Die Bildung von kohlenstoffreichen Molekülen im All

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

Computersimulation der Bildung komplexer organischer Moleküle im All. Die kugelförmigen Molekülstrukturen, die sich bei 3.000 K an der Graphen-Oberfläche bilden, sind in ihrer Gestalt den Fullerenen ähnlich. Die roten Atome stammen aus der Gasphase, die weißen Atome sind von der Oberfläche.
Marshall and Sadeghpour


 
Der Raum zwischen den Sternen ist nicht leer, sondern enthält eine große Menge an diffusem Material, das in etwa 5-10% der Gesamtmasse unserer Galaxis (ausgenommen Dunkle Materie) ausmacht. Das meiste davon ist Gas, überwiegend Wasserstoff, doch mit einem geringen, aber wichtigen Anteil an komplexen, kohlenstoffhaltigen Molekülen, wie beispielsweise Ethen, Benzol, Propinal, Methanol und weitere Alkohole, Cyanide, einfache Aminosäuren und sogar größere Moleküle (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und sogenannte Fußballmoleküle) mit fünfzig und mehr Kohlenstoffatomen. Einige Teilchenarten, etwa die Cyanide, weisen relative Häufigkeiten ähnlich denen auf, die in den Kometen unseres Sonnensystems zu beobachten sind; dies deutet darauf hin, daß die örtliche Kohlenstoffchemie nicht einzigartig ist.
Ein für Astronomen wichtiges, aber ungelöstes Problem ist, wie diese komplexen organischen Moleküle entstehen. Die Lösung liegt wohl in den interstellaren Staubkörnern. Diese winzigen Körnchen stellen ungefähr 1% der Masse am interstellaren Material und sind hauptsächlich aus Silikaten, mit etwas Kohlenstoff und/oder anderen Elementen, aufgebaut. Diese Körner scheinen für die im interstellaren Medium ablaufende Chemie unentbehrlich zu sein, da sie Gasmolekülen eine Oberfläche zur Verfügung stellen, an der sie mit anderen Molekülen reagieren können.
Die Astrophysiker David Marshall und Hossein Sadeghpour vom CfA haben mit einer neuen Generation von Supercomputern (Harvard’s Odyssey Research Cluster) nachgeahmt, wie sich Atome im Weltraum verbinden könnten, um kohlenstoffreiche Moleküle und Cluster zu bilden – entweder in der Gasphase oder auf der Oberfläche von Staubkörnern. Ihre Simulationen liefen für Temperaturen im Bereich von 100 bis 3.000 Kelvin (repräsentativ für Werte in der stellaren Nachbarschaft) und 4.128 Atome (die Zahl beinhaltet Atome sowohl an der Kornoberfläche als auch in der Gasphase) – eine unrealistisch große Zahl im Zusammenhang mit der tatsächlichen Dichte der interstellaren Materie; trotzdem lassen sich Tendenzen erkennen und nur die besten Computer können zur Zeit solche Teilchenzahlen in vertretbaren Rechenzeiten, wie etwa Tagen, handhaben.
Die Forscher stellen fest, daß bei niedrigen Temperaturen die Kornoberfläche hilft, schnelleres Wachstum als in der Gasphase zu ermöglichen und daß allgemein die Oberflächentemperatur ein wichtiger Faktor ist, um Molekülstrukturen, insbesondere ihre geometrische Komplexität, festzulegen. Diese Forschungsarbeit liefert wichtige neue Einblicke in die Bildung von großen, kohlenstoffreichen Molekülen an astrophysikalischen kohleartigen Oberflächen. Marshall und Sadeghpour folgern zum Beispiel, daß, obwohl lange kettenförmige und verzweigte Moleküle sich an Kornoberflächen bilden können, diese nicht genügend Energie besitzen, um an der Oberfläche hängen zu bleiben und deshalb umher schweben, wohingegen sie oberhalb 1.000 Kelvin dazu tendieren, an der Oberfläche zu kleben und isolierte große Cluster zu bilden, die sich zu komplexen Strukturen ähnlich den Fußballmolekülen entwickeln.
Literatur:
„Simulating the formation of carbon-rich molecules on an idealized graphitic surface“
David W. Marshall and H. R. Sadeghpour
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 455, 2889–2900 (2016)