Röntgenstrahlung von Dunkler Materie

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://www.cfa.harvard.edu)

Ein zusammengesetztes Bild eines Galaxienclusters, geformt durch die Kollision von zwei großen Galaxienclustern. Heißes, Röntgenstrahlung aussendendes Gas ist in rosa und Dunkle Materie (aus ihrem gravitativen Einfluß abgeleitet) in blau gezeigt. Astronomen haben archivierte Daten von Chandra genutzt, um die Möglichkeit dafür einzuengen, daß die rätselhafte Dunkle Materie im Universum aus sterilen Neutrinos besteht.
X-ray: NASA / CXC / CfA / M. Markevitch et al.
Optical: NASA / STScI; Magellan / U. Arizona / D. Clowe et al.
Lensing Map: NASA / STScI; ESO WFI; Magellan / U. Arizona / D. Clowe et al.

Rund fünfundachtzig Prozent der Materie im Kosmos sendet, soweit bekannt ist, weder Licht noch irgendeine andere bekannte Form von Strahlung aus und wird deshalb Dunkle Materie genannt. Eine ihrer anderen bemerkenswerten Eigenschaften ist, daß sie mit anderer Materie nur mittels Gravitation wechselwirkt; sie trägt beispielsweise keine elektromagnetische Ladung. Dunkle Materie wird auch „Dunkel“ genannt, da sie rätselhaft ist. Sie besteht nicht aus Atomen oder deren üblichen Bausteine (wie Elektronen und Protonen) oder irgendwelche anderen Arten von bekannten Elementarteilchen.

Da Dunkle Materie mit Abstand die beherrschende Komponente an Materie im Universum ist, haben ihre Verteilung und Schwerkraft die Entwicklung von galaktischen Strukturen ebenso wie die Verteilung der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung tiefgreifend beeinflußt. Die bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Werten wichtiger kosmischer Parameter (wie die Ausdehnungsrate des Universums), unabhängig abgeleitet aus zwei völlig verschiedenen kosmischen Strukturen, Galaxien und der Mikrowellen-Hintergrund, läßt tatsächlich Modelle des Urknalls glaubwürdig erscheinen, die für Dunkle Materie eine wichtige Rolle fordern.

Physiker haben sich neuartige, mit den bekannten Gesetzen des Universums vereinbare Teilchen ausgedacht, um Dunkle Materie zu erklären, aber bisher ist keines davon bestätigt worden. Eine verlockende Möglichkeit auf neues Teilchen bildet das sogenannte „sterile Neutrino“. Heute gibt es drei bekannte Arten an Neutrinos. Sie alle wechselwirken mit Materie über die Schwerkraft und über die schwache Kraft (die schwächste der vier Naturkräfte). Sie alle, so die ursprüngliche Vermutung, sollten wie das Photon keine Masse besitzen, aber vor ungefähr zwanzig Jahren entdeckten Physiker, daß sie eine winzige Masse aufweisen – etwa eine Million Mal geringer als die Masse eines Elektrons, doch trotzdem groß genug, um für das sogenannte Standardmodell der Elementarteilchenphysik ein folgenschweres Problem aufzuwerfen. Eine mögliche Lösung wäre die Existenz eines vielleicht tausend Mal massereicheren Neutrinos, das als „steriles Neutrino“ bezeichnet wird, da es nicht über die schwache Kraft interagieren würde. Es ist niemals entdeckt worden.

Astronomen erkannten, daß, wenn Dunkle Materie aus sterilen Neutrinos bestehen würde, dann, wenn diese Teilchen gelegentlich zerfallen, sie ein messbares Röntgenphoton aussenden könnten. Vor etwa sieben Jahren berichteten Röntgenastronomen von der Entdeckung einer eigenartigen, schwachen Signatur im Röntgenemissionsspektrum von Galaxienclustern, in denen die Dunkle Materie vorherrschend war. Sie regten an, daß diese Struktur das Signal des sterilen Neutrinos sein könnte. In den folgenden Jahren hat es mit nur gemischtem Erfolg viele Versuche gegeben, die Entdeckung zu bestätigen oder sie instrumentellen oder auch anderen nichtastronomischen Effekten zuzuordnen. Die CfA-Astronomen Esra Bulbul und Francesca Civano haben mit ihren Kollegen auf der Suche nach diesem flüchtigen Signal jetzt eine umfassende Studie archivierter Daten des Chandra-Röntgen-Observatoriums abgeschlossen. Es gelang ihnen nicht, dieses Signal zu finden, aber ihre neue Auswertung, die im Einklang mit anderen, kürzlich veröffentlichten Grenzen steht, schränkt die mögliche Zerfallseigenschaft des vermuteten sterilen Neutrinos noch stärker, bis zu einem Faktor zwei unterhalb einiger Annahmen, ein; aber gänzlich ausschließen können die Forscher das sterile Neutrino nicht.

Literatur:

„Probing the Milky Way’s Dark Matter Halo for the 3.5keV Line”

Dominic Sicilian, Nico Cappelluti, Esra Bulbul, Francesca Civano, Massimo Moscetti and Christopher S. Reynolds

The Astrophysical Journal 905, 146, 2020

oder

arXiv: 2008.02283v3 [astro-ph.HE] 5 Oct 2020