Astronomie ohne Teleskop – Unser merkwürdiges Sonnensystem

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Eine circumstellare Schuttscheibe um ein alterndes Sternsystem kann darauf hinweisen, daß erdähnliche Planeten in dieser Scheibe liegen – da solch eine Scheibe aus bei Kollisionen zerriebenen, felsartigen Planetesimalen resultiert. Quelle: NASA


 
Kürzlich durchgeführte Modellrechnungen für Sterne mit Sonnenmasse und einem Planetensystem ergaben, daß ein System mit vier felsartigen Planeten und vier Gasriesen in stabilen Umlaufbahnen – und nur einem spärlich besetzten äußeren Ring aus Planetesimalen – nur eine Wahrscheinlichkeit von 15 bis 25 % besitzt, sich zu entwickeln. Während man der Aussagekraft eines Modells skeptisch gegenüber stehen kann, daß das bestbekannteste Planetensystem zu einem unwahrscheinlichen Fall werden läßt, könnten dennoch ein paar Wahrheiten in diesem Befund stecken.
Dieses Modell geht einerseits von kürzlich gewonnenen Daten über bekannte Exoplaneten aus und basiert andererseits auf einigen beim ersten Anschein vernünftigen Annahmen. Zuerst nimmt man an, daß sich Gasriesen nicht innerhalb der „Frostlinie“ eines Sternsystems bilden können – eine Linie, außerhalb der Wasserstoffverbindungen wie Wasser, Methan und Ammoniak in gefrorener Form existieren. Für unser Sonnensystem liegt diese Linie bei etwa 2.7 Astronomischen Einheiten von der Sonne entfernt – was annähernd in der Mitte des Asteroidengürtels ist.
Man vermutet, daß sich Gasriesen nur weit außerhalb entstehen können, da deren Bildung ein großes Reservoir an festem Material (in Form von Eis) voraussetzt, welches dann die Kerne der Gasriesen bildet. Obwohl außerhalb der Frostlinie ebenfalls Fels aufbauendes Material, wie Eisen, Nickel und Silizium vorhanden sein könnte, sind diese Materialien aber nicht so verbreitet, daß sie eine wichtige Rolle bei der Bildung von Riesenplaneten spielen. Zudem wird jedes gebildete Planetesimal von den Riesen verschlungen oder aus ihrer Umlaufbahn geschleudert.
Innerhalb der Frostlinie sind hingegen felsige Materialien die vorherrschenden Ausgangsstoffe zur Planetenbildung – da das meiste, leichte Gas durch die Kraft des Sternwinds aus der Region geblasen wurde und andere leichte Komponenten (H2O und CO2) sich nur innerhalb der durch Akkretion aus schwereren Materialien (wie Eisen, Nickel und Silikaten) bildenden Planetesimale bewahren konnten. Nennenswert große felsige Planeten würden sich vermutlich in diesen Gebieten innerhalb von 10 – 100 Millionen Jahren nach der Geburt des Sterns bilden.
Daher wird, wenn auch einschränkt, vermutet, daß man mit einem System aus drei Regionen startet – eine innere, erdähnliche Planeten formende Region, eine Gasriesen hervorbringende Region und äußere Bereiche mit ungebundenen Planetesimalen, wo die Schwerkraft des Sterns nicht ausreicht, das Material für weitere Zusammenballung anzuziehen.
Auf dieser Grundlage ließen Raymond et al. einen Satz von 152 Varianten laufen, aus denen sich weit-reichende Regeln ergaben. So scheint es, daß die Wahrscheinlichkeit für die Existenz langlebiger, erdähnlicher innerer Planeten sehr von der Stabilität der Umlaufbahnen der Gasriesen abhängig ist. Häufig führen gravitative Störungen unter den Gasriesen zu exzentrischer werdenden Umlaufbahnen, was zu einem Hinausschießen der terrestrischen Planeten führt – oder sie werden auf Kollisionskurs mit dem Mutterstern geschickt. Nur 40 % der modellierten Systeme bewahrten mehr als einen erdähnlichen Planeten, 20 % hatten nur noch einen und 40 % hatten alle erdähnlichen Planeten verloren.

Der Mond hat die umfassende Geschichte des späten schweren Bombardements von vor 4.1 bis 3.8 Milliarden Jahren bewahrt – ein Ergebnis der Neuorientierung der Gasriesen. Diese Neuorientierung räumte nicht nur viel von der Trümmerscheibe des frühen Sonnensystems weg, sondern schleuderte Material in das innere Sonnensystem, um die felsigen Planeten zu beschießen.


 
Schuttscheiben aus heißem und kaltem Staub wurden als allgemeine Erscheinung in älteren Systemen gefunden, die terrestrische Planeten bewahrten. In allen Systemen wurde der ursprüngliche Staub großteils innerhalb der ersten wenigen 100 Millionen Jahren weggeschafft – durch Strahlung oder durch Planeten. Wenn aber terrestrische Planeten erhalten blieben, gibt es eine Auffrischung dieses Staubs – vermutlich durch Zerkleinern bei der Kollision der felsigen Planetesimale.
Diese Feststellung findet sich in der Arbeit mit dem Titel Debris disks as signposts of terrestrial planet formation wieder. Wenn dieses Modell eine zutreffende Beschreibung der Wirklichkeit ist, dann sind Schuttscheiben in Systemen mit stabilen Umlaufbahnen der Gasriesen verbreitet – und demzufolge bleiben terrestrische Planeten erhalten. Systeme, in denen Gasriesen sehr exzentrische Umlaufbahnen aufweisen, werden terrestrische Planeten beseitigt.
Trotz allem erscheint in diesem Schema das Sonnensystem ungewöhnlich. Es wird vorgeschlagen, daß Störungen in den Umlaufbahnen unserer Gasriesen zu dem späten schweren Bombardement führten. Das spät bezieht sich in der Tat darauf, wie sich andere Systeme normalerweise verhalten. Dies hat uns mit einer ungewöhnlich hohen Zahl an terrestrischen Planeten zurückgelassen, die sich bildeten, bevor die Gasriesen ihre Neuorientierung begannen. Dieses verspätete Ereignis, als alle Kollisionen, die die terrestrischen Planeten bildeten, zum Abschluß gekommen waren, beseitigte das meiste von der Schuttscheibe – abgesehen von dem zarten Hinweis des Zodiakallichts, das an einem dunklen Himmel bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang bemerkt werden kann.
Weiterführende Literatur (im Internet zu finden):
arXiv:1104.0007v1
Sean N. Raymond, Philip J. Armitage, Amaya Moro-Martín, Mark Booth, Mark C. Wyatt, John C. Armstrong, Avi M. Mandell, Franck Selsis, Andrew A. West
Debris disks as signposts of terrestrial planet formation (2011)