Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff
(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)
Der Cygnus-Bogen (auch bekannt als Schleier-Nebel) ist ein Supernova-Überrest, die Trümmer aus dem explosiven Untergang eines massereichen Sterns vor ungefähr zehn- bis zwanzigtausend Jahren. Die präzise Modellierung seines eindrucksvollen filamentartigen Umrisses legt nahe, daß sich die Explosion im Inneren eines interstellaren Hohlraums ereignete, den der Vorläuferstern bildete. Wie in der Astronomie üblich, erweisen sich viele ermittelte physikalische Eigenschaften des Objekts auf Grund der unklaren Entfernung als unsicher. Wissenschaftler benutzten über Jahrzehnte für die Entfernung einen Wert von etwa 2.500 Lichtjahren, der auf Untersuchungen der Gasbewegungen des Überrests zurückging, die Hubble 1937 und Minkowski 1958 ausführte. Viele Entfernungsabschätzungen neueren Datums variieren über einen großen Bereich, stimmen aber meist mit dem Wert von 2.500 Lichtjahren überein, allerdings stammt der meist zitierte Wert von einer Messung aus 2005 und liegt zwischen 1.500 und 2.100 Lichtjahren.
Während der vergangenen zwei Jahrzehnte haben Astronomen versucht, die Entfernung durch Messung der Abstände zu Sternen, die sich entweder hinter oder innerhalb des Nebels befinden, genauer zu bestimmen – ermittelt durch die in deren Spektren durch den Nebel herbeigeführten, beobachtbaren Absorptionslinien; doch die Entfernungen dieser Sterne sind ihrerseits wieder unsicher und Parallaxen-Messungen einiger Sternabstände sind ebenfalls fragwürdig gewesen. In jüngerer Zeit hat es zudem Bemühungen gegeben, die Entfernung durch Verwendung der Gasbewegungen des Nebels selbst direkt zu messen. Die veröffentlichten Schätzungen lassen den Schluß zu, daß die Entfernung sicher unterhalb von 2.600 Lichtjahren liegt und mit dem alten Wert von 2.500 Lichtjahren in Übereinstimmung steht.
Der Satellit Gaia hat genaueste Messungen von Sternparallaxen durchgeführt und die neuesten Kataloge wurden jetzt veröffentlicht. CfA-Astronom John Raymond arbeitete mit vier Kollegen zusammen, um die Gaia-Daten zur Lösung des Entfernungsproblems des Cygnus-Bogens heranzuziehen; sie suchten in zwei Dutzend Sternspektren nach Anhaltspunkten der durch das Gas verursachten Absorption und grenzten dabei die Sterne als Vorder- oder Hintergrundobjekte ein. Ihr Ergebnis: 2.420 Lichtjahre zum zentralen Bereich des Nebels, mit einer Unsicherheit von 3.4%. Sie identifizierten darüber hinaus einen Stern, dessen Wind mit dem Supernova-Überrest in Wechselwirkung steht. Der neue Befund zur Entfernung hat mehrere wichtige Konsequenzen. Dies bedeutet, daß die Supernova, welche den Bogen hervorbrachte, weniger Energie als zuvor vermutet besaß, womöglich um den Faktor vier geringer (aber dennoch etwa so viel Energie, wie die heutige Sonne in sechs Milliarden Jahren abstrahlen würde). Das Ergebnis besagt zudem, daß der Nebel vermutlich eine nicht kugelförmige Form besitzt, wobei der östliche Bogen näher bei uns liegt als die westliche Seite, und einen Durchmesser von ungefähr 120 Lichtjahren hat.
Literatur:
“The Cygnus Loop’s distance, properties, and environment driven morphology”
Robert A. Fesen, Kathryn E. Weil, Ignacio A. Cisneros, William P. Blair and John C. Raymond
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 481, 1786, 2018
oder
arXiv:1809.01713v2 [astro-ph.HE] 8 Oct 2018