Chemie im turbulenten interstellaren Medium (Originalartikel vom 23.11.2019)

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Ein bei mehreren Wellenlängen aufgenommenes Bild eines Teils der Perseus-Molekülwolke und ihrer Nebel, in ungefähr 850 Lichtjahren Entfernung gelegen. Turbulenz ist in Molekülwolken weit verbreitet und spielt eine wichtige Rolle beim Entstehen kleiner Dichte- und Temperaturschwankungen, die im Gegenzug helfen, die Häufigkeiten komplexer Moleküle in der Wolke zu bestimmen. Eine neue Reihe an chemischen und hydrodynamischen Modellen kann die Effekte derartiger Turbulenzen erklären und bietet eine verbesserte Begründung für den beobachteten chemischen Reichtum an.
Agrupació Astronòmica d’Eivissa/Ibiza AAE, Alberto Prats Rodríguez

Über zweihundert Moleküle sind im All entdeckt worden, einige (wie Buckminsterfulleren) sehr komplex aus Kohlenstoffatomen aufgebaut. Außer an sich schon interessant zu sein, strahlen diese Moleküle Wärme ab und helfen dadurch riesigen Wolken aus interstellarem Material, sich zu kühlen und zu schrumpfen, um neue Sterne zu bilden. Des Weiteren nutzen Astronomen die Strahlung dieser Moleküle, um örtliche Bedingungen zu untersuchen, etwa wie sich Planeten in Scheiben um junge Sterne herum bilden.

Die relative Häufigkeit dieser Moleküle ist eine wichtige, aber seit langer Zeit bestehende Frage, die von vielen Faktoren abhängig ist, beginnend bei den Häufigkeiten der zu Grunde liegenden Elemente und die des umgebenden ultravioletten Strahlungsfelds bis hin zur Dichte, Temperatur und Alter einer Wolke. Die Häufigkeiten kleiner Moleküle (solche mit zwei oder drei Atomen) sind besonders wichtig, da sie die Grundlage für größere Moleküle bilden und unter diesen sind diejenigen Spezies, die eine Nettoladung tragen, sogar bedeutsamer, da sie chemische Reaktionen viel bereitwilliger eingehen. Gegenwärtige Modelle vom diffusen interstellaren Medium setzen homogene Schichten eines ultraviolett illuminierten Gases voraus, das entweder eine konstante Dichte besitzt oder eine Dichte, die sich mit zunehmender Tiefe in die Wolke hinein sanft ändert. Das Problem liegt darin, daß die Vorhersagen der Modelle oft Beobachtungen widersprechen.

Jedoch haben jahrzehntelange Beobachtungen auch gezeigt, daß das interstellar Medium nicht gleichförmig, sondern recht turbulent ist, mit großen Sprüngen bei Dichte und Temperatur über geringe Entfernungen hinweg. CfA-Astronom Shmuel Bialy leitete ein Wissenschaftlerteam, das die Häufigkeiten von vier zentralen Molekülen – H2, OH+, H2O+ und ArH+ – in einem überschallschnellen (Bewegungen, welche die Schallgeschwindigkeit übertreffen) und turbulenten Medium untersuchten. Diese besonderen Moleküle sind wertvolle astronomische Sonden und reagieren sehr empfindlich auf Dichtfluktuationen, die natürlicherweise in turbulenten Medien auftreten. Aufbauend auf ihren früheren Untersuchungen zum Verhalten von molekularem Wasserstoff (H2) in turbulenten Medien führten die Wissenschaftler genaue Computersimulationen durch, die eine große Vielfalt chemischer Reaktionswege sowie Modelle überschallschneller, turbulenter Bewegungen, darunter eine Auswahl an Anregungsszenarien, angetrieben durch ultraviolette und kosmische Strahlung, berücksichtigten. Ihre Resultate weisen eine gute Übereinstimmung auf, wenn man sie mit ausgedehnten Beobachtungen von Molekülen vergleicht. Der Rahmen an turbulenten Bedingungen ist groß und die Vorhersagen dementsprechend breit gefächert, jedoch so, daß die neuen Modelle die beobachtete Vielfalt besser erklären, aber mehrdeutig sein können und eine besondere Situation mit mehreren verschiedenen Zusammenstellungen der Parameter deuten. Die Autoren sprechen sich für zusätzliche Beobachtungen und eine nächsten Generation an Modellen aus, um die Folgerungen noch weiter einzugrenzen.

Literatur:

„Chemical Abundances in a Turbulent Medium–H2, OH+, H2O+, ArH+“

Shmuel Bialy, David Neufeld, Mark Wolfire, Amiel Sternberg, and Blakesley Burkhart

The Astrophysical Journal 885, 109, 2019

oder

arXiv:1909.12305v2 [astro-ph.GA] 9 Oct 2019