Astronomie ohne Teleskop – Das Nizza-Modell, ein Sonnensystem zu bauen

Wenn man darüber nachdenkt, wie sich das Sonnensystem bildete, gibt es einige Probleme mit der Idee, daß sich Planeten nur aus einer rotierenden Akkretionsscheibe heraus zusammenballen. Das Nizza-Modell (tatsächlich nach der französischen Stadt Nizza benannt) bietet eine bessere Lösung an.
Im herkömmlichen Kant/Laplace’schen Sonnennebelmodell hat man eine rotierende protoplanetare Scheibe, in der sich locker verbundene Objekte zu Planetesimale aufbauen, die massereiche Schwer-kraftzentren mit der Fähigkeit bilden, ihre Umlaufbahn leerzuräumen. Und da ist er, der Planet!
Allgemein geht man heute davon aus, daß der Ablauf so nicht stattfinden kann. Da ein wachsender Planetesimal ständig in Wechselwirkung mit dem protoplanetaren Scheibenmaterial steht, wird seine Umlaufbahn fortwährend abnehmen. Er wird also nach innen treiben, möglicherweise in die Sonne stürzen, es sei denn, er kann seine Umlaufbahn leerräumen, bevor er zu viel von seinem Drehimpuls verloren hat.
Die Nizza-Lösung geht davon aus, daß sich die meisten Planeten wahrscheinlich in verschiedenen Regionen bildeten, in denen sie auch heute noch kreisen. Vermutlich haben sich die heutigen Gesteins-planeten unseres Sonnensystems etwas weiter außen gebildet und auf Grund von Wechselwirkungen mit dem protoplanetaren Scheibenmaterial in den frühesten Stadien der Entstehung des Sonnen-systems nach innen bewegt.
Es ist wahrscheinlich, daß innerhalb von 100 Millionen Jahren nach Beginn der solaren Kernfusion eine große Anzahl felsiger Protoplaneten in stark elliptischen und chaotischen Bahnen die Sonne um-kreisten und kollidierten – gefolgt von der nach innen gerichteten Wanderung der letzten vier ver-bliebenen Planeten, da diese Drehimpuls an das Gas und den Staub der inneren Scheibe abgeben konnten. Dieser letzte Abschnitt könnte sie in ihren nahezu kreisförmigen, nur schwach elliptischen Umlaufbahnen, die wir heute sehen, stabilisiert haben.
Währenddessen bildeten sich die Gasriesen hinter einer „Temperaturlinie“ aus, wo es zur Eisbildung kalt genug war. Wasser, Methan und Kohlendioxid waren viel häufiger vorhanden als Eisen, Nickel oder Silizium – und so wuchsen
die aus Eis bestehenden Planetenkerne schnell und erreichten eine solche Größe, daß ihre Schwerkraft stark genug war, um den Wasserstoff und das Helium zu halten, die ebenfalls im Überfluß in der protoplanetaren Scheibe vorhanden waren. Dies erlaubte diesen Planeten zu gewaltiger Größe heranzuwachsen.
Jupiter begann vermutlich sich innerhalb von nur 3 Millionen Jahren nach Beginn der solaren Kern-fusion zu bilden und seine Umlaufbahn schnell leerzuräumen. Das wiederum bewahrte ihn davor, weiter nach innen zu wandern. Der eisige Kern des Saturns schnappte sich alle Gase, die Jupiter nicht bekam – Uranus und Neptun sogen den Rest auf. Man vermutet, daß sich Uranus und Neptun viel näher an der Sonne bildeten als es ihre heutigen Umlaufbahnen vermuten lassen – und zudem in umgekehrter Reihenfolge, also Neptun näher an der Sonne als Uranus.
Und dann, ungefähr 500 Millionen Jahre nach Beginn der solaren Kernfusion, ereignete sich etwas Bemerkenswertes. Jupiter und Saturn schwenkten in eine 2:1-Resonanz ihrer Umlaufbahnen ein –beide Planeten standen dadurch zweimal bei jedem Umlauf des Saturn an den gleichen Positionen aufgereiht. Dies verursachte einen gravitativen Impuls, der Neptun jenseits von Uranus beförderte, so daß Neptun durch etwas flog, was damals der nähere und dichter besetzte Kuiper-Gürtel war.
Das Ergebnis war ein chaotisches Durcheinander an Objekten, von denen viele entweder nach außen in die Oort’sche Wolke geschleudert oder in Richtung des inneren Sonnensystems getrieben wurden. Zusammen mit einem Asteroidenregen eines durch Schwerkraft gestörten Asteroidengürtels lieferte das späte schwere Bombardement, welches das innere Sonnensystem für einige Hundert Millionen Jahre heimsuchte – Verwüstungen, die noch immer auf der Oberfläche des Mondes und des Merkur zu sehen sind.
Dann, als sich vor ungefähr 3.8 Milliarden Jahren der Staub gelegt hatte und ein neuer Tag auf dem von der Sonne aus gesehen dritten Felsbrocken anbrach – voila, Leben!
Von Steve Nerlich in Universe Today. Übersetzt von Harald Horneff