern, daß weitere Untersuchungen dieser blauen Objekte helfen werden, Einzelheiten über den Weg von Neptun aufzudecken, den er nahm, als er in den frühen Tagen des Sonnensystems wanderte.

Literatur:

„Col-OSSOS: The Distinct Color Distribution of Single and Binary Cold Classical KBOs“

Wesley C. Fraser, Susan D. Benecchi, J. J. Kavelaars, Michaël Marsset, Rosemary E. Pike, Michele T. Bannister, Megan E. Schwamb, Kathryn Volk, David Nesvorny, Mike Alexandersen, Ying-Tung Chen, Stephen Gwyn, Matthew J. Lehner, and Shiang-Yu Wang

Planetary Science Journal 2, 90, 2021

oder

arXiv:2104.00028v1 [astro-ph.EP] 31 Mar 2021