Eine Weile weg… und wieder da

Dr. Ilka Petermann

Weihnachtsbäume, Streunerkatzen, Bumerangs, ein Geldschein im Wintermantel, der morgendliche Weckerlärm oder die Motivation beim Neujahrssport: so manches macht sich lange Zeit rar um sich dann – zumeist ziemlich vorhersehbar – wieder nadelnd oder schnurrend im Wohnzimmer wiederzufinden. Anderes sorgt für überraschte Blicke, ein kurzes Blinzeln und wieder anderes ist im nächsten Augenblick irgendwie schon wieder verschwunden… Ähnlich halten es da auch manche Sterne, die sich von Zeit zu Zeit in einen kurzen oder etwas längeren ‘Helligkeits-Urlaub’ verabschieden – und dabei das pulsierende Leben genießen oder sich auch gerne mal ganz bedeckt geben…

Abb.1: Diese künstlerische Darstellung zeigt den Doppelstern OGLE-LMC-CEP0227 in der Großen Magellanschen Wolke. Der kleinere der beiden Sterne ist ein Cepheid und die Ausrichtung dieses Systems ist derart, daß sich die Sterne während ihrer Umkreisung bedecken. In diesem System findet man die seltene Konfiguration aus einem Pulsations- und einem Bedeckungsveränderlichen.
Credit: ESO/L. Calçada

Als David Fabricius in einer klaren Nacht zu Beginn des Jahres 1597 den Himmel beobachtete, musste er feststellen, dass er einen Stern verloren hatte. Nun ist nicht überliefert, ob Herr Fabricius, ostfriesischer Pfarrer und Amateurastronom, generell zum Verbummeln von Dingen neigte, doch ein ganzer Himmelskörper kommt ja nun den wenigsten einfach so abhanden. Seinen Aufzeichnungen vom August 1596 nach sollte ein auffälliger Stern der 2. Größenklasse im Sternbild ‘Walfisch’ zu finden sein – und genau dieser war nun weg. Viele Jahre später, im Februar 1609, hatte er den mysteriösen Stern dann aber wieder an der ‘Angel’ – dieses Mal als Objekt dritter Größenklasse an gleicher Stelle im Walfisch. Es gibt keine Aufzeichnung von Fabricius, dass er das Phänomen als ein und denselben Stern interpretierte, der seine Helligkeit in bestimmter Art und Weise änderte – die stellare Seltsamkeit blieb erst einmal ohne Erklärung.

Im Jahr 1638 nahm sich Johann Holwarda den schwankenden Stern dann erneut vor, der zwar mittlerweile in dem bekannten Himmelsatlas von Johann Bayer als ‘Omikron Ceti’ gelistet wurde, dem sonst aber nicht allzu viel Beachtung geschenkt wurde. Holwarda, noch nicht ganz ausgelastet als Doktor der Medizin und Professor für Philosophie, studierte theoretische und praktische Astronomie und zeichnete die Helligkeitsschwankungen des Sterns genau auf. Er erkannte dabei eine regelmäßige Veränderlichkeit und bestimmte die Periode der Helligkeitsschwankungen auf rund 11 Monate. Und Johannes Hevelius, Danziger Astronom und Begründer der Kartographie des Mondes, brachte schließlich das astronomische Kopfschütteln auf den Punkt und nannte den Stern schlicht ‘Mira’, die Wundersame (Abb.2) – jenen Namen, den wir auch heute noch für den Stern selbst und eine ganze Klasse von bestimmten, helligkeitsschwankenden Sternen verwenden.

Abb.2: Passfoto von Mira der Wundersamen, aufgenommen mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array bei einer Wellenlänge von 900 μm. Hätte Herrn Fabricius sicher auch gefallen!
Credit: https://de.wikipedia.org/wiki/Mira_(Stern)

Was ist es nun, das einen Stern zum himmlischen Versteckspiel treibt? Mira-Sterne gehören zu den sogenannten ‘pulsations-veränderlichen Sternen’, deren Helligkeiten durch einen inneren Mechanismus (zumeist) sehr regelmäßig schwanken.

Allgemein führen alle Abweichungen vom Gleichgewichtszustand eines Sterns zum Versuch des ‘Ausgleichs’. Ist der Radius des Sterns zum Beispiel etwas kleiner als es dem Gleichgewichtszustand entsprechen würde, so sucht der hier überwiegende Strahlungsdruck den Radius auf den Gleichgewichtswert zu expandieren. Die Massenträgheit führt jedoch dazu, dass der Stern etwas ‘über das Ziel hinausschießt’: der Radius ist nun ein wenig größer als es dem Gleichgewichtszustand entsprechen würde. Das lässt sich die Gravitation nicht gefallen – als dominierende Kraft schrumpft sie den Stern wieder – wahrscheinlich ein bisschen zuviel… und dann beginnt das Radius-Spiel von vorne. Es entsteht eine (zumeist sehr kleine) Oszillation, der Stern pulsiert. Wir können an dieses Hin-und-Her ja beim nächsten Mal denken, wenn wir unsere Suppe in der Mikrowelle erwärmen: da nehmen wir sie viel zu heiß heraus und stellen sie kurz zur Seite, damit sie etwas abkühlt. Kann man ja eine Butterstulle in der Zwischenzeit schmieren – und schon ist die Suppe zu kalt. Stellen wir sie eben wieder in die Mikrowelle, verbrennen uns die Finger beim rausnehmen,…

Es gibt aber auch noch andere rücktreibende Kräfte, die einen Stern zum Helligkeitsschwanken bringen können. Bei den meisten Pulsationsveränderlichen ist dies der ‘Kappa-Mechanismus’ (Abb.3), der direkt mit der Opazität (in der Literatur zumeist mit dem griechischen Buchstaben ‘Kappa’ bezeichnet) in der Sternatmosphäre verknüpft ist.

Abb.3: Darstellung des Kappa-Mechanismus, der für einen stellaren Pulsschlag sorgt
Credit: http://www.astro.uni-bonn.de/~deboer/eida/cepheid-puls-mod.gif

Die Opazität (oder Undurchsichtigkeit, also das Gegenteil von Transparenz) ist im Inneren eines Stern nicht konstant, sie hängt von der Temperatur und dem Druck, aber auch der Wellenlänge ab. Wenn die Opazität mit zunehmender Temperatur der Sternmaterie ansteigt, können Pulsationen entstehen. Wie auch in obigem Beispiel liegt zu Beginn eine kleine Störung des Gleichgewichtszustandes vor – eine Zone der Sternatmosphäre, in der die Opazität mit der Temperatur steigt, wird durch eine äußere Störung komprimiert und bewegt sich Richtung Sternzentrum.  Die Kompression der Materie bewirkt einen Anstieg von Druck und Temperatur – und damit auch der Opazität. Die so etwas ‘undurchsichtigere’ Schicht wirkt wie Straßenschäden auf der Autobahn: Autos werden langsamer, stauen sich, weniger Fahrzeuge überwinden die hubbelige Strecke, der Ärger steigt – oder: weniger Strahlung aus dem Inneren entweicht, der Strahlungsdruck unterhalb der undurchsichtigeren Zone nimmt stark zu. Der so erhöhte Strahlungsdruck führt nun im Stern dazu, dass sich die Stau-Schicht ausdehnt – Druck, Temperatur und Opazität sinken (das klappt so dann leider nicht auf der Straße – schön wär’s, wenn etwa verstärktes Hupen und Blinken einen Stau ganz friedlich auflösen könnten…), die aufgestaute Strahlung entweicht schnell. Durch den so plötzlich verringerten Druck sinkt Materie durch die Gravitationskraft in Richtung Zentrum, sie wird komprimiert – und ein neuer Pulsationszyklus beginnt. Dieses innere ‘Tauziehen’ ist schlussendlich die Ursache für die veränderliche Helligkeit, die wir dann bei Sternen beobachten können – in ganz unter-schiedlichen Ausprägungen, was die Periode, Amplitude oder Regelmäßigkeit der sogenannten ‘Lichtkurven’, der graphischen Darstellung der Leuchtkraft in Abhängigkeit von der Zeit, angeht.

Abb.4: Und noch einmal Mira, diesmal der ‘Herzschlag’, oder genauer die Lichtkurve, welche die Helligkeit in Abhängigkeit von der Zeit darstellt. Die Datenpunkte stammen von der AAVSO (American Association of Variable Star Observers). Wer sich an einem ähnlichen Bild versuchen möchte: auf der Webseite der AAVSO findet sich eine Anleitung zur Beobachtung Veränderlicher Sterne, die von der Autorin ins Deutsche übersetzt wurde (https://www.aavso.org/visual-observing-manual-german).
Credit: https://de.wikipedia.org/wiki/Mira_(Stern)

So zeichnen sich ‘Mira-Stern’, rote Riesensterne, etwa durch lange Perioden zwischen 80 bis 1000 Tagen aus – hier muss man als BeobachterIn etwas Ausdauer mitbringen. Die Periodenlänge ist dabei umgekehrt proportional zur Oberflächen-temperatur (je heißer desto kürzer), die Amplitudenschwankungen sehr ausgeprägt (zwischen 2,5 und 11 mag;  da konnte Herr Fabricius nun wirklich nichts machen!). Die Lichtkurven sind annähernd sinusförmig, wobei die einzelnen Zyklen leicht unterschiedlich zueinander sind. Bei manchen Mira-Sternen beobachtet man dazu unregelmäßige Helligkeitseinbrüche, die von der periodischen Schwankung der Leuchtkraft entkoppelt sind. Dies wird zumeist interpretiert als Absorption von Strahlung an den Staubteilchen, die in großen Mengen in der Hülle der Roten Riesensterne zu finden sind. 

Mira galt lange Zeit als Unikum, als Einzelkind am Himmel. Das änderte sich erst im Jahr 1669 als der italienische Astronom Geminiano Montanari den Stern Algol, den zweithellsten Stern im Stern-bild Perseus, beobachtete. Mit einer Periode von nur knapp 3 Tagen (genauer: 2 Tagen, 20 Stunden und 56 Sekunden) und Amplituden zwischen 2,1 und 3,4 mag war Algol nicht allen Zeitgenossen ganz geheuer und wurde im arabischen Raum auch als ‘Teufelsstern’ bezeichnet (der Weckerlärm-am-Morgen-Stern sozusagen). Heute weiß man, dass Brüderchen Algol ein ganz anderer Veränderlichkeits-Typ als Schwesterchen Mira ist: Algol’s Helligkeitsschwankungen gehen nicht auf innere Prozesse zurück, er ist ein sogenannter ‘Bedeckungs-veränderlicher’. Dabei ist ein Doppel- oder Mehrfachsternsystem so zur Erde ausgerichtet, dass sich die Komponenten beim Einander-Umkreisen verdecken – eine regelmäßige Abnahme der Helligkeit ist die Folge.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Astronomen dann immerhin eine kleine ‘Schulklasse’ von veränderlichen Sternen beisammen: 21 Stück verschiedener Typen und Temperamente, die meisten zufällig gefunden, oder bei der Suche nach Asteroiden vor das Teleskop gestolpert. 1844 wollte Friedrich Wilhelm Argelander dann schließlich eine Veränderung mit den Veränderlichen: in seiner ‘Aufforderung an die Freunde der Astronomie’ rief er zur systematischen Suche nach den helligkeitsflexiblen Objekten auf. Zu seinem 222. Geburtstag im Jahr 2021 hätten Astronomen Herrn Argelander dann ein richtig hübsches Geschenk machen können: eine Ausgabe des ‘General Catalogue of Variable Stars’ mit mittlerweile mehr als 50.000 Einträgen – da leuchten einem doch die Augen (und das ganz ohne Helligkeitsschwankungen)!

Zur A-Prominenz der veränderlichen Sterne gehören auch die Cepheiden. Sie sind wieder pulsationsveränderliche Sterne, jedoch mit deutlich kürzeren Perioden zwischen einem und rund 130 Tagen. Im visuellen Bereich schwanken die Amplituden dabei um bis zu zwei Größenklassen, wobei sich auch die Oberflächentemperatur und damit die Farbe des Sterns ändern können. Ihre besondere Bedeutung erlangten sie durch den Zusammenhang zwischen ihrer Leuchtkraft und Periode. Dieser als ‘Perioden-Leuchtkraft-Beziehung’ bekannte Zusammenhang erlaubt durch die Bestimmung der Absoluten Helligkeit (Leuchtkraft) eines Stern die Festlegung seiner Entfernung (durch den Vergleich mit seiner scheinbaren Helligkeit) und ist damit ein wichtiges Werkzeug zur Entfernungsmessung in der Astronomie. Die Perioden-Leuchtkraft-Beziehung wurde 1912 von Henrietta Swan Leavitt entdeckt, die am Harvard College Observatory durch die Auswertung von fotographischen Aufnahmen (Frauen war damals der Gebrauch des Teleskops verboten) veränderliche Sterne beobachtete und katalogisierte. Wie die ‘Mira-Klasse’ der veränderlichen Sterne gehen auch ‘die Cepheiden’ auf einen Prototyp-Stern zurück, hier den gelben Überriesen ‘Delta Cephei’ im Sternbild Kepheus.

Und sonst ist wahrscheinlich für jede Vorliebe mittlerweile ein Veränderlicher bekannt:

Keine Geduld und richtig gute Sicht? ZZ-Ceti-Sterne, pulsationsveränderliche Weiße Zwergsterne mit sehr kurzen Perioden (< 20 Minuten) und sehr kleinen Amplituden (Helligkeitsänderungen unter 0,3 mag) bieten sich für alle an, die in einem Beobachtungsstündchen eine Menge Action suchen. Im General Catalogue of Variable Stars sind nur knapp 100 Sterne dieses Typs vorhanden.

Lust auf einen Haufen Beobachtungspunkte in einer Nacht? Die ‘Haufenveränderlichen’, oder RR-Lyrae-Sterne, helfen gerne weiter. Mit einer Periode von 0,2 bis 1,2 Tagen und Helligkeitsamplituden bis 2 mag bieten die alten Riesensterne (häufiges Vorkommen in alten Kugelsternhaufen, daher auch ihr Name) schöne Leuchtkurven für wenig Zeit.

Vorliebe für Miniaturen? Warum nicht mal einen Delta-Scuti-Stern suchen. Die pulsations-veränderlichen Sterne werden auch als ‘Zwergcepheiden’ bezeichnet und zeichnen sich durch Perioden unterhalb von 0,3 Tagen und Amplituden bis zu 0,8 Größenklassen aus.

Nach all den ordentlich-periodisch helligkeitsschwankenden Sternen könnte man mal eine Prise Abwechslung vertragen? RV-Tauri-Sterne sind gelbe Überriesen, deren Lichtkurven durch abwechselnd flache und tiefe Minima gekennzeichnet sind. Die Periode wird hier stets zwischen zwei tiefen Minima gemessen und beträgt zwischen 30 und 150 Tagen. Die Amplitude kann bis zu 4 mag erreichen und entspannt den Blick – für alle, die sich beim ZZ-Ceti-Stern-Beobachungs-Augenzukneifen arg angestrengt haben.

Und das Schöne ist ja: sollte es in der Nacht einmal zu dick bewölkt sein – keine Sorge, auch in der nächsten Nacht ist der Stern wieder da (naja, oder eben mal kurz weg…)!