Erkennen von verschmelzenden Galaxien (Originalartikel vom 16.08.2019)

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Eine Hubble-Aufnahme einer vermuteten Verschmelzung, die ungefähr siebenhundert Millionen Lichtjahre entfernt liegt. Ist es möglicherweise in Wirklichkeit eine einzelne Spiralgalaxie? Eine neue Arbeit schlägt einen Algorithmus vor, um dies entscheiden zu können. Die Methode wurde mit Computer-Trainingsmethoden entwickelt und auf eine Million simulierter Bilder von verschmelzenden Galaxien angewendet. NASA / Hubble; Kim et al. 2013

Vor über dreißig Jahren entdeckte der Infrared Astronomy Satellite, daß das Universum viele extrem leuchtkräftige Galaxien enthält, einige davon über tausendmal heller als unsere eigene Milchstraße, aber bei optischen Wellenlängen so gut wie unsichtbar. Diese Galaxien werden durch Ausbrüche an Sternentstehung, die tief in Wolken aus Staub und Gas eingebettet sind, mit Energie versorgt. Der Staub absorbiert das ultraviolette Licht, wohingegen er es bei infraroten Wellenlängen abstrahlt. In vielen Fällen wurde die Hyperaktivität durch ein Zusammentreffen von Galaxien ausgelöst, das den Kollaps von interstellarem Gas zu neuen Sternen erleichterte.

Kollisionen zwischen Galaxien sind alltäglich. Die meisten Galaxien sind wahrscheinlich in eine oder sogar mehrere Begegnungen während ihrer Existenz verwickelt gewesen und dies macht diese Wechselwirkungen zu einem wichtigen Abschnitt in der Galaxienentwicklung und der Bildung von Sternen im Universum. Die Milchstraße zum Beispiel ist durch die Schwerkraft an die Andromeda-Galaxie gebunden und nähert sich ihr mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 50 Kilometer pro Sekunde; man erwartet, daß sie sich in etwa einer weiteren Milliarde Jahren begegnen. Gegenwärtig befinden sich im lokalen Universum ungefähr fünf Prozent der Galaxien in einem Verschmelzungsprozeß und Verschmelzungen können für gewöhnlich leicht durch die dadurch erzeugten sichtbaren strukturellen Deformationen, wie etwa Gezeitenschweife, die aus den galaktischen Scheiben herausragen, erkannt werden.

Doch zeigen nicht alle infraroten leuchtkräftigen Galaxien solche Deformationen, und die Frage einer Identifizierung (und Klassifizierung) von Verschmelzungen wird besonders problematisch bei Untersuchungen früherer kosmischer Epochen, als die Sternbildungsraten sehr viel höher waren als heute, und die Rate der Verschmelzung von Galaxien ebenfalls höher war. (Überdies sind solche Systeme bevorzugt bei tiefen Galaxiendurchmusterungen entdeckt worden, gerade weil sie so leuchtkräftig sind.) Aber Galaxien im fernen Kosmos sind zu entfernt, um räumliche Hinweise wie Gezeitenarme zu entdecken (zumindest nicht mit den heutigen Teleskopen). Es ist möglich, daß andere Prozesse neben der durch Verschmelzung ausgelösten Sternbildung einige dieser hellen Galaxien aufleuchten lassen, den akkretierende supermassereiche Schwarze Löcher beispielsweise können gewaltige Mengen an ultravioletter Strahlung emittieren. Wegen solcher Fälle könnten Abschätzungen der Sternbildung im frühen Universum alleine auf der Grundlage von Messungen der Leuchtkraft falsch sein.

CfA-Astronom Lars Hernquist ist ein Vorreiter in der Entwicklung von Computersimulationen verschmelzender Galaxien. Vor mehreren Jahren entwickelten er und ein Team an Mitarbeitern eine umfangreiche neue Simulation namens Illustris zur Bildung und Entwicklung von Galaxien im Universum. In einer neuen Arbeit, die auf simulierten Bildern von verschmelzenden Galaxien durch Illustris beruht, zeigen die Astronomen einen Weg, mit dessen Hilfe zu erkennen ist, wann abgebildete Systeme Verschmelzungen sind. Sie erschufen rund eine Million künstlicher Hubble- und James Webb-Teleskopbilder aus ihren simulierten Verschmelzungen und suchten alsdann nach gängigen morphologischen Indizien für Verschmelzungen. Sie entwickelten ein Verfahren, das Verschmelzungen mit einer annähernd siebzigprozentigen Vollständigkeit auf Entfernungen von fünfundachtzig Milliarden Lichtjahren (der heutige Distanzwert) erfolgreich identifizierte; dies entspricht Licht, das aus einer Epoche von ungefähr 2 Milliarden Jahren nach dem Urknall stammt. Ergebnisse aus dem angewandten Algorithmus deuteten an, daß räumliche Merkmale, verbunden mit starken Verdichtungen im Zentrum (den Bulges), für die Auswahl vergangener Verschmelzungen am wichtigsten waren, wohingegen doppelte Kerne und Asymmetrien für die Auswahl in der Zukunft liegender Verschmelzungen am bedeutendsten waren (also irgendwann in den nächsten 250 Millionen Jahren). Das neue Verfahren wird besonders nützlich sein, wenn es auf die kommenden Bilder des James Webb Teleskops von weit entfernten Verschmelzungen angewendet wird.

Literatur:

„Automated Distant Galaxy Merger Classifications from Space Telescope Images using the Illustris Simulation“

Gregory F. Snyder, Vicente Rodriguez-Gomez, Jennifer M. Lotz, Paul Torrey, Amanda C.N. Quirk, Lars Hernquist, Mark Vogelsberger and Peter E. Freeman

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 486, 3702, 2019

oder

arXiv:1809.02136v2 [astro-ph.GA] 12 Apr 2019