Wandernde Schwarze Löcher

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://pweb.cfa.harvard.edu/news)

Ein Bild aus der Computersimulation ROMULUS, das eine Galaxie mittlerer Masse, deren helle Zentralregion mit ihrem supermassereichen Schwarzen Loch zeigt, dazu die Standorte (und Geschwindigkeiten) „wandernder“ supermassereicher Schwarzer Löcher (solche, die nicht auf den Kern beschränkt sind; die Markierung 10 kpc entspricht einer Entfernung von ungefähr 31 Tausend Lichtjahren). Simulationen haben die Entwicklung und Häufigkeit von wandernden supermassereichen Schwarzen Löchern untersucht; im frühen Universum enthalten sie einen Großteil der Masse, die in Schwarzen Löchern vorkommt.
Ricarte et al., 2021

Jede massereiche Galaxie soll ein supermassereiches Schwarzes Loch (supermassive black hole = SMBH) in ihrem Zentrum beherbergen. Seine Masse steht mit der Masse der inneren Bereiche (und auch mit einigen anderen Eigenschaften) seines Gastgebers in Beziehung, vermutlich, da das SMBH wächst und sich entwickelt, während die Galaxie selbst auch durch Verschmelzungen mit anderen Galaxien und dem Einfall von Material aus dem intergalaktischen Medium wächst. Wenn Material zum galaktischen Zentrum wandert und auf das SMBH stürzt, bringt es einen aktiven galaktischen Kern (active galactic nucleus = AGN) hervor; Abströmungen oder andere Rückkopplungen vom AGN wirken dann destruktiv, sie unterdrücken die Sternbildung in der Galaxie. Moderne kosmologische Simulationen verfolgen jetzt selbstständig Sternentstehung als auch Wachstum der SMBH in Galaxien vom frühen Universum durchgehend bis zum heutigen Tag und bestätigen diese Ideen.

Der Verschmelzungsprozeß führt naturgemäß zu einigen SMBHs, die minimal aus dem Zentrum der größer gewordenen Galaxie gerückt sind. Der Weg zu einem einzelnen, gemeinsamen SMBH ist kompliziert. Manchmal bildet sich zuerst ein aus zwei Einheiten bestehendes SMBH, die dann allmählich zu einem SMBH verschmelzen. Dabei können Gravitationswellen erzeugt werden, die meßbar sind. Jedoch kann die Verschmelzung manchmal verzögert oder unterbrochen sein – zu verstehen weshalb ist eines der zentralen Rätsel in der Entwicklung von SMBHs. Neue kosmologische Simulationen mit dem ROMULUS-Code sagen vorher, daß selbst nach einer Milliarde Jahren der Entwicklung einige SMBHs nicht im Kern verbleiben, sondern stattdessen durch die Galaxie wandern.

CfA-Astronom Angelo Ricarte leitete ein Kollegenteam, das solch wandernde Schwarze Löcher beschreibt. Unter Einsatz der ROMULUS-Simulationen fand das Team heraus, daß im heutigen Universum (daß heißt, etwa 13.7 Milliarden Jahre nach dem Urknall) ungefähr zehn Prozent der Masse von Schwarzen Löchern in Wanderern enthalten sein könnte. Zu früheren Zeiten, zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall oder jünger, scheinen diese Wanderer im Universum sogar von größerer Bedeutung zu sein und bergen einen Großteil der Masse von Schwarzen Löchern. Ja, die Wissenschaftler stellen sogar fest, daß zu diesen frühen Zeiten die Wanderer zudem den größten Teil der Strahlung produzieren, die von der SMBH-Population stammt. In einer damit in Zusammenhang stehenden Veröffentlichung untersuchen die Astronomen die beobachtbaren Signaturen der wandernden SMBH-Population.

Literatur:

„Origins and Demographics of Wandering Black Holes“

Angelo Ricarte, Michael Tremmel, Priyamvada Natarajan, Charlotte Zimmer and Thomas Quinn

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 503, 6098, 2021

oder

arXiv:2103.12124v1 [astro-ph.GA] 22 Mar 2021

„Unveiling the Population of Wandering Black Holes via Electromagnetic Signatures“

Angelo Ricarte, Michael Tremmel, Priyamvada Natarajan, and Thomas Quinn

The Astrophysical Journal Letters, 916, L18, 2021

oder

arXiv:2107.02132v1 [astro-ph.GA] 5 Jul 2021