Astronomie ohne Teleskop – Nicht begründbare Leistungsfähigkeit

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff
Gravitationswellen sind anscheinend ungemein schwierig mit Einsteins Feldgleichungen darzustellen, da sie äußerst dynamisch und nicht-symmetrisch sind. Um Voraussagen zu den vermuteten Effekten von Gravitationswellen zu erhalten, bestand bisher die einzige Möglichkeit darin, die Parameter der Einsteinschen Gleichung zu vereinfachen: man nahm einfach an, das Objekte, die Gravitationswellen verursachen, selbst keine starken Gravitationsfelder erzeugen – und sich auch nicht nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegen.
Prekär ist nur, daß die meisten der aussichtsreichsten Kandidaten, die meßbare Gravitationswellen erzeugen könnten – eng beieinander stehende Neutronensterne und verschmelzende Schwarze Löcher – aber genau diese Eigenschaften besitzen. Es sind äußerst kompakte, sehr massereiche Körper, die sich oft mit relativistischen Geschwindigkeiten (d.h. nah an der Lichtgeschwindigkeit) bewegen.
Ist es aber dann nicht seltsam, daß die oben beschriebene, grobe Näherung sogar hervorragend das Verhalten nahe beieinander stehender massereicher Binärsysteme und verschmelzender Schwarzer Löcher beschreibt?! Daher titelt eine kürzlich erschienene Arbeit: Über die unbegründete Effektivität der Post-Newtonschen Näherung in der Gravitationsphysik.
Zwar hat bis heute niemand Gravitationswellen gemessen, aber schon 1916 vermutete Einstein ihre Existenz und zeigte auf mathematischem Weg, daß Gravitationsstrahlung auftreten sollte, wenn man eine kugelförmige Masse durch eine rotierende Hantel gleicher Masse ersetzt, die, auf Grund ihrer Geometrie, dynamische Ebbe- und Fluteffekte in der Raumzeit erzeugt.
Um Einsteins Theorie zu testen, ist es notwendig, sehr empfindliche Meßinstrumente zu konstruieren – bis heute sind solche Versuche jedoch fehlgeschlagen. Weitreichende Hoffnungen ruhen nun auf der Laser Interferometer Space Antenna (LISA), welche aber nicht vor dem Jahr 2025 gestartet werden dürfte.

Das geplante Laser Interferometer Space Antenna System (LISA) setzt Laserinterferometrie ein, um die Veränderungen in den relativen Entfernungen zwischen drei Raumsonden zu überwachen, die in einem gleichseitigen Dreieck mit einer Seitenlänge von je fünf Millionen Kilometern angeordnet sind. Man hofft, daß solch ein System empfindlich genug ist, um Gravitationswellen aufzuspüren. Quelle: NASA


 
Wie empfindlich die Meßeinrichtung von LISA auch sein mag: zuvor muß man ermitteln, welche Form das Phänomen hat und welche Form die Daten besitzen, welche einen eindeutigen Beleg für eine Gravitationswelle darstellen würden – daß heißt, alle Theorie und Mathematik ist erforderlich, um diese erwarteten Werte zu bestimmen.
Zunächst arbeiteten Theoretiker eine Post-Newtonsche (d.h. Einsteinsche Ära) Näherung (d.h. grobe Schätzung) für ein rotierendes Binärsystem aus, auch wenn eingestanden wurde, daß diese Näherung nur für ein System geringer Masse und niedriger Geschwindigkeit erfolgreich funktionieren würde –das System verkomplizierende relativistische Effekte und Gezeiteneffekte, die durch Eigengravitation und den Geschwindigkeiten der binären Objekte hervorgerufen werden, konnten hierbei außer Acht gelassen werden.
Dann kam das Zeitalter der numerischen Relativität. Supercomputer ermöglichten es, die Dynamik der sich mit relativistischen Geschwindigkeiten bewegenden, nah beieinander stehenden massereichen binären Objekte tatsächlich zu berechnen, in der Art und Weise, wie Supercomputer die dynamischen Wettersysteme der Erde berechnen können.
Überraschenderweise, oder wenn man so will ohne jeglichen Grund, waren die berechneten Werte der numerischen Relativität nahezu identisch mit denen, die man durch die angeblich so mangelhafte Post-Newtonsche Näherung abgeleitet hatte. Denn der Post-Newtonsche Näherungsansatz soll gerade nicht zur Beschreibung dieser Situationen geeignet sein.
All die Autoren bleiben auf der Hoffnung sitzen, daß die gravitative Rotverschiebung dafür sorgt, daß Vorgänge nahe sehr massereicher Objekte langsamer und gravitativ „schwächer“ für einen außenstehenden Beobachter erscheinen als sie es in Wirklichkeit sind. Das könnte – irgendwie, mehr oder weniger – die nicht begründbare Effektivität der Post-Newtonschen Näherung erklären – irgendwie, mehr oder weniger.
Weiterführende Literatur (im Internet zu finden unter):
arXiv:1102.5192v1
Clifford M. Will
On the unreasonable effectiveness of the post-Newtonian approximation in gravitational physics (2011)