Was ionisierte das Universum? (Originalartikel vom 22.03.2019)

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Eine Aufnahme des Hubble-Weltraum-Teleskops der NASA/ESA des im sichtbaren Licht rasch schwindenden Feuerballs von einem Gammastrahlen-Ausbruch in einer fernen Galaxie. In einer neue Untersuchung verwendete man die Spektren des Nachglühens von 140 Gammastrahlen-Ausbrüchen, um den Betrag an ionisierender Strahlung von massereichen Sternen abzuschätzen, die aus Galaxien entkommen sind, um das intergalaktische Medium zu ionisieren, und fand das überraschende Ergebnis, daß die ionisierende Strahlung sehr gering ist.
Andrew Fruchter (STScI) and NASA / ESA

Das wenige, verteilte heiße Gas, das im Raum zwischen den Galaxien vorkommt, das sogenannte intergalaktische Medium, ist ionisiert. Die Frage ist, wie? Astronomen wissen, daß, als das frühe Universum expandierte und dann genügend abgekühlt war, Wasserstoff (sein Hauptbestandteil) zu neutralen Atomen rekombinierte. Als dann neu gebildete massereiche Sterne im sogenannten „Zeitalter der Reionisation“ zu leuchten begannen, ionisierte deren extrem ultraviolette (EUV) Strahlung vermutlich das Gas in Prozessen, die heute noch andauern. Doch einer der zentralen Schritte ist nicht richtig verstanden, nämlich in welchem Ausmaß die ionisierende Strahlung der Sterne aus den Galaxien in das intergalaktische Medium (IGM) entkommt. Nur wenn der Anteil der entkommenden Strahlung während des Zeitalters der Reionisation groß genug war, könnte Sternenlicht die Ionisation verursacht haben, andernfalls ist irgendeine andere wichtige Quelle für die ionisierende Strahlung erforderlich. Dies könnte das Vorkommen eines großen Bestands an exotischeren Objekten wie lichtschwache Quasare, Röntgendoppelsterne oder vielleicht sogar zerfallender/sich vernichtender Teilchen mit sich bringen.

Direkte Untersuchungen des EUV-Lichts sind schwierig, da das neutrale Gas diese Strahlung sehr stark absorbiert. Da sich das Universum ausdehnt, überdeckt die Absorption im Spektrum mit zunehmender Entfernung mehr und mehr den optischen Bereich, bis Beobachtungen von kosmologisch fernen Galaxien im Optischen grundsätzlich unmöglich sind. CfA-Astronom Edo Berger arbeitete in einem großen Kollegen-Team, das die Menge an absorbierendem Gas durch Analyse der Spektren des Nachglühens von Gammastrahlen-Ausbrüchen (gamma-ray burst = GRB) abzuschätzen suchte. GRBs sind gleißende Strahlungsausbrüche, die ausgelöst werden, wenn der Kern eines massereichen Sterns zusammenbricht. Sie sind hell genug, so daß, da ihre Strahlung in schmalen spektralen Linien durch Gas entlang der Sichtlinie absorbiert wird, man diese Linien messen und nutzen kann, um die Menge an absorbierendem atomaren Wasserstoff zu berechnen. Diese Zahl kann dann direkt zu einem Fluchtfaktor für das ultraviolette Licht der zugehörigen Galaxie umgerechnet werden. Obschon eine einzelne Beobachtung eines GRB in einer Galaxie keine belastbare Messung ergibt, sollte eine Serie an GRBs die Chance eröffnen, eine repräsentative Messung an massereichen Sternen entlang aller Sichtlinien zu liefern.

Die Astronomen haben sehr sorgfältig die Spektren des Nachglühens von 140 GRBs in Galaxien, die sich bis in Epochen geringfügig unter einer Milliarde Jahre nach dem Urknall erstreckten, vermessen. Sie fanden einen bemerkenswert kleinen Fluchtfaktor – weniger als ungefähr 1% der ionisierenden Photonen erreichte das intergalaktische Medium. Das spektakuläre Ergebnis hält fest, daß Sterne nur einen kleinen Beitrag zur gesamten ionisierenden Strahlung im Universum seit dieser frühen Periode bis heute liefern, selbst bei Galaxien, die lebhaft neue Sterne hervorbringen. Die Autoren diskutieren mögliche Gründe, weshalb GRBs keine genaue Messung der Absorption liefern könnten, doch ist kein einziger Grund besonders überzeugend. Das Resultat erfordert eine Bestätigung sowie zusätzliche Messungen, legt aber nahe, daß eine umfassende Neubewertung des Ionisationsbudgets des intergalaktischen Mediums im Universum notwendig ist.

Literatur:

„The Fraction of Ionizing Radiation from Massive Stars That Escapes to the Intergalactic Medium“

N. R. Tanvir et al.

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 483, 5380, 2019

oder

arXiv1805.07318v1

[astro-ph.GA]

18 May 2018