Astronomie ohne Teleskop – Dunkle Statistiken

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Die Hypothese der Dunklen Strömung. Ein Gebiet des beobachtbaren Universums wird durch ein seltsames Etwas außerhalb des beobachtbaren Universums beeinflußt. Quelle: universe-review.ca


 
Die hypothetische Dunkle Strömung, die man in der Bewegung von Galaxiencluster zu erkennen glaubt, erfordert, daß wir zuverlässig eine eindeutige statistische Beziehung in der Bewegung entfernter Objekte erkennen können, die in jedem Fall mit der Expansion des Universums nach außen strömen und dazu noch ihre eigene individuelle Bewegung besitzen, die von den gravitativen Wechselwirkungen untereinander herrührt.
Zum Beispiel besitzen Galaxien die allgemeine Tendenz, sich voneinander zu entfernen, da sich die Raumzeit zwischen ihnen ausdehnt. Doch bewegen sich die Milchstraße und die Andromeda-Galaxie im Gegensatz zu diesem allgemeinen Trend gegenwärtig auf einem Kollisionskurs, da sie durch die Schwerkraft aneinander gebunden sind.
Ist man also an der Bewegung des Universums auf großen Skalen interessiert, untersucht man am besten die großräumige Bewegungsrichtung – man tritt von der Betrachtung individueller Objekte zurück und sucht stattdessen nach der allgemeinen Tendenz in der Bewegung einer großen Zahl von Objekten.
Großräumige Beobachtungen der Bewegung von Galaxienclustern wurden 2008 von Kashlinsky et al. vorgeschlagen, um ein Gebiet mit abweichendem Fluß auszumachen. Dieses steht im Widerspruch mit der allgemeinen Tendenz von Clusterbewegung und -geschwindigkeit, die man durch die Ausdehnung des Universums erwartet – und kann nicht durch lokale gravitative Wechselwirkung erklärt werden.
Auf der Grundlage solcher Entdeckungen hat Kashlinsky vorgeschlagen, daß Inhomogenitäten im frühen Universum vor der kosmischen Inflation existiert haben könnten – was eine Verletzung des gegenwärtig bevorzugten Standardmodells für die Entwicklung des Universums darstellen würde; das Modell ist als das Lambda Cold Dark Matter (Lambda CDM) Model bekannt.
Die abweichende großräumige Bewegungsrichtung könnte Folge einer großen Massekonzentration hinter dem Horizont des beobachtbaren Universums sein – oder es ist ein weiteres angrenzendes Universum. Da der Grund unbekannt ist – und vielleicht unergründbar, wenn die Ursache hinter unserem beobachtbaren Horizont liegt – wird das astronomisch aussageloseste Wort „Dunkel“ herangezogen – und führt zum Ausdruck „Dunkle Strömung“.
Um fair zu sein: ein Großteil der „Jenseits des Beobachtungshorizonts“-Überlegungen stammen von Kommentatoren und nicht von Kashlinsky und seinen Mitarbeitern selbst – und das schließt den Begriff „Dunkle Strömung“ ein. Gleichwohl, wenn die Daten von Kashlinsky nicht zweifelsfrei sind, wird jede wilde Spekulation überflüssig und wir sollten nach dem Prinzip von Occam’s Rasiermesser weiter annehmen, daß das Universum am besten mit dem gegenwärtigen Lambda CDM Modell zu erklären ist.
Doch hat die Interpretation von Kashlinsky ihre Kritiker. So haben Dai et al. vor kurzem eine Einschätzung des Massenfluß geliefert, die auf den individuellen Geschwindigkeiten von Supernovae des Typ I beruht.
Die Analyse von Kashlinsky beruht auf den Beobachtungen des Sunyaev-Zel’dovich-Effekts – der schwache Verzerrungen in der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (CMB) beschreibt, die aus der Wechselwirkung von CMB-Photonen mit energiereichen Elektronen folgt. Die Beobachtung des Sunyaev-Zel’dovich-Effekts werden aber nur für die Identifizierung und Beobachtung des Verhaltens großräumiger Strukturen wie Galaxienhaufen als sinnvoll betrachtet. Dai et al. nutzten hingegen bestimmte Datenpunkte – nämlich Beobachtungen der Standardkerzen Typ Ia Supernovae – und analysierten, ob die statistische Verteilung dieser Daten zu der erwarteten großräumigen Bewegung im Universum passten.
Während Kashlinsky et al. sagen, wir sollten die Bewegung einzelner Einheiten ignorieren und nur die großräumige Bewegung betrachten, kontern Dai et al. und sagen, wir sollten sehr wohl die Bewegung einzelner Einheiten betrachten und ermitteln, wie gut diese Daten zu einer angenommenen großräumigen Bewegung passen.
Es zeigt sich, daß die von Dai et al. gefundenen Daten an Supernovae den allgemeinen Trend der von Kashlinsky vorgeschlagenen großräumigen Bewegung wiedergeben können – aber nur bei näher gelegenen Gebieten (niedrige Rotverschiebung). Viel bedeutsamer ist, daß es ihnen nicht möglich war, irgendwelche abweichenden Geschwindigkeiten zu replizieren. Kashlinsky maß eine großräumige Bewegung von mehr als 600 km/s, während Dai et al. aus den Beobachtungen an Supernovae vom Typ Ia Geschwindigkeiten ableiteten, die am besten zu einer großräumigen Bewegung von nur 188 km/s passen. Dies liegt dicht bei der großräumigen Bewegung, die man aus dem Lamda CDM Modell für ein expandierendes Universum erwartet. Das Modell liefert einen Wert, der bei etwa 170 km/s liegt.
Alles läuft letztlich auf eine statistische Analyse der allgemeinen Bewegungstendenzen hinaus. Mehr Daten könnten hier behilflich sein.
Weiterführende Literatur (im Internet zu finden unter):
arXiv:1102.0800v1
De-Chang Dai, William H. Kinney and Dejan Stojkovic
Measuring the cosmological bulk flow using the peculiar velocities of supernovae (2011)