Astronomie ohne Teleskop – Galaktisches Schwerkraftlabor

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Es wurden viele alternative Gravitationstheorien erdacht; einige sind ernst zu nehmen, doch kann man viele schwerlich als wissenschaftlichen Beitrag ansehen. Jetzt besteht aber die Möglichkeit, die eigene Lieblingstheorie zu testen. Mit deren Hilfe berechnet man, was mit einem Objekt geschehen sollte, das ein Schwarzes Loch auf einer engen Umlaufbahn umkreist. Die so erhaltenen Voraussagen lassen sich nun mit den Beobachtungen an S2 und womöglich weiteren Sternen vergleichen, da diese Sterne eng um das zentrale, massereiche Schwarze Loch unserer Galaxis kreisen. Das Schwarze Loch soll sich an der Stelle befinden, an der die Radioquelle Sagittarius A* liegt.

S2, ein heller Stern der Spektralklasse B, ist seit 1995 genau beobachtet worden. In dieser Zeit hat er das Schwarze Loch einmal vollständig umkreist, so daß die Bahnperiode unter 16 Jahren liegt.

Man kann erwarten, daß die Bahnbewegung des Sterns S2 von dem abweicht, was man mit Hilfe des 3. Kepler’schen Gesetzes und Newtons Gravitationstheorie vorausberechnet. Diese Abweichung sollte um 3 Größenordnungen höher ausfallen als der von der klassischen Theorie abweichende Betrag, den man bei der Merkurbahn beobachtet. In beiden Fällen, sowohl bei Merkur als auch bei S2 wird die Abweichung durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als Ergebnis der Krümmung der Raum-zeit vorausgesagt. Die Krümmung der Raumzeit wird durch ein nahe gelegenes, massereiches Objekt verursacht – in Merkurs Fall die Sonne, im Fall von S2 das Schwarze Loch.

S2 bewegt sich mit einer Umlaufgeschwindigkeit von etwa 5.000 km/s – das entspricht nahezu 2% der Lichtgeschwindigkeit. Man vermutet, daß sich S2 zum Zeitpunkt seiner größten Annäherung an das Schwarze Loch (Perigalaktikum) bis auf 5 Milliarden Kilometer dessen Schwarzschildradius nähert. Der Schwarzschildradius ist die Grenze, jenseits dessen Licht dem Schwarzen Loch nicht mehr ent-kommen kann – eine Grenze, die wir im Allgemeinen leichtfertig als Oberfläche des Schwarzen Lochs ansehen. Der Schwarzschildradius des zentralen massereichen Schwarzen Lochs unserer Galaxis ent-spricht annähernd der Entfernung Sonne – Merkur. Zum Zeitpunkt seiner größten Annäherung an das Schwarze Loch befindet sich S2 ungefähr in einer Entfernung, die der Distanz Sonne – Pluto ent-spricht.

Man schätzt die Masse des Schwarzen Lochs auf ungefähr 4 Millionen Sonnenmassen. Daraus kann man folgern, daß es einige Millionen Sterne seit seiner Entstehung im frühen Universum verschlungen haben dürfte. Das läßt auch den Schluß zu, daß S2 nur auf Grund seiner unglaublich hohen Bahn-geschwindigkeit von etwa 5.000 km/s noch existiert. Diese sorgt dafür, daß S2 um das Schwarze Loch herum und nicht in das Schwarze Loch fällt. Zum Vergleich: Pluto bleibt im Orbit um die Sonne durch die die gemächliche Bahngeschwindigkeit von gerade einmal 5 km/s gefangen.

Die Position von S2 (Rektaszension und Deklination) ändert sich mit der Zeit und damit läßt sich die Radialgeschwindigkeit (gibt die Translationsbewegung wieder) an verschiedenen Punkten auf seiner Umlaufbahn berechnen. Dies eröffnet eine Möglichkeit, theoretische Voraussagen (auch die unserer Lieblingstheorie) an Hand von Beobachtungen zu testen.

Zum Beispiel ist es mit Hilfe dieser Beobachtungsdaten möglich, verschiedenen Eigenheiten der Bahn von S2, die nicht mit Kepler und Newton zu erklären sind, nachzuspüren. Dazu gehören

  • die Effekte der Allgemeinen Relativitätstheorie (aus einem externen Bezugssystem betrachtet, gehen in starken Gravitationsfeldern Uhren langsamer [Zeitdilatation] und Längen verkürzen sich [Längenkontraktion]). Diese Effekte erwartet man bei der Umkreisung eines klassischen Schwarzschild’schen Schwarzen Lochs (ein Schwarzes Loch ohne Eigendrehimpuls).

  • das Quadrupol-Massemoment (trägt der Tatsache Rechnung, daß das Schwerkraftfeld eines Himmelskörpers auf Grund seiner Rotation nicht genau kugelförmig sein kann). Es handelt sich um zusätzliche Effekte, die man bei der Umkreisung eines Kerr’schen Schwarzen Lochs – einem Schwarzen Loch mit Eigendrehung – erwartet.

  • Dunkle Materie (die klassische Physik deutet darauf hin, daß Galaxien bei den gegebenen Rotationsgeschwindigkeiten auseinanderfliegen sollten; das führt zu der Schlußfolgerung, daß es dort mehr Materie geben muß als man sehen kann).

Doch diese Erklärungen sind nur ein Weg, die Beobachtungsdaten zu interpretieren. Jeder kann nun seine eigene alternative Lieblingstheorie an den Daten testen. Und vielleicht kommt dabei irgendwann einmal sogar wirklich etwas Brauchbares heraus.

Weiterführende Literatur (im Internet zu finden unter):

arXiv:1008.1720v4

L. Iorio

Long-term classical and general relativistic effects on the radial velocities of the stars orbiting Sgr A* (2010)