Dunkle Materie und massereiche Galaxien

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Eine Karte Dunkler Materie, von japanischen Astronomen unter Zuhilfenahme des schwachen Gravitationslinseneffekts erstellt. Das Hintergrundbild einer Weitwinkelaufnahme von Galaxien wurde nach schwachen Gravitationslinseneffekten durchsucht und die abgeleitete Verteilung der Dunklen Materie ist durch die Konturen angezeigt.
Satoshi Miyazaki

Etwa fünfundachtzig Prozent der Materie im Universum liegen in Form Dunkler Materie vor, deren Natur rätselhaft bleibt, und die übrige Materie ist von der Art, die man in Atomen findet. Dunkle Materie offenbart sich durch Gravitation, wechselwirkt aber im Übrigen mit normaler Materie nicht und sendet auch kein Licht aus. Astronomen, die die Entwicklung von Galaxien untersuchen, sind darauf gestoßen, daß Dunkle Materie, da sie so häufig ist, jedoch die Bildung von großräumigen Strukturen im Universum, wie zum Beispiel Galaxiencluster, beherrscht.

Obwohl auf direktem Weg schwer nachzuweisen, kann Dunkle Materie durch Modellieren von empfindlichen Beobachtungen der Verteilung von Galaxien über zahlreiche Größenordnungen hinweg ausfindig gemacht werden. Galaxien liegen üblicherweise in den Zentren von gewaltigen Klumpen aus Dunkler Materie, die, da sie die Galaxien umgeben, als Halos bezeichnet werden. Gravitationslinseneffekte bei entfernt gelegenen Galaxien durch im Vordergrund befindliche Halos aus Dunkler Materie bieten ein besonders außergewöhnliches und leistungsstarkes Werkzeug zur genauen Verteilung der Dunklen Materie. „Schwache Gravitationslinseneffekte“ rufen mäßige, doch systematische Verformungen von Hintergrundgalaxien hervor und können starke Einschränkungen für die Verteilung von Dunkler Materie innerhalb von Clustern liefern; im Gegensatz dazu erzeugen „starke Gravitationslinseneffekte“ stark verzerrte, vergrößerte und gelegentlich mehrere Bilder einer einzelnen Quelle.

Im vergangenen Jahrzehnt haben Beobachtungen sowie hydrodynamische Simulationen unser Verständnis über die Entwicklung großer Galaxien beträchtlich vorangebracht und heute wird ein Zwei-Phasen-Szenario bevorzugt. Im ersten Schritt bilden sich bei hohen Rotverschiebungen die massereichen Kerne der heutigen Galaxien durch den gravitativen Kollaps von Materie zu einer Galaxie mitsamt ihrem umgebenden Halo aus Dunkler Materie. Sternentstehung erhöht dann die in Form von Sternen vorliegende Masse der Galaxie. Allerdings durchlaufen die massereichsten Galaxien einen zweiten Schritt, bei der sie Sterne aus den äußeren Bereichen anderer Galaxien einfangen und, sobald ihre eigene Sternbildung abnimmt, überwiegt diese Phase ihres Wachstums. Computermodelle als auch einige Beobachtungsergebnisse scheinen dieses Bild zu bestätigen.

CfA-Astronom Joshua Speagle war Mitglied in einer Gruppe, die mit hochempfindlichen, durch das Subaru-Teleskop bei optischen und nahinfraroten Wellenlängen gewonnenen Weitwinkelaufnahmen das Wachstum großer Galaxienansammlungen untersuchte. Ihre Technik nutzte die schwachen Gravitationslinseneffekte, da massereiche Galaxien ebenfalls dazu tendieren, größere Halos aus Dunkler Materie, die Licht beugen können, zu besitzen. Die Astronomen untersuchten ungefähr 3200 Galaxien, deren Massen in Form von Sternen größer als die der Milchstraße sind (annähernd etwa vierhundert Milliarden Sonnenmassen). Durch die Auswertung der schwachen Gravitationslinseneffekte stellten sie fest, daß Informationen über die Wachstumsgeschichte der massereichen Halos aus Dunkler Materie in den stellaren Masseverteilungen von massereichen, in den Zentralbereichen gelegenen Galaxien verborgen sind. Neben weiteren Folgen zeigen die Wissenschaftler, daß bei Galaxien mit gleicher Masse diejenigen mit ausgedehnteren Umrissen dazu neigen, größere Halos aus Dunkler Materie aufzuweisen. Die Ergebnisse öffnen ein neues Fenster zum Erkunden, wie sich massereiche Galaxien bilden und über kosmische Zeiten hinweg entwickeln.

Literatur:

„Weak Lensing Reveals a Tight Connection between Dark Matter Halo Mass and the Distribution of Stellar Mass in Massive Galaxies“

Song Huang, Alexie Leauthaud, Andrew Hearin, Peter Behroozi, Christopher Bradshaw, Felipe Ardila, Joshua Speagle, Ananth Tenneti, Kevin Bundy, Jenny Greene, Cristobal Sifon, and Neta Bahcall

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 492, 3685, 2020

oder

arXiv:1811.01139v1 [astro-ph.GA] 3 Nov 2018