Vagabundierende Sterne im Bulge der Milchstraße

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Durch das Hubble-Weltraum-Teleskop gewonnene Aufnahmen eines Mikrolinsensystems. Das linke Bild wurde 3.7 Jahre nach einem beobachteten Mikrolinsenereignisses gemacht; das Bild rechts entstand 8.9 Jahre später, nachdem die sich bewegende, im Vordergrund liegende (als Linse wirkende) Quelle die Position geändert hatte. Die verstärkte und die Quellenkomponente (A und B) sind in dem späteren Bild klar voneinander getrennt.
NASA/Hubble

Die Bahn eines Lichtstrahls wird, wie durch die Allgemeine Relativitätstheorie erklärt, durch die Anwesenheit von Masse gekrümmt. Ein massereicher Körper kann daher wie eine Linse – eine sogenannte „Gravitationslinse“ – wirken und das Bild eines Objekts, das sich hinter der Linse befindet, verformen. Der Mikrolinseneffekt ist ein verwandtes Phänomen: ein kurzer Lichtblitz wird verursacht, wenn ein sich bewegender Himmelskörper, der als Gravitationslinse wirkt, die Lichtintensität eines Sterns im Hintergrund moduliert, vor dem der Körper zufällig vorbeizieht. Vor ungefähr fünfzig Jahren sagten Wissenschaftler voraus, daß, sollte es je möglich werden, den Blitz eines Mikrolinseneffekts aus zwei deutlich voneinander getrennten Blickwinkeln zu beobachten, mit einer Parallaxenmessung der Abstand zu dem dunklen Objekt im Hintergrund genau zu bestimmen wäre. Das Spitzer-Weltraum-Teleskop, das die Sonne im gleichen Abstand wie die Erde umrundet, der Erde aber in einer Entfernung von ungefähr einem Viertel der Erdumlaufbahn nacheilt, arbeitete mit erdgebundenen Teleskopen für genau solch eine Suche zusammen, bis es letzten Monat durch die NASA aus Kostenersparnis abgeschaltet wurde.

CfA-Astronomin Jennifer Yee ist Mitglied in einem großen internationalen Astronomenteam, das Parallaxenmessungen der Mikrolinseneffekte von kleinen stellaren Objekten durchführt. Die Technik ist ein starkes Hilfsmittel zur Untersuchung isolierter Objekte, etwa vagabundierende Planeten, Braune Zwerge, Sterne geringer Masse und Schwarzer Löcher. Am unteren Ende der Massenskala hat der Mikrolinseneffekt schon zur Entdeckung von mehreren vagabundierenden Planetenkandidaten, darunter ein paar Objekte, die vielleicht Erdmasse besitzen, geführt. Solche Entdeckungen sind zum Prüfen von Theorien zur Herkunft und Entwicklung vagabundierender Planeten sehr wichtig. In ähnlicher Weise haben Beobachtungen des Mikrolinseneffekts von massereicheren Objekten wie einzeln stehende Braune Zwerge einige Objekte identifiziert, die in gewisser Hinsicht entgegengesetzt zu normalen Sternen in der Scheibe kreisen. Objekte mit der Masse eines Sterns, durch den Mikrolinseneffekt entdeckt, bringen Schwarze Löcher stellarer Masse und Neutronensterne zum Vorschein.

Neue Mikrolinseneffekt-Parallaxenbeobachtungen konnten die Massen, und auch Entfernungen, von zwei kleinen, isolierten Sternen bestimmen. Einer hat ungefähr 0.6 Sonnenmassen und ist etwa 23,700 Lichtjahre von uns entfernt; das Modell für den zweiten Stern ist doppeldeutig und kommt zu dem Schluß, daß er entweder 0.40 Sonnenmassen besitzt und etwa 24,800 Lichtjahre entfernt ist oder 0.38 Sonnenmassen besitzt und 24,300 Lichtjahre entfernt ist. Beide Sterne sind Rote Riesen und liegen in dem Erdnuss-förmigen Bulge aus alten Sternen (circa zehn Milliarden Jahre alt) in der Milchstraße, der im Radius ungefähr siebentausend Lichtjahre in der zentralen Region unserer Galaxis mißt. Die neuen Ergebnisse, gemeinsam mit sechs früheren Parallaxen- Mikrolinseneffekt-Messungen verleiht heutigen Modellen zur Galaxis und der Ausformung ihres Bulges starken Rückhalt.

Literatur:

„Spitzer Microlensing Parallax Reveals Two Isolated Stars in the Galactic Bulge“

Weicheng Zang et al.

The Astrophysical Journal 891, 3, 2020

oder

arXiv:1904.11204v1 [astro-ph.SR] 25 Apr 201