Die Erde steht nicht still

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

Eine graphische Darstellung über die Lage von Galaxien am Himmel, welche zwischen ungefähr 280 – 420 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Entfernungen sind farbcodiert, mit rot, blau und grün, die jeweils die gleiche Gruppe mit wachsendem Abstand in dem genannten Abstandsbereich repräsentieren. Eine neue Studie hat die Entfernungen von 97.6% der Galaxien im Umkreis von einer Milliarde Lichtjahren um die Erde herum gemessen. J. Huchra et al. 2012


 
Die Erde steht nicht still. Sie umkreist die Sonne, die wiederum das Zentrum der Milchstraße umkreist, die sich ihrerseits innerhalb der Lokalen Gruppe bewegt – einer Ansammlung von etwa vierundfünfzig Galaxien in unserer “Nachbarschaft” (d.h. im Umkreis von ungefähr zehn Millionen Lichtjahren um die Erde). Die Lokale Gruppe selbst “fällt” in Richtung des Virgo-Galaxienclusters, eine Zusammenballung von über 1.000 Galaxien, etwa fünfzig Millionen Lichtjahre entfernt in Richtung des Sternbilds Virgo und dessen Schwerkraft die Milchstraße anzieht. Nachdem 1960 die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung entdeckt wurde, begannen die Astronomen nach Anzeichen dieser Bewegungen der Erde gegenüber der Hintergrundstrahlung zu suchen. Erste Hinweise kamen Mitte der 1970-ger und den 1980-ger Jahren und ließen ein ernsthaftes Problem erkennen: die gemessene Bewegung der Erde in Bezug auf den kosmischen Hintergrund war bedeutend niedriger als die Summe aller oben aufgeführten Bewegungen. Eine mögliche Lösung bestand darin, daß unser Wissen um die Verteilung von Galaxien falsch war.
John Huchra, der hervorragende CfA-Astronom, der tragischerweise im Oktober 2010 im Alter von 61 Jahren starb, war ein Wegbereiter bei der Untersuchung großräumiger Strukturen des Universums. Zusammen mit seinen Kollegen kartierte er die Position von nahezu 20.000 der am nächsten gelegenen Galaxien im All zeigte damit, daß Galaxien nicht gleichförmig im Universum verteilt sind. Vielmehr scheint das lokale Universum eine Struktur zu besitzen, beherrscht von ausgedehnten Filamenten, Blattstrukturen und Leerräumen, darunter „die Große Wand“, eine dünne Wand aus Galaxien, etwa 600 Millionen Lichtjahre breit, 250 Millionen Lichtjahre hoch und 30 Millionen Lichtjahre tief – eine der größten bekannten Strukturen im Universum. Die Entdeckung dieser großen Strukturen und ihrer gravitativen Einflüsse half dabei, das Rätsel der gemessenen Erdbewegung in Bezug auf den kosmischen Hintergrund zu lösen. Aber trotz dieser bahnbrechenden Leistung waren die meisten Galaxien in der weiteren Nachbarschaft nicht in die Betrachtung mit einbezogen worden. Zudem war die Genauigkeit der Ergebnisse um einiges schlechter als die Genauigkeit neuerer Untersuchungsmethoden zum kosmischen Hintergrund –wie etwa beim Durchbruch zur Beschleunigung des Universums, der geholfen hat, das kosmische Bild im Großen zu bestätigen und Gestalt zu geben.
Während der letzten zehn Jahre vor seinem Tod hatte John Huchra an einem anderen riesigen und wichtigen Projekt gearbeitet: die Untersuchung jeder einzelnen der 44.599 Galaxien, die in der Infrarot-2MASS-Durchmusterung sichtbar sind, um ihre Entfernung zu bestimmen und sie in eine größere, vollständigere und genauere dreidimensionale Karte des erdnahen Universums einzufügen. Diese Arbeit wurde in diesem Monat veröffentlicht; die aus neunzehn Mitarbeitern bestehende Gruppe machte Huchra, um seine Führung und wissenschaftliche Arbeit zu ehren sowie in Erinnerung an ihn, posthum zum Erstautor.
In der Arbeit werden neue spektroskopische Beobachtungen von elftausend Galaxien und archivierte Spektren der restlichen Galaxien verwendet, um einen Entfernungskatalog zu erhalten, der für 91% des Himmels zu 97.6% vollständig ist (innerhalb zuverlässiger, wohldefinierter Grenzen). Es ist eine noch nie dagewesene Erfassung sämtlicher normaler Materie (in Form von Galaxien) innerhalb eines Radius von etwa einer Milliarde Lichtjahren um die Erde; zusätzlich präsentiert die Arbeit morphologische Formen aus einer nahezu vollständigen Untergruppe von 20.860 Galaxien. Das Ergebnis verbessert und vervollständigt die frühere Arbeit in einer höchst professionellen Durchmusterung des nahen Universums und ist eine passende Anerkennung in Erinnerung an diesen wegweisenden Astronomen und verehrten Kollegen.