Aktive Kerne in leuchtkräftigen Galaxien

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://www.cfa.harvard.edu)


Ein Hubble-Bild des leuchtkräftigen, verschmelzenden Galaxiensystems NGC 2623. Astronomen haben bei 189 leuchtkräftigen Galaxien den Anteil an der Gesamtleuchtkraft einer Galaxie, die von ihren Sternentstehungsausbrüchen und ihrem aktiven galaktischen Kern stammt, sowie die Beziehung zwischen der Masse einer Galaxie und deren Sternentstehungsrate neu bewertet.
Hubble; NASA, ESA

Die leuchtkräftigsten Galaxien im Universum können über eintausend Mal heller sein als unsere Milchstraße. Sie sind jedoch im Optischen nicht besonders hell, da ein Großteil ihrer Strahlung bei infraroten Wellenlängen liegt. Die gewaltigen Sternentstehungsausbrüche, oder Starbursts, die helfen, die Galaxien mit Energie zu versorgen, sind in Molekülwolkenkomplexe eingebettet, deren Staub das meiste ultraviolette und optische Licht verschluckt und im Infraroten wieder abstrahlt. Zwei Fragen treiben einen Großteil der Forschung über diese Galaxien an: Was führt zu dieser spektakulären Aktivität und könnte dies auch das supermassereiche Schwarze Loch im Kern der Galaxie anregen, zur gewaltigen Strahlungsmenge beizutragen und dadurch zu einem aktiven galaktischen Kern (englisch: active galactic nucleus = AGN) zu werden?

Seit langem ist bekannt, daß Wechselwirkungen zwischen Galaxien die Galaxienentwicklung beeinflussen. Wechselwirkungen sind weit verbreitete Ereignisse und eine Mehrheit der Galaxien zeigen mancherlei Anzeichen der Wechselwirkungen, darunter Gezeitenschweife oder andere morphologische Verzerrungen. In vielen Fällen gibt es Anhaltspunkte dafür, daß leuchtkräftige Überaktivität durch eine Kollision ausgelöst ist. Allerdings sollten Zusammenstöße das Gas in einer Galaxie auch stören und den Transport von Material in das supermassereiche Schwarze Loch fördern. Deshalb vermuten Astronomen heute, daß sowohl Sternentstehung als auch die Aktivität des AGN leuchtkräftige Galaxien mit Energie versorgen. Beide Vorgänge sollten aber unterscheidbar sein. Beispielsweise rufen AGN viel heißere Ultraviolett- und Röntgenstrahlung hervor. Astronomen können die Gestalt des Strahlungsprofils der Galaxie, also ihre spektrale Energieverteilung (englisch: spectral energy distribution = SED), die sich vom Ultravioletten bis zum fernen Infrarot erstreckt, nutzen, um zu untersuchen, was dort vor sich geht.

Die CfA-Astronomen Andrés F. Ramos-Padilla, Matt Ashby, Howard Smith, Rafael Martínez-Galarza, Aliza G. Beverage, Jeremy Dietrich und Aaron Weiner haben jetzt die Ergebnisse einer ausgedehnten Untersuchung von 189 leuchtkräftigen Galaxien veröffentlicht, wovon die meisten verschmelzende Systeme sind. Das Team reduzierte wiederholt die vielen benötigten Datensätze (bis zu 34), um eine systematische, in sich widerspruchsfreie und detailgenaue Form der SEDs bei Wellenlängen zu erhalten, die vom Ultravioletten bis zum fernen Infrarot reichen. Das Team modellierte dann jede SED mit einem Computerprogramm, welches die verschiedenen Prozesse und Parameter beziffert, und zwar nicht nur Sternentstehungsraten und die Aktivität des AGN, sondern auch stellare Massen und Entwicklungsstufen, Staubeigenschaften und Einzelheiten der Akkretion. Im Besonderen untersuchte das Team den Anteil an der Gesamtleuchtkraft, der sich aus dem AGN gegenüber dem Sternentstehungsausbruch ableitet und verglich dies mit anderen Eigenschaften der Galaxien.

Die Astronomen entdeckten, daß in ungefähr der Hälfte ihrer Stichprobe der AGN einer Galaxie wesentlich (mehr als 20%) zur Gesamtleuchtkraft beitrug. Frühere Untersuchungen, bei denen die Leuchtkraft genutzt wurde, um die Sternentstehungsraten abzuleiten, ohne den AGN mit zu berücksichtigen, unterliegen daher einem Irrtum. Zudem sind Folgerungen über die galaktische Entwicklung auf Grundlage des Vergleichs von Massen und Sternentstehungsraten der Galaxien (die sogenannte „Hauptreihe der Galaxien“) ebenfalls ungenau, falls man keine Berichtigungen für die Beiträge der AGNs zur Leuchtkraft vornimmt. Nicht zuletzt haben die Wissenschaftler eine korrigierte „Hauptreihe“ für Galaxien erhalten und mehrere galaktische Ausreißer in der ansonsten engen Wechselbeziehung entdeckt. Das Team legt nahe, daß die Prozesse in derartigen Ausreißern bei leuchtkräftigen Galaxien des frühen Universums verbreiteter sein könnten, da die Sternentstehung zu jener Zeit bekanntermaßen viel aktiver gewesen ist.

Literatur:

„The AGN Contribution to the UV-FIR Luminosities of Interacting Galaxies and Its Role in Identifying the Main Sequence“

Andrés F. Ramos P., M. L.N. Ashby, Howard A. Smith, Juan R. Martínez-Galarza, Aliza G. Beverage, Jeremy Dietrich, Mario-A. Higuera-G., and Aaron S.Weiner

MNRAS 499, 4325, 2020

oder

arXiv:2009.05614v1 [astro-ph.GA] 11 Sep 2020