Wegbereiter mit Gastgeschenk – 50 Jahre Pioneer 10


Dr. Ilka Petermann

Nach langen Monaten der Pandemie-Isolation, von Home-Office, wieder oder neu entdeckten Indoor-Beschäftigungen wie der Herstellung von Häkel- oder Teigdecken, damit einem bloß nicht die Zimmerdecke auf den Kopf fällt, sind mittlerweile Mensch und Hoffnung genug geboostert, um an eine Erweiterung des Bewegungsradius zu denken.

Abb.1: Start von Pioneer 10 am 3. März 1972 an Bord einer Atlas-Centaur-Rakete
Credit: NASA Ames Research Center (NASA-ARC)

Der eine oder die andere ist vielleicht ein bisschen eingerostet, was die richtige Auswahl des Reisegepäcks angeht – doch glücklicherweise gibt es ausführliche Listen, was es für einen gelungenen Ausflug in unbekannte Gefilde so braucht. Ein besonders erfolgreicher ‚Wegbereiter‘ zum Beispiel nahm vor ziemlich genau 50 Jahren seinen Alukoffer und packte: vier Batterien, ein Wörterbuch mit 222 Worten, eine Postkarte, elf elektronische Instrumente zum Zeitvertreib, drei Geräte, um zu Hause anzurufen und ein sechseckiges Sandwich. Fairerweise sollte an dieser Stelle noch das Kleingedruckte erwähnt werden: Unser Pionier ist mittlerweile knapp 20 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt, hat seit 19 Jahren mit niemandem mehr kommuniziert und hält deutlich mehr als einen Mindestabstand von 1,5 Metern zu so ziemlich allem ein… Muss man vielleicht doch noch mal überlegen – und sich den Ausflügler etwas genauer anschauen.

Unser ‚Wegbereiter‘ heißt eigentlich ‚Pioneer 10‘ und ist die erste von Menschen gebaute Raumsonde, die den Asteroidengürtel durchquert und den uns nächsten Gasplaneten, Jupiter, aus der Nähe beobachtet hat. Gestartet wurde die NASA-Sonde am 3. März 1972 (ihre baugleiche Geschwistersonde ‚Pioneer 11‘ startete 13 Monate später) vom Launch Complex 36 auf Cape Canaveral und bekam von ihrer ausgesprochen schubstarken Startrakete, einer Atlas-Rakete mit Centaur-Oberstufe (Abb.1), einen ordentlichen ‚Tritt‘: dieser beschleunigte Pioneer auf rasante 14,36 km/s, der höchsten Geschwindigkeit, die ein vom Menschen geschaffenes Objekt bis dahin hatte, da die Fluchtgeschwindigkeit für den Weg zum Jupiter entsprechend hoch sein musste.

Die Sonde wurde zum größten Teil aus Aluminium gefertigt und brachte am Starttag 258 kg auf die Waage; 28 kg entfielen dabei auf den Treibstoff-Proviant ‚Hydrazin‘, der für die Lageregelung vorgesehen war. Der ‚Kern‘ der Sonde mit dem Haupt-teil der elektronischen Komponenten wurde als sechseckiger Ring in einer stabilen ‚Sandwich-Wabenkern-Bauweise‘ gefertigt (ganz grob zu vergleichen mit Wellpappe: zwei Deckplatten mit einem stützenden Mittelteil, hier aber nicht in pappiger Wellenform, sondern als aluminiumleichte Waben; Abb.2).

Abb.2: Schematische Darstellung der Sandwichbauweise
Credit: https://www.hintsteiner-group.com/blog/sandwichbauweise-leichtbau

Da Pioneer auf dem Weg zum Jupiter immer weniger Sonnenlicht empfing (die Sonnenstrahlung ist bei Jupiter fast 30-mal geringer als in Erdnähe), waren Solarzellen keine Option. Stattdessen wurden in der Sonde vier thermoelektrische Radionuklidbatterien verbaut, welche die Wärme aus dem radioaktiven Zerfall von Plutonium-238, einem Alphastrahler, in elektrische Energie umsetzen. Pioneer war damit die erste Raumsonde, die ihre Energie ausschließlich über diese Energiequelle bezog. Die Halbwertszeit von Plutonium-238 ist mit knapp 88 Jahren zwar nicht gerade gering – doch im Zusammenspiel mit immer vorhandenen Verschleißerscheinungen nimmt auch die Leistung von Radionuklidbatterien stetig ab – da geht es dem Weltraumtouristen nicht anders als dem irdischen Handynutzer. Bei Ankunft am Jupiter hatten die Batterien so noch eine ausreichende Leistung von 140 W, bei einer Anfangsleistung von 155 W. Eine ungleichmäßige Wärmeabstrahlung der Batterien wird mittlerweile als wahrscheinliche Ursache der lange ungeklärt gebliebenen ‚Pioneer-Anomalie‘ vermutet, bei der die tatsächliche leicht von der berechneten Flugbahn abweicht.

Zur Kommunikation mit der Erde standen Pioneer 10 drei Antennen mit unterschiedlichen ‚Handytarifen‘ zur Verfügung: die große Hochgewinnantenne mit dem größten sogenannten ‚Antennengewinn‘ (sehr richtungsempfindlich – eine gute Ausrichtung auf die Erde ist nötig – dafür aber mit recht hoher Senderate: für Vielsprecher), eine Mittelgewinnantenne und eine Niedriggewinnantenne zur Notfallkommunikation (sendet und empfängt in großem Winkelbereich, dafür gibt’s kaum Datenvolumen: für Wenigplauderer).

Und was gab es so alles zu besprechen? Da waren natürlich auf der einen Seite die Daten, die Pioneer mit seinen 11 Instrumenten aufgenommen und den erwartungsfrohen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mitteilen wollte; auf der anderen Seite war die Bodenkontrolle auf der Erde, welche die Sonde stetig mit Steuerungsbefehlen versorgen musste, da Pioneer kaum automatische Systeme an Bord hatte. Insgesamt sprach die Raumsonde 222 ‚Worte‘, oder besser ‚Kommandobefehle‘, wovon 149 auf die Sondenkontrolle und die restlichen 73 auf die Steuerung der wissenschaftlichen Instrumente entfielen. Für schnelle Befehlsketten war ein Zwischenspeicher verbaut, der bis zu fünf Kommandos aufnehmen konnte – das weltraumtechnische Äquivalent zu ‚Wetter schlecht Essen gut Grüße‘.

Und dann natürlich die ‚Postkarte‘ oder besser: die goldbeschichtete, 22,9 cm x 15,2 cm große Aluminiumplatte, die unseren (potentiellen) außerirdischen Nachbarn ein bisschen was zur Menschheit erzählen soll; Abb.3). Die Idee, ein solches ‚Mitbringsel‘ an der Raumsonde anzubringen, stammte ursprünglich von dem US-amerikanischen Journalisten Eric Burgess, der über die verschiedenen Planetenmissionen der damaligen Zeit berichtete. Er wandte sich an den Astrophysiker und Autoren Carl Sagan (z.B. das Buch ‚Cosmic Connection: An Extraterrestrial Perspective‘), der kurz zuvor auf einer Konferenz über die mögliche Kommunikation mit Außerirdischen gesprochen hatte. Die Idee wurde begeistert aufgenommen und die NASA gab Sagan und seinem Kollegen Frank Drake die Aufgabe, in nur drei Wochen eine solche Plakette zu gestalten; Sagans damalige Frau, Linda Salzman Sagan, war für die künstlerische Ausführung zuständig.

Über einige Abbildungen wurde recht schnell eine Einigung erzielt: der Hyperfeinstrukturübergang des Wasserstoffatoms wurde dargestellt, er beschreibt sowohl eine – universelle – Längeneinheit (Wellenlänge von 21 cm) als auch eine Zeiteinheit (Frequenz von 1420 MHz). Die relative Position der Sonne zu 14 Pulsaren sollte unsere Lage in den Weiten des Weltraums angeben, die Darstellung des Sonnensystems mit der Flugbahn der Sonde einen weiteren Hinweis auf den Ursprung des ‚Unbekannten Flugobjekts‘ geben. Die Flugbahn wurde dabei mit einem Pfeil gekennzeichnet – was von menschlichen Lesern übereinstimmend als Richtung gedeutet wird. Einige Wissenschaftler wiesen jedoch darauf hin, dass unser Verständnis eines fliegenden (Jagd-)Pfeils von anderen Kulturen, deren ursprüngliche Lebensgrundlage nicht auf Jagen und Sammeln aufbaute, womöglich nicht so verstanden werden könnte.

Dann noch (auch als Größenvergleich) die Silhouette der Sonde und davor der (zumindest von manchen so gesehene) Zankapfel: Mann und Frau wie die Natur sie schuf! Nebeneinander, sie 1,68 groß (8 x Hyperfeinstrukturwellenlänge von 21 cm) mit glattem Haar, er etwas größer, freundlich winkend und mit Seitenscheitel.

Der Figurentypus war dabei von Zeichnungen Leonardo da Vincis und griechischen  Skulpturen inspiriert. Dem geneigten extraterrestrischen Forschungskomitee werden damit nun folgende irdisch-hitzige Diskussionspunkte vorgelegt: die Seitenscheitel-Lebensform winkelt einen Arm an und prahlt mit seinem opponierbaren Daumen (super Sache), der andere Arm hängt herunter, bei der Langhaar-Lebensform sind beide Arme nach unten gestreckt (das gab damals Ärger: warum darf sie nicht auch grüßen?). Hiermit sollte einerseits gezeigt werden, wie menschliche Extremitäten ‚funktionieren‘ und wir nicht immer mit einem Winkel-Arm rumlaufen, andererseits gilt die gehobene Hand als allgemeinverständlicher friedlicher Gruß (dagegen hatte erst mal niemand etwas einzuwenden). Mann und Frau stehen nebeneinander – eine Darstellung, in der sie ‚Händchen halten‘, hätte einigen Wissenschaftlern nach so interpretiert werden können, dass es sich um ein einziges Lebewesen handeln muss (so geschehen bei den Konquistadoren, die von den Azteken, die Pferde nicht kannten, als eine besondere ‚Lebensform‘ mit vier Beinen und zwei Köpfen gesehen wurden). Einige Diskussionen befassten sich damit, ob die Menschen zu ‚kaukasisch‘ aussehen, da die Haare ohne Schraffur oder Textur als ‚blond‘ interpretiert werden können.

Abb.3: Die Pioneer-Plakette mit einem Gruß an die extraterrestrischen Finder mit Positionsangaben zu unserem schönen Heimatplaneten – auf dem manchmal sogar Freikörperkultur gepflegt wird…
Credit: NASA

Und jetzt haben wir lange genug um den heißen Brei geredet: nackt! Während es für die meisten damaligen Wissenschaftler, auch bei der NASA selbst, klar war, dass der menschliche Körper am besten ohne flauschigen Frotteebademantel, dicker Felljacke, Reifrock oder Schlaghosen dargestellt werden sollte, kam es nach ersten Abbildungen der Platte in amerikanischen Zeitungen zu teilweise entrüsteten Leserbriefen, die sich über die ‚pornographische Plakette‘ beschwerten. Manchen ging die Darstellung der menschlichen Anatomie allerdings auch nicht weit genug, wieder andere argumentierten, dass die Außerirdischen sowieso nicht wüssten, was es mit den ganzen Körperteilen so auf sich hat. Und wer weiß – vielleicht ist es am Ende etwas ganz anderes, was unseren extraterrestrischen Nachbarn sauer aufstößt (unbedeckte Füße? Nur ein einziger Kopf – wie gruselig! Da fliegt die Plakette Milliarden von Jahren und es ist noch nicht einmal der beste Witz der Erde oder Rückporto dabei? Schwer zu sagen…).

Doch beim wissenschaftlichen ‚Fernsehprogramm‘ waren sich dann alle wieder einig: die Aufnahmen und Forschungsergebnisse von Pioneer 10 konnten sich wahrlich sehen lassen! Zwei Instrumente befassten sich mit der Verteilung und den Eigenschaften der Gesteinsbröckchen im Asteroidengürtel, von dem man damals noch nicht wusste ob er eine unüberwindbare Barriere für die Raumfahrt darstellt, oder ob es sich lediglich um eine etwas staubigere Landstraße handelt (letzteres, puh). Das machte den Weg frei für weitere Missionen, die nun mit verbesserter Ausstattung den Steinchen-Gürtel durchqueren konnten. Das ‚Imaging Photopolarimeter‘ war für fotografische Aufnahmen im sichtbaren Licht verantwortlich, zwei weitere Instrumente vermaßen den infraroten (Wärmestrahlung) und ultravioletten Teil des Spektrums, wie z.B. Spektrallinien von Wasserstoff und Helium. Das ‚Charged Particle Instrument‘ war auf geladene Teilchen spezialisiert, sowohl in der Nähe von Jupiter und Saturn, als auch in den interplanetaren Weiten. Weitere Geräte detektierten Teilchen der kosmischen Strahlung, den Herkunftsort von Elektronen und Protonen (hoch- und niedrigenergetisch) und vermaßen Magnetfelder.

Abb.4: Der Prominente, auf den es Pioneer mit zahlreichen Kameras und Apparaturen abgesehen hatte: der Gasriese Jupiter, 318 Erdmassen voller Wasserstoff und Helium (und ein bisschen Ammoniak und Methan). Aufnahmen von Pioneer 10, mit zunehmender Größe bei Annäherung der Sonde an den Planeten (Dezember 1973)
Credit: NASA

Pioneer 10 lieferte neben einer großen Anzahl von Datensätzen damit auch erstmals detailreiche Bilder (mehr als 500; Auflösung von rund 320 Kilometern) von unserem Gasnachbarn (Abb.4) und seinen Monden Callisto, Ganymede und Europa – was auch für Begeisterung außerhalb der Forschergemeinschaft sorgte (bei der 1990 gestarteten Sonnen-Sonde ‚Ulysses‘ waren etwa keine bildgebenden Instrumente an Bord, was sich später als sehr ungünstig herausstellte, da die Öffentlichkeit kaum etwas mit Daten-kolonnen anfangen konnte). Die Wissenschaftler lernten mehr über Jupiters Atmosphäre, den Großen Roten Fleck, identifizierten Plasmen in Jupiters Magnetfeld und sahen die gewaltigen Ausmaße dieses Magnetfeldes, das auf der sonnenabgewandten Seite fast 800 Millionen Kilometer weit in den Weltraum verlief.

Nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Jupitermission war Pioneer 10 noch lange nicht nach nackte-Füße-hochlegen zumute. Nach ihrer geplanten Lebenszeit von 21 Monaten flog und sendete die Sonde weiter: 1976 passierte sie die Saturnbahn (war jedoch zu weit entfernt für fotografische Aufnahmen des Saturn – das erledigte dann Pioneer 11, die am 6. April 1973 startete), 1979 die Bahn des Uranus, vier Jahre später ließ sie die Neptunbahn hinter sich. Zwar ließ die Leistung der Radionuklidbatterien immer weiter nach, sodass die meisten wissenschaftlichen Instrumente nach und nach abgeschaltet wurden – doch sie flog weiter, ‚rief‘ immer mal wieder zu Hause an, und 1995 waren schließlich noch vier Instrumente aktiv – das Gerät zur Messung der UV-Strahlung und die Instrumente zur Messung geladener Teilchen und der kosmischen Strahlung, sowie der Geigerzähler zur Herkunftsortung von Protonen und Elektronen (er wurde als letzte Apparatur im Jahr 2001 abgeschaltet, rund 29 Jahre nach dem Start der knapp zweijährigen Mission…). Bis zum 17. Februar 1998 war Pioneer 10 das am weitesten entfernte menschengemachte Objekt – danach übernahm die schneller reisende Voyager 1 diesen Rekord. Zur Jahrtausendwende, am 10. Februar 2000 schickte die Erde dann ihren letzten ‚Gruß‘ an Pioneer (dieser wurde empfangen, soviel ist bekannt) und knapp drei Jahre später, am 23. Januar 2003, ließ die Sonde das letzte Mal von sich hören – mehr als 11 Stunden brauchte dieses Signal bis zur Erde, die zu dem Zeitpunkt 12,23 Milliarden Jahre entfernt war (Abb.5). Seitdem fliegt Pioneer ganz leise und mit schwächelnder Batterie in Richtung des Sterns Aldebaran – dessen Position sie theoretisch in zwei Millionen Jahren erreichen würde. Hört sich schon irgendwie lang an… aber Pioneer 10 schien bisher mit ‚Mindesthaltbarkeits-Missionsdaten‘ ja auch kein Problem zu haben – da drückt man doch gerne seine opponierbaren Daumen! Und dann ist da ja immer noch die goldene Plakette mit den beiden Saunagängern und ihrem Friedensgruß – über Kleidung könnte man ja noch lang und breit (Hyperfeinstruktur, wissen wir…) diskutieren, aber das friedliche Miteinander auf der Erde müssten wir schon schnell hinbekommen – was sollen die Außerirdischen denn sonst bloß von uns denken?!

Abb.5: Ist immer noch irgendwo da draußen: die im März 1972 gestartete Sonde Pioneer 10, die als erste Raumsonde den Jupiter besuchte (künstlerische Darstellung)
Credit: Don Davis für NASA