Auffällig unauffällig: Wenn Schwarze Löcher Appetit bekommen

Dr. Ilka Petermann, Argelander-Institut Bonn

Mit der Idee ‘weniger ist mehr’ können galaktische Schwarze Löcher nicht allzu viel anfangen: Mit bis zu einigen Milliarden Sonnenmassen sind sie echte Schwergewichte mit gewaltigem Hunger auf Materie aus ihrer Umgebung. Aber genau der ist auch, der sie verrät. Astronomen des Atacama Large Millimeter Arrays (ALMA) sind den Rätseln der Jets aus den massereichsten Schwarzen Löchern auf den Grund gegangen.
milchstraße
Die Milchstraße über ALMA, ALMA (ESO / NAOJ / NRAO), C. Padilla
 
Die großen Silvesterfeiern liegen gerade hinter uns und natürlich war die Digital- oder Handy-kamera immer dabei. Neben vielen schönen Erinnerungen gibt es aber auch immer diese Handvoll von Aufnahmen, nach Silvesterpunsch oder Anstoßen beim ‘Dinner for One’-Marathon, bei denen man sich eine Tarnkappe oder zumindest einen guten Sichtschutz gewünscht hätte…
Denkt man da an astronomische Objekte, könnte man meinen, dass die ‘Schwarzen Löcher’ in puncto Unauffälligkeit wirklich alles richtig gemacht haben: Denn wie soll man ein ‘Loch’, noch dazu ein schwarzes, bei Nacht in einer völlig dunklen Umgebung sehen?
Und tatsächlich – das Schwarze Loch selbst wird man nie zu Gesicht bekommen. Aber sein enormer Appetit lässt seine Umgebung nicht unbeeinflusst und die außergewöhnlichen Folgen verraten nicht nur seine Existenz, sondern geben auch wertvolle Hinweise auf seine Eigenschaften.
Nach der Devise ‘wo Rauch ist, muss auch Feuer sein’ suchen Astronomen weltweit nach den Aus-wirkungen, wenn die Schwergewichte Materie aus ihrer Nachbarschaft sammeln und einen Teil, nicht weniger spektakulär, an ihre Umgebung zurückgeben.
Bei den Schwarzen Löchern unterscheidet man stellare Schwarze Löcher, die aus dem Kollaps von schweren Sternen am Ende ihres Lebens entstehen und die richtigen Schwergewichte, die im Zentrum von Galaxien sitzen.
Das Konzept der stellaren Schwarzen Löcher ist schon länger bekannt und Astronomen können auf einige theoretische Modelle zu ihrer Beschreibung zurückgreifen. Bereits im 18. Jahrhundert ent-warfen Forscher wie Pierre Laplace und John Michell die Idee, es könne “dunkle Sterne” geben – Sterne, deren Schwerkraft so groß ist, dass noch nicht einmal Licht ihre Oberfläche verlassen kann.
In den 1960er Jahren arbeitete der amerikanische Physiker John Wheeler auf dem Gebiet der Allgemeinen Relativitätstheorie und befasste sich unter anderem auch mit dem Gravitationskollaps von astronomischen Objekten, zum Beispiel dem Ende sehr schwerer Sterne. Während eines Vortrags 1969 prägte er erstmals den Begriff des ‘Schwarzen Lochs’. Und erweiterte die anschauliche Beschreibung noch um das ‘no hair theorem’ (wörtlich ‘keine-Haare-Theorem’) auch bekannt als ‘Glatzensatz’. Dieses Theorem besagt, dass ein Schwarzes Loch vollständig durch nur drei Angaben beschrieben werden kann: Masse, Ladung und Drehimpuls. Mehr Eigenschaften, also ‘Haare’, lassen sich von ihm nicht bestimmen.
Das erste Objekt, das nach seiner Entdeckung mit einem Schwarzen Loch assoziiert wurde, ist das Doppelsternsystem Cygnus X-1. Einer der beiden Mitwirkenden, ein Blauer Riesenstern, verliert gewaltige Mengen an Materie, die von seinem Partner akkretiert, also aufgesammelt, werden. Die Beobachtung des Verhaltens dieser Materie läßt nur den Schluss zu, dass es sich bei diesem Partner um ein extrem kompaktes Objekt handeln muss: eben um ein Schwarzes Loch.
 
On the left, an optical image from the Digitized Sky Survey shows Cygnus X-1, outlined in a red box. Cygnus X-1 is located near large active regions of star formation in the Milky Way, as seen in this image that spans some 700 light years across. An artist's illustration on the right depicts what astronomers think is happening within the Cygnus X-1 system. Cygnus X-1 is a so-called stellar-mass black hole, a class of black holes that comes from the collapse of a massive star. New studies with data from Chandra and several other telescopes have determined the black hole's spin, mass, and distance with unprecedented accuracy.
Künstlerische Darstellung von Cygnus X-1, NASA, CXC, M. Weiss
 
Materie, die unwiederbringlich vom Schwarzen Loch verschluckt wird, fällt nun aber nicht schnell und direkt in das Schwarze Loch hinein wie der Autoschlüssel in den Gully. Stattdessen nähert sich die Materie spiralförmig, eine Scheibe an akkretiertem Material bildet sich aus, wobei sie sich auf dem langen Weg nach innen sehr stark aufheizt. Aus dieser Akkretionsscheibe erreicht uns dann von der heißen Materie ausgesandte, sehr energiereiche Strahlung. Und diese können Astronomen dann beobachten und Rückschlüsse auf die Art der akkretierten Materie und das Schwarze Loch selbst ziehen.
Und dann gibt es eben die Schwarzen Löcher, die Schwergewichte, die im Zentrum der allermeisten Galaxien zu Hause sind und ihre Umgebung mehr oder weniger auf Trab halten. Auch im Zentrum unserer Milchstrasse, 26000 Lichtjahre von uns entfernt, sitzt solch ein Schwergewicht mit der viermillionenfachen Sonnenmasse.  Der Ursprung dieser Objekte wirft immer noch viele Fragen auf und ist Gegenstand aktueller Forschung. Um so viele Informationen wie möglich zu sammeln, suchen Astronomen besonders nach solchen Kandidaten, die man gerade beim Festmahl (große Akkretionsrate) beobachten kann; ruhigere Kandidaten, die sich zwar durch ihre enorme Schwer-kraft bemerkbar machen, aber zur Zeit ein Verdauungsschläfchen halten (kleine Akkretionsrate) eignen sich weniger. Das macht die Suche nach geeigneten Objekten noch um einiges komplizierter.
Um ein Schwarzes Loch bilden sich zusammen mit der Akkretionsscheibe häufig gebündelte, sehr energiereiche Materiestrahlen, sogenannte Jets. Diese Jets werden durch die Schwerkraft des Schwarzen Lochs angetrieben und emittieren starke Strahlungssignale, oft im Infrarot- und Radio-bereich. Akkretionsscheiben und Jets sind damit zwei Aspekte des gleichen Phänomens, und indem die Astronomen beides gleichzeitig untersuchen, können sie die physikalischen Vorgänge unter die Lupe nehmen, die in der Nähe eines Schwarzen Lochs ablaufen.
Mit dem Atacama Large Millimeter Array (ALMA) ist es zwei  Forschergruppen gelungen, solche Ausströmungen aus gigantischen Schwarzen Löchern im Zentrum zweier Galaxien zu beobachten: das weit entfernte (11 Milliarden Lichtjahre) aktive Objekt PKS 1830-211 und die relativ nahe (30 Millionen Lichtjahre) ruhige Balkenspiralgalaxie NGC 1433.
Die neuen, präzisen Daten haben in letzterer einen Materiejet sichtbar gemacht, der vom Schwarzen Loch wegströmt und sich über 150 Lichtjahre erstreckt. Eigentlich eine beeindruckende Länge, doch nach kosmischen Maßstäben ist dieser Jet eher ein Jetlein: es ist die kleinste derartige Ausströmung, die jemals in einer anderen Galaxie beobachtet werden konnte.
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Blick ins Zentrum von NGC 1433, bei dem erstmals die Miniaturausgabe eines Jets beobachtet wurde.
ALMA (ESO / NAOJ / NRAO) / NASA / ESA / F. Combes
 
Die verbesserte Genauigkeit in der räumlichen Auflösung erlaubt es den Forschern auch, die Wechselwirkung von Jet und umgebender Materie genauer zu untersuchen. Viele wichtige Puzzle-teile zur Beantwortung der Fragen, was einen Jet antreibt und wie er etwa auf die Sternentwicklung nahe des Zentrums und die zentrale Verdickung (der sogenannte ‘Bulge’) einer Galaxie wirkt, konnten zusammengefügt werden.
Bei der aktiven Galaxie PKS 1830-211 hatte das Forscherteam besonderes Glück: Während einer Beobachtungsphase konnte man plötzlich beobachten, wie das Schwarze Loch nach einem besonders üppigen Mahl ‘aufstoßen’ musste: die Intensität des Spektrums erhöhte sich in kurzer Zeit deutlich sowohl im langwelligen Bereich, als auch im Bereich der Gammastrahlung, der energiereichsten Form elektromagnetischer Strahlung mit kürzesten Wellenlängen. Der Prozess, der für den Strahlungsanstieg in dem von ALMA beobachteten langwelligen Spektralbereich verantwortlich ist, scheint damit auch für den drastischen Anstieg der Strahlungsintensität des Jets bis in den Bereich der höchsten Strahlungsenergien im Universum verantwortlich zu sein.
Dies war das erste Mal, dass eine deutliche und unzweifelhafte Verbindung zwischen (kurz-welligen) Gammastrahlen und (langwelligen) (Sub-)millimeterwellen hergestellt werden konnte: vermutlich stammen sie von der Basis des Jets eines Schwarzen Lochs, wenn neue Materie recht genau im Bereich des Jet-Austritts in das Schwarze Loch stürzt. Um einer genaueren Erklärung näher zu kommen, müssen aber noch viele weitere Beobachtungsdaten ausgewertet werden: Dazu suchen die Astronomen auch nach gleichartigen Objekten, die sich in einer ganz ähnlichen Phase befinden könnten.
Damit sind die Astronomen dem Verständnis der galaktischen Schwarzen Löcher ein großes Stück näher gekommen. Doch noch sind viele Fragen offen, die man mit Hilfe leistungsstarker astronomischer Anlagen wie ALMA zu beantworten sucht. Und manchmal hilft auch einfach der Zufall, wenn man beim Blick in den Himmel das Teleskop zur richtigen Zeit zum richtigen Ort gerichtet hat.
In diesem Sinne ein frohes und ereignisreiches neues Jahr!
 
Die diesem Artikel zugrunde liegenden Veröffentlichungen (in Englisch) können für 1) NGC 1433 und 2) PKS 1830-211 kostenfrei abgerufen werden unter:

  1. Combes et al.

“ALMA observations of feeding and feedback in nearby Seyfert galaxies: an AGN-driven outflow in NGC 1433”
 

  1. Marti-Vidal et al.

“Probing the jet base of the blazar PKS1830-211 from the chromatic variability of its lensed images. Serendipitous ALMA observations of a strong gamma-ray flare”
 
Weitere Informationen zu ALMA erhält man unter:
 

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