Astronomie ohne Teleskop – Körnigkeit

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

  gammastrahlenEin Gammastrahlen-Ausbruch ist eine Gelegenheit, etwas über die Natur des vermeintlich „leeren Raums“ des Vakuums abzuleiten, das zwischen uns und dem Ausbruch liegt. Im Fall von Gamma Ray Burst GRB 041219A sind das 300 Millionen Lichtjahre an Vakuum. Quelle: ESA

Die sehr kurze Wellenlänge der Gammastrahlung bietet die Möglichkeit, hochaufgelöste Daten über feinste Details zu gewinnen – vielleicht sogar Einzelheiten über die Quantenstruktur des Vakuums. Mit anderen Worten: Aussagen über die Körnigkeit des leeren Raums.
Die Quantenphysik behauptet, daß das Vakuum alles andere als leer ist, sondern gefüllt mit virtuellen Teilchen, die regelmäßig auf der Skala der Planckzeit ins Dasein treten und wieder verschwinden. Die vorgeschlagene Teilchennatur der Gravitation erfordert ebenfalls Teilchen, die Gravitonen, um die gravitativen Wechselwirkungen zu übertragen. Deshalb sollte man zur Stützung einer Theorie der Quantengravitation erwarten können, Hinweise auf eine gewisse Körnigkeit in der Struktur der Raumzeit zu finden.
Derzeit gibt es ein großes Interesse, Hinweise auf Verletzungen der Lorentz-Invarianz zu finden – denn die Lorentz-Invarianz ist ein fundamentales Prinzip der Relativitätstheorie. Sie fordert (neben anderen Dingen), daß die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum immer konstant ist.
Licht wird verlangsamt, wenn es Materialien durchquert, die einen Brechungsindex besitzen – so wie Glas oder Wasser. Dagegen erwartet man im Vakuum ein solches Verhalten nicht – außer, gemäß der Quantentheorie, bei den extrem winzigen Plancklängen.
Theoretisch könnte man sich eine Lichtquelle vorstellen, die bei allen Wellenlängen – also über das gesamte Energiespektrum – strahlt, um auf diese Weise sehr hohe Energien zu bekommen. Der sehr kurze Wellenlängenanteil des Spektrums wird von der Struktur des Vakuums beeinflußt, während der Rest des Spektrums der Lichtquelle nicht betroffen wird.
Es gibt zumindest philosophische Probleme, wenn man dem Raum des Vakuums einen strukturellen Aufbau zubilligt, denn er wird dadurch zu einem (absoluten) Hintergrund-Bezugssystem – ähnlich dem hypothetischen Lichtäther, den Einstein ablehnte und so zur Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie führte.
Dennoch hoffen Theoretiker die gegenwärtige Spaltung zwischen der im Großen gültigen Allgemeinen Relativitätstheorie und der auf kleinen Skalen gültigen Quantenphysik zu überwinden, indem sie eine auf Beweise gestützte Theorie der Quantengravitation einführen. Es kann sein, daß man bei kleinen Größenordnungen existierende Verletzungen der Lorentz-Invarianz findet, daß solche Verletzungen aber auf großräumigen Skalen unbedeutend werden – vielleicht als Ergebnis der Quantendekohärenz.
Quantendekohärenz könnte es erlauben, daß das großräumige Universum weiter mit der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibbar bleibt, aber durch eine vereinheitlichte Quantengravitationstheorie dennoch erklärbar ist.
Am 19.12.2004 entdeckte das im Weltraum stationierte Gammastrahlen-Observatorium INTEGRAL  den Gammastrahlenausbruch GRB 041219A, einer der hellsten aufgezeichneten Ausbrüche dieser Art. Die Strahlung des Ausbruchs zeigte Hinweise auf eine Polarisation – und wir können sicher sein, daß alle beobachteten Effekte auf Quantenniveau durch die Tatsache gestützt wurden, daß sich der Ausbruch in einer anderen Galaxie ereignete und das Licht mehr als 300 Millionen Lichtjahre durch das Vakuum reiste, um uns zu erreichen.
Wie groß auch immer die Polarisation der Strahlung war, die auf die Struktur des Vakuums zurückgeführt werden kann, sie würde nur im Gammastrahlenbereich des Spektrums sichtbar sein. Man fand, daß die Differenz zwischen der Polarisation der Gammastrahlung und dem Rest des Spektrums – nun… nicht meßbar war.
Die Autoren eines kürzlich veröffentlichten Artikels (siehe unten) über die Daten von INTEGRAL sagen, daß die Auflösung bis zur Planck-Skala reicht, die bei 10-35 m liegt. Die INTEGRAL-Daten schränken die Möglichkeit jedweder Quantenkörnigkeit sogar bis hinab zu 10-48 m oder noch kleiner ein.
Die Autoren sagen, daß diese Entdeckung einen großen Einfluß auf die gegenwärtigen theoretischen Möglichkeiten für eine Quantengravitationstheorie haben sollten – und schicken damit eine ganze Menge Theoretiker zurück an die Tafel.
 
Weiterführende Literatur (im Internet zu finden):
arXiv:1106.1068v1
Laurent, D. Gotz, P. Binetruy, S. Covino, A. Fernandez-Soto
Constraints on Lorentz Invariance Violation using INTEGRAL/IBIS observations of GRB041219A (2011)