Ein Rosetta-Stein für Planetenbildung

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://www.cfa.harvard.edu)

Dieses Bild zeigt die Scheibe um den jungen Stern AB Aurigae im polarisierten nahinfraroten Licht, wie sie SPHERE, ein Instrument am European Very Large Telescope, sieht. Messungen der Molekülbestandteile der Scheibe bei Millimeter-Wellenlängen offenbaren einige unerwartete Eigenschaften, darunter eine wärmere Temperatur, mehr Staub und ein Mangel an Schwefel.
ESO / Boccaletti et al.

Planeten entwickeln sich aus der Gas- und Staubscheibe um einen Stern, aber die Mechanismen dafür sind nur schlecht verstanden. Gas ist der Schlüsselfaktor in der dynamischen Entwicklung von Planeten, da es zum Beispiel eine beherrschende Komponente (durch die Masse) der Scheibe ist. Der Zeitraum, über den sich das Gas verflüchtigt, setzt den zeitlichen Rahmen für Planetenbildung, doch hat man gerade erst begonnen, seine Verteilung in Scheiben sorgfältig zu messen. In ähnlicher Weise bestimmt die chemische Zusammensetzung des Gases die Zusammensetzung der zukünftigen Planeten und ihrer Atmosphären, doch selbst nach Jahrzehnten des Studiums von protoplanetaren Scheiben sind Aussagen zu ihren chemischen Zusammensetzungen kaum möglich; sogar die Verhältnisse von Gas zu Staub sind zum größten Teil unbekannt.

Die genaue Beschreibung einzelner Quellen liefert Einblicke in die physikalische und chemische Natur der protoplanetaren Scheiben. Der Stern AB Aurigae ist ein viel untersuchtes System, das eine junge Übergangsscheibe aufweist, eine Scheibe mit Lücken, die ein Leerräumen durch sich neu formende Planeten andeuten. 536 Lichtjahre (±1%) von der Sonne entfernt gelegen, ist es nah genug, um ein ausgezeichneter Kandidat zu sein, bei dem die räumliche Verteilung von Gas und Staub im Detail untersucht werden kann. CfA-Astronom Romane Le Gal war Mitglied in einem Team, das mit dem NOrthern Extended Millimeter Array (NOEMA) die Gasscheibe von AB Aur mit hoher räumlicher Auflösung in den Emissionslinien von CO, H2CO, HCN und SO untersuchte; zusammen mit archivierten Resultaten umfaßt ihr Datensatz insgesamt siebzehn verschiedene spektrale Merkmale. Die Forscher kartierten erstmals bei einer Übergangsscheibe die Gasdichte und das Verhältnis von Gas zu Staub mit dem Fund, das es niedriger als erwartet war – die Hälfte des Wertes, den man beim interstellaren Medium mißt und an einigen Orten sogar um das Vierfache niedriger. Wie sich zeigte, konnte man mit verschiedenen Molekülen unterschiedliche Regionen der Scheibe, etwa die Hülle oder die Oberfläche, nachzeichnen. Das Team ermittelte eine durchschnittliche Scheibentemperatur von ungefähr 39 K, wärmer als für andere Scheiben abgeschätzt. Daneben ergab ihre chemische Analyse die relativen Häufigkeiten der chemischen Stoffe und die Feststellung (abhängig von einigen Annahmen), daß Schwefel im Vergleich zum Vorkommen im Sonnensystem stark reduziert ist. Die wichtigste Folgerung in der neuen Veröffentlichung, daß die planetenbildende Scheibe um diesen massereichen jungen Stern beträchtlich anders ist als erwartet, betont die Wichtigkeit der Durchführung solch detaillierter Beobachtungen von Scheiben um massereiche Sterne.

Literatur:

„AB Aur, a Rosetta Stone for Studies of Planet Formation I. Chemical study of a planet-forming disk”

P. Rivière-Marichalar, A. Fuente, R. Le Gal, C. Baruteau, R. Neri, D. Navarro-Almaida, S. P. Treviño-Morales, E. Macías, R. Bachiller, and M. Osorio

Astronomy & Astrophysics 642, A32, 2020

oder

arXiv:2008.00751v2 [astro-ph.SR] 4 Aug 2020