Sternentstehungsmodelle einschließlich Jets, Strahlung, Winde und Supernovae

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://pweb.cfa.harvard.edu/news)

Ein Falschfarbenbild der Sternentstehung in der Rho Ophiuchus-Riesenmolekülwolke, wie sie vom Wide-field Infrared Survey Explorer im Infraroten gesehen wurde; das Sichtfeld erstreckt sich über ungefähr 14 Lichtjahre. Die Sternentstehung ist ein komplizierter Prozeß, an dem viele physikalische Effekte beteiligt sind, die über einen weiten Bereich von Entfernungen und Zeiträumen zusammenwirken. Astronomen haben die erste erfolgreiche Simulation einer riesigen Molekülwolke entwickelt, welche die Entstehung einzelner Sterne über einen Zeitraum von etwa acht Millionen Jahren und auf verschiedenen Skalen nachzeichnet. Sie umfaßt Rückkopplungsmechanismen wie Jets, Strahlung, Winde sowie Supernovae und baut auf früheren Simulationsberechnungen auf, die Schwerkraft, Magnetfelder und Turbulenzen einbezogen.
NASA, JPL-Caltech, WISE

Die Sternentstehung ist wohl der wichtigste Prozeß im Universum. Während ihrer Lebenszeit und dann bei ihrem Tod produzieren Sterne alle chemischen Elemente außer Wasserstoff und Helium (die beim Urknall entstanden sind). In ihrer Jugend sorgen Sterne für die Geburt von Planeten und kleineren Körpern; ihr Untergang führt zu Supernovae, superdichten Körpern wie Schwarzen Löchern, Neutronensternen oder Weißen Zwergen und Nebeln. Sterne strahlen ihre reichhaltige Energie mit Wellenlängen über das gesamte Spektrum in den Kosmos ab, erwärmen die Oberflächen von Planeten, erleichtern die interstellare Chemie und lassen Galaxien in allen kosmischen Epochen erstrahlen. Sternentstehung bestimmt die Standorte, die Häufigkeit und die relativen Massen der Sterne und reguliert die Palette des Himmels und seine regenbogenartigen Eigenschaften.

Sterne im Universum entstehen, zumindest in unserer gegenwärtigen Epoche, wenn massereiche Wolken mit molekularem Gas durch die Schwerkraft kollabieren. In der Milchstraße ist dieser Prozeß jedoch sehr ineffizient; nur etwa 1% des verfügbaren Materials landet in einem Stern. Astronomen vermuten, daß ein Grund dafür darin liegt, daß die Sternentstehungskerne durch den Außendruck turbulenter Überschallgasbewegungen (d. h. Gas, das sich schneller als mit Schallgeschwindigkeit bewegt) und durch Ausströmungen von Supernovae, Winden oder Jets, die von einer früheren Generation von Sternen erzeugt wurden, an der Entwicklung gehindert werden. Zumindest ist dies das Bild für Sterne mit geringer Masse. Jedoch legen Beobachtungen junger massereicher Sterne manchmal den gegenteiligen Schluß nahe, daß massereiche Sterne genau dort entstehen, wo Gasturbulenzen die Entwicklung massearmer Sterne verhindern, bis sich genügend Masse angesammelt hat, um massereiche Sterne entstehen zu lassen. Die vielen komplexen, miteinander verflochtenen physikalischen Prozesse geben viele Rätsel auf, z. B. warum sich Sterne mit geringer Effizienz bilden, warum sie eine bestimmte Masse haben, warum und wie sie sich in Haufen bilden und warum einige in Mehrfachsystemen sind und andere nicht.

Computersimulationen können grundlegende Einsichten zu diesen Fragen liefern. Astronomen arbeiten seit Jahrzehnten an der Verfeinerung ihrer Berechnungsmethoden und vergleichen sie mit Beobachtungen. Die Aufgabe ist gewaltig: Es sind nicht nur viele verschiedene physikalische Prozesse am Werk, sie beeinflussen sich auch noch gegenseitig, während kritische Schritte auf räumlichen Skalen von Hunderten von Lichtjahren bis in die unmittelbare Nachbarschaft des embryonalen Sterns und auf Zeitskalen von Millionen von Jahren bis zu Tagen stattfinden. Eine realistische Simulation der Sternentstehung muß all dies irgendwie genau berücksichtigen.

Die CfA-Astronomin Anna Rosen und ihre Kollegen haben die erste Simulation einer riesigen Molekülwolke entwickelt, die die Entstehung einzelner Sterne und deren Rückkopplung durch Jets, Strahlung, Winde und Supernovae verfolgt. Sie baut auf deren früheren Berechnungen auf, die Schwerkraft, Magnetfelder und Turbulenzen einschlossen, aber unrealistisch hohe Sternentstehungseffizienzen ergaben und einen Überschuß an massereichen Sternen hervorbrachten. Die neue numerische Simulation verfolgt die Sternentstehung in einer Wolke für etwa acht Millionen Jahren und verwendet dabei an die 160 Millionen Schritte, von denen einige nur einen Tag auseinander liegen. Sie umgeht die Fehler früherer Berechnungen und stimmt insgesamt mit deren genaueren Ergebnissen überein. Sie kommt auch zu bedeutenden Schlußfolgerungen, darunter die, daß protostellare Jets eine dominante Quelle für Rückkopplungen sind, welche die Sternentstehung hemmen – die Rückkopplungen von Supernovae treten zu spät im Entstehungszyklus auf, um die Entwicklung anderer Sterne in der Kinderstube ernsthaft zu stören. Diese bahnbrechende Leistung ist die erste numerische Simulation jeglicher Art, welche die Bildung eines Sternhaufens modelliert und dabei die Entstehung, Akkretion, Bewegung, Entwicklung und Rückkopplung einzelner Sterne und Protosterne verfolgt, mit Rückkopplung aus allen wichtigen Kanälen: protostellare Jets, stellare Winde, stellare Strahlung und Kernkollaps-Supernovae.

Literatur:

„The Dynamics and Outcome of Star Formation with Jets, Radiation, Winds, and Supernovae in Concert“

Michael Y. Grudić, Dávid Guszejnov, Stella S. R. Offner, Anna L. Rosen, Aman N. Raju, Claude-André Faucher-Giguère, Philip F. Hopkins

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 512, 216–232 (2022)

oder

arXiv:2201.00882v2 [astro-ph.GA] 24 Mar 2022