Die Radcliffe-Welle

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Eine Graphik der ausgedehnten Molekülwolkenstruktur, die in der Nachbarschaft der Sonne entdeckt wurde und die von einer seitlichen Position in der Milchstraße zu sehen ist. Diese lange sinusförmige Form erstreckt sich über etwa neuntausend Lichtjahre und ersetzt einen älteren Blick auf einen Ring an Sternentstehung, den Gouldschen Gürtel. Rote Punkte sind Objekte, die vermessen und an einen neuen dreidimensionalen Algorithmus angepaßt wurden.
Alves et al. 2020

Der Gouldsche Gürtel ist ein ungefähr tausend Lichtjahre von der Sonne entfernt gelegener, ausgedehnter Ring an jungen Sternen, Gas und Staub – also in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserer Sonne. Er erstreckt sich über einige tausend Lichtjahre und man vermutet, daß er viele bekannte, nah gelegene Nebel wie den im Sternbild Orion zusammenfaßt. Die physikalischen Beziehungen zwischen seinen vielen Gaswolken, wenn überhaupt solche bestehen, sind nicht bekannt gewesen, da die Unsicherheiten für ihre Entfernungen mit ihren Abmessungen vergleichbar oder sogar größer sind.

Die CfA-Astronomen Catherine Zucker, Alyssa Goodman, Josh Speagle sowie Doug Finkbeiner und ihre Kollegen nutzten neue astrometrische Durchmusterungen wie die der Gaia-Mission in Verbindung mit genauen Untersuchungen von stellaren Helligkeiten, Farben und Entfernungen, um dreidimensionale Karten der Milchstraße um den Gouldschen Gürtel herum von größerer Genauigkeit als jemals zuvor zu erstellen. Die neuen Erkenntnisse über die Entfernungen zeigen zum ersten Mal die dreidimensionale Struktur der Wolken in der Nachbarschaft der Sonne, so die Wolken des mutmaßlichen Gouldschen Gürtels und weitere Wolken wie dem Nordamerika-Nebel, die vorher nicht dem Gouldschen Gürtel zugeordnet worden sind. Das Team entdeckte, daß die Wolken nicht wie vermutet worden ist, rein zufällig in einem Ring verteilt sind, sondern vielmehr eine spektakuläre, langgestreckte Struktur bilden, die sich über eine Länge von circa neuntausend Lichtjahren hinzieht. Die Anordnung beinhaltet die Mehrzahl der benachbarten Sternentstehungsregionen, hat ein Kantenlängenverhältnis von zwanzig zu eins und besitzt rund drei Millionen Sonnenmassen an Gas. Am erstaunlichsten ist, daß diese Struktur wellenförmig zu scheint, mit einer dreidimensionalen Form, die durch eine gedämpfte sinusförmige Welle auf der Ebene der Milchstraße mit einer durchschnittlichen Periode von rund siebentausend Lichtjahren und einer maximalen Amplitude von ungefähr fünfhundert Lichtjahren gut beschrieben wird.

Die Astronomen haben die Struktur zu Ehren der Astronominnen des frühen 20. Jahrhunderts am Radcliffe Institut als auch dem interdisziplinären Geist des heutigen Radcliffe-Instituts, das zu der Entdeckung beigetragen hat, Radcliffe-Welle genannt. Die Herkunft der Radcliffe-Welle ist unklar, aber die Forscher vermuten, daß sie das Ergebnis eines großräumigen galaktischen Prozesses ist, vielleicht eine Schockfront im nah gelegenen Spiralarm der Galaxie. Weshalb es eine solch klar definierte Welle sein sollte, ist jedoch viel schwerer zu erklären; möglicherweise deutet sie eine gewisse Art von Kollision an. Die Radcliffe-Welle liefert einen neuen Rahmen für das Verständnis der Bildung und Entwicklung von Molekülwolken. Die Gruppe schließt damit, daß eine Überarbeitung für die Architektur des Gases in der solaren Nachbarschaft und eine Neuinterpretation anderer lokaler struktureller Phänomene notwendig ist.

Literatur:

„A Galactic-Scale Gas Wave in the Solar Neighborhood“

João Alves, Catherine Zucker, Alyssa A. Goodman, Joshua S. Speagle, Stefan Meingast, Thomas Robitaille, Douglas P. Finkbeiner, Edward F. Schlafly & Gregory M. Green

Nature 578, 237, 2020

oder

arXiv:2001.08748v1 [astro-ph.GA]