Hundert Tonnen Außerirdische

Dr. Ilka Petermann – Arizona State University, Tempe/USA
Sie haben weder eine Affinität zu Untertassen, noch möchten sie nach Hause telefonieren – aber klein und grün sind sie manchmal schon: Meteorite. Der Großteil dieser kosmischen Festkörper, die die Atmosphäre durchqueren und dabei zum allergrößten Teil verglühen bevor sie den Erdboden erreichen, sind ‚Mikrometeorite‘ mit wenigen Milligramm Gewicht. Und mit den schön anzusehenden, etwas größeren ‚Schnuppen‘ hat man dann ja bekanntlich einen Wunsch frei: etwa den, dass die großen Brocken an der Erde vorbeifliegen mögen… (Abb.1)

Chicxulub-Asteroid

Abb.1: Links der Chicxulub-Asteroid, der vermutlich ein Hauptgrund für das Aussterben der Dinosaurier war. In der Mitte ein Brocken, der die Erde vor 3.26 Milliarden Jahren traf (denn da konnte noch keiner bei einer Sternschnuppe Wünsche denken). Rechts zum Vergleich die höchste Erhebung auf der Erde, der Mount Everest. Quelle: American Geophysical Union


 
‘Man sieht des Nachts, bei einem heitern Himmel, bisweilen einen glänzenden Strahl in der Luft fortschießen, den man Sternschnuppe nennt. Dieser Meteor entsteht wahrscheinlich in den höhern Gegenden der Atmosphäre durch Entzündung brennbarer, phosphorischer Luftarten.‘ So steht es im Lehrbuch für Kinder aus dem Jahre 1837 ‚Vater Beresfort’s naturhistorische Unterhaltungen mit seinen Söhnen über die Wunder, die Pracht und den Nutzen der Meteore (online abrufbar über die Digitale Bibliothek Braunschweig) und gibt damit die herrschende Lehrmeinung der damaligen Zeit wieder.
In einigen Teilen der Welt wurden den vom Himmel gefallenen Steinen magische Kräfte zugestanden oder sie wurden gar als göttliche Zeichen betrachtet (Meteorit von Nogata, Japan, aus dem Jahre 861, der in das Dach eines Schreins einschlug oder der wie ein menschlicher Embryo geformte Meteorit in einer alten indianischen Siedlung in Arizona, USA). Anders ein im 19. Jahrhundert in Bitburg niedergegangener Eisenmeteorit mit einem Gewicht von beeindruckenden anderthalb Tonnen, der ganz praktisch verwertet wurde – nach umfassenden Schmiedeversuchen sind von dem Ursprungskoloss nur noch einige wenige Stückchen des ursprünglichen Materials in Museen in Berlin, Bonn und Tübingen zu sehen. In der Wissenschaft galt ein irdischer Ursprung für Meteore als einzig mögliche Erklärung. In die Höhe geschleuderte Gesteinsbrocken, Ergebnisse von vulkanischen ‚Dämpfen‘, durch Blitze zusammengefügte Schwebeteilchen oder eben Vater Berenfort’s Erklärung.
Einer der ersten, der Meteoritenfälle systematisch untersuchte, war der Wittenberger Physiker Ernst Florens Friedrich Chladni. Er beschrieb Meteoriten als ‚Irrläufer aus dem All‘ – und wurde dafür von den meisten seiner Zeitgenossen, auch von führenden Wissenschaftlern wie dem Göttinger Professor Georg Christoph Lichtenberg, belächelt. Erst ein Meteoritenschauer im Jahre 1803 in der Stadt Aigle in Frankreich half seiner Hypothese zum Durchbruch: Mehrere tausend Meteorite konnten aufgelesen und untersucht werden und Wissenschaftler erkannten schnell den deutlichen Unterschied zu den Steinen der Umgebung.
Heute werden Meteorite entweder nach ihrer Struktur in undifferenzierte (die ‚Chondrite‘, nach den etwa einen Millimeter großen Silikatkügelchen, den Chondren, die in einer feinkörnigen Grundsubstanz eingeschlossen sind) oder differenzierte (‚Achondrite‘) Meteorite eingeteilt; auch nach der Zusammensetzung kann eine Einteilung vorgenommen werden. Die sogenannten Eisenmeteorite bestehen fast vollständig aus Eisen und Nickel, die Steinmeteorite aus Siliziumdioxid oder Magnesiumoxid. Auch zu den Meteoriten gezählt, aber diesmal wirklich irdischen Ursprungs, sind die Glasmeteorite oder Tektite. Diese meist grünen, natürlichen Gläser entstehen durch die enorme Energie eines Meteoriteneinschlags, die irdisches Material schmelzen. Durch die Wucht des Aufschlags werden die kleinen Glasstücke über einen weiten Bereich in der Umgebung des Impakts verteilt. Bisher sind weltweit nur vier solcher Streufelder bekannt – eines davon ist das Nördlinger Ries (Einschlag vor 15 Millionen Jahren) mit den größten Fundorten in Tschechien am Flusslauf der Moldau. Eine Altersbestimmung der sogenannten ‚Moldavite‘ konnte den Meteoriteneinschlag und die grünen Glasmeteorite eindeutig miteinander verknüpfen.
Ein neuer Fund aus Südschweden fügt dem übersichtlichen Schema jedoch ein neues Detail hinzu. Wissenschaftler haben in einem Steinbruch einen weltweit einzigartigen, neuen Meteoriten-Typ gefunden, dessen Struktur sich keiner derzeit bekannten Gruppe zuordnen lässt. Sein Ursprung könnte in einer Asteroidenklasse zu suchen sein, welche heute nicht mehr beobachtet wird – sozusagen ein ausgestorbener Dinosaurier unter den Asteroiden. Der Meteorit ‚Österplana 65‘ (Abb.2), der knappe zehn Zentimeter misst, kann damit neue Hinweise auf eine gewaltige Asteroidenkollision vor 470 Millionen Jahren geben. Aus der Analyse von Kalksteinsedimenten weiß man, dass im Erdzeitalter des Ordovizium, in dem hauptsächlich einfache Gliederfüßer ‚Beobachter‘ eines gewaltigen Meteorschauers wurden, bis zu hundertmal mehr Bruchstücke auf die Erdoberfläche trafen. Die gewöhnlichen Chondrite, die neben Öst-65 auch in dem Steinbruch gefunden wurden, weisen dasselbe Alter auf. Daher geht man davon aus, dass die Kollisionspartner ein ‚Standardasteroid‘ und der heute nicht mehr vorhandene Asteroid-Typ waren. Weitere Untersuchungen sollen auch Aufschluss darüber geben, ob solch ein ‚astronomischer Aufruhr‘, der mit einem Meteoritenhagel einhergeht, möglicherweise auch direkt mit Änderungen in Flora und Fauna verknüpft werden kann.
Abb.2: Der neu entdeckte Meteorit Österplana 65 (dunkelgrau), eingebettet in 470 Millionen Jahre alten Kalkstein. Quelle: © Birger Schmitz

Abb.2: Der neu entdeckte Meteorit Österplana 65 (dunkelgrau), eingebettet in 470 Millionen Jahre alten Kalkstein.
Quelle: © Birger Schmitz


Neben diesen Meteoriten aus dem interplanetaren Raum, die Aufschluss über die frühesten Phasen unsers Sonnensystems geben, gibt es aber auch noch ‚Besucher‘ von unseren Nachbarn: die Mond- und Marsmeteoriten. Sie entstehen durch Asteroideneinschläge auf diesen Himmelskörpern, sodass durch die Wucht des Aufschlags Oberflächenmaterial die Fluchtgeschwindigkeit übersteigt und ins Weltall, und damit auch Richtung Erde, geschleudert wird (ob es damit auch möglich wäre, dass Erdmeteoriten mit ‚weltraumreisenden Bakterien‘ der jungen Erde auf dem Mond oder Mars gelandet sind, ist dabei eine interessante – wenn auch vielleicht oft eher philosophische – Fragestellung). Sicher ist aber, dass bereits 1815 in Chassigny in Frankreich ein solcher Marsmeteorit gefunden wurde, der aufgrund seines Alters und vor allem seines vulkanischen Ursprungs wegen nicht aus der Frühphase unseres Sonnensystems stammen kann. Für Mondmeteoriten wie dem 1981 in der Antarktis gefundenen ‚Allan Hills 81005‘ ist der Nachweis etwas einfacher zu führen, da ein Vergleich mit mitgebrachten Mondgesteinen der Apollo-Missionen, durchgeführt werden kann.
Zum Glück sind die meisten außerirdischen Anwesenden stille Gäste. Von den sogenannten Mikrometeoren, deren Durchmesser kleiner als ein Millimeter ist, erreichen die Erde zwar 1000-10.000 Tonnen täglich, die meisten verglühen jedoch vollständig in der Erdatmosphäre. Etwas größere Meteore mit bis zu einem Zentimeter Durchmesser geben schöne ‚Schnuppen‘ (angelehnt an das verkohlte, noch glühende Dochtende einer brennenden Kerze) ab, doch auch von den etwa 25 Tonnen kosmischen Materials kommt so gut wie nichts auf dem Erdboden an. Insgesamt gehen Schätzungen von täglich 40-100 Tonnen neuem Meteoritenmaterial auf der Erde aus – eine verschwindend geringe Menge bei einer Erdmasse von knapp sechs Trilliarden (eine sechs mit 21 Nullen!) Tonnen…
Meteore, deren scheinbare Helligkeit die der Venus als hellsten sichtbaren Planeten übersteigt, werden oft als Boliden oder Feuerkugeln bezeichnet. Neben ihrer tatsächlichen Masse kommt es auch auf ihre Zusammensetzung und Eintrittsgeschwindigkeit an, ob auch sie vollständig verglühen oder ob kleine Bruchstücke die Erdoberfläche erreichen. Doch mit etwas mehr Sinn für Dramatik ausgestattet, können sie zuweilen mit einer starken Geräuschentwicklung in Form eines Überschallknalls einhergehen.
Abb.3a: Eisenmeteorit Hoba in Namibia. 1955 wurde er zum Nationaldenkmal erklärt. Quelle: Eugen Zibiso, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/ index.php?curid=28134130

Abb.3a: Eisenmeteorit Hoba in Namibia. 1955 wurde er zum Nationaldenkmal erklärt.
Quelle: Eugen Zibiso, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/
index.php?curid=28134130


 
Abb.3b: Eisenmeteorit 'El Chaco' in Argentinien. Dieses Fragment ist Teil eines größeren Brockens, der über 100 t gewogen haben dürfte. Quelle: https://www.mindat.org/loc23487.html

Abb.3b: Eisenmeteorit ‚El Chaco‘ in Argentinien. Dieses Fragment ist Teil eines größeren Brockens, der über 100 t gewogen haben dürfte.
Quelle: https://www.mindat.org/loc23487.html


 
Und dann gibt es noch die zum Glück ausgesprochen seltenen schweren Fälle. Denen bereitet die Atmosphäre nur ein leichtes Kitzeln und sie landen als mächtiger Brocken mit den Ausmaßen eines Kleinwagens auf der Erde. Die außerirdische Goldmedaille geht hierbei an den Eisenmeteoriten ‚Hoba‘ (Namibia, Abb.3a), der es auf 60 Tonnen bringt, gefolgt von ‚El Chaco‘ (Argentinien, Abb.3b) mit 37 Tonnen und ‚Ahnighito‘ (Grönland, Abb.3c), 31 Tonnen. Trostpreise gehen an ‚Bacubirito‘ (Mexico, 22 Tonnen), ‚Agpalilik‘ (Grönland, 20 Tonnen), sowie ‚Mbosi‘ (Tansania) und ‚Willamette‘ (Oregon, USA) beide mit ungefähr 16 Tonnen. Und noch schwerere Besucher würden schließlich verheerende Krater in die irdische Gastfreundschaft schlagen – aber das wäre ein ganz eigener Artikel…
 
Abb.3c: Eisenmeteorit 'Ahnighito' aus Grönland. Dieses Teilstück findet sich heute im American Museum of Natural History. Quelle: Mike Cassano, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19892268

Abb.3c: Eisenmeteorit ‚Ahnighito‘ aus Grönland. Dieses Teilstück findet sich heute im American Museum of Natural History.
Quelle: Mike Cassano, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19892268


 
Und somit sind die meisten ‚In-der-Luft-schwebenden‘ (oder auf Altgriechisch: ‚Meteor‘, Abb.4) auch kein Fall für die ‚Men in Black‘, sondern für Schnuppen-Beobachter und vielleicht den einen oder anderen glücklichen Finder eines kleinen (magnetischen) Außerirdischen.
Abb.4: Beim Meteor von Tscheljabinsk in Russland vom 15. Februar 2013 handelte es sich um den größten beobachteten Meteor seit mehr als hundert Jahren. Diese Aufnahme entstand aus einer Entfernung von etwa 200 km. Quelle: Alex Alishevskikh

Abb.4: Beim Meteor von Tscheljabinsk in Russland vom 15. Februar 2013 handelte es sich um den größten beobachteten Meteor seit mehr als hundert Jahren. Diese Aufnahme entstand aus einer Entfernung von etwa 200 km.
Quelle: Alex Alishevskikh