Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff
Während sich ein neuer Stern in einer Molekülwolke entwickelt, formt sich aus dem rotierenden Gas und Staub auf natürliche Weise eine zirkumstellare Scheibe. Solche Scheiben nennt man „protoplanetare Scheiben“, da Astronomen annehmen, daß ein Großteil des Scheibenmaterials allmählich verklumpen wird, um Planeten zu bilden. Je weiter entfernt vom Stern sich Gas und Staub befinden, desto kälter wird das Material, bis bei einer kritischen Entfernung Moleküle in dem Gas auf den Staubkörnern ausfrieren werden. Dieser Vorgang soll eine ausschlaggebende Rolle bei der Bildung der Planeten im Sonnensystem gespielt haben.
Die Entfernung, bei der eine Molekülsorte ausfriert, wird als ihre „Schneelinie“ bezeichnet. Man vermutet, daß Schneelinien aus vier Gründen Gebiete mit erhöhtem Teilchenwachstum – und demnach Planetenbildung – kennzeichnen. Es gibt jenseits der Schneelinie mehr festes Material (gegenüber gasförmigem Material), aus dem sich Körner aufbauen; zusätzliches Gas kann ausfrieren, wenn es über die Schneelinie hinweg diffundiert; solide Körnchen können nur auf der Innenseite der Schneelinie in Druckfallen weiteres Material anlagern und Körner, auf denen Gas ausfriert, werden durch den Eismantel klebriger, das wiederum weiteres Verkleben begünstigt.
Experimente und Theorie über diese verschiedenen Prozesse haben sich auf die Schneelinie des Wassers konzentriert, aber die Ergebnisse sollten auch auf die Schneelinien weiterer, reichlich vorhandener leicht flüchtiger Stoffe allgemein anwendbar sein. Die Lage der Schneelinie unterschiedlicher Molekülsorten zu bestimmen ist für die Untersuchung von Kornwachstum und der Effektivität der Planetenbildung wichtig. Als zum Beispiel unser Sonnensystem jung war, so die Vermutung, entwickelte sich die Schneelinie des Wassers in einer Entfernung von ungefähr drei Astronomischen Einheiten (AE; eine AE ist die durchschnittliche Entfernung der Erde von der Sonne). Die Lage der Wasser-Schneelinie war für die Bildung von Jupiter und Saturn kritisch, da in entfernteren, kälteren Regionen das Ausfrieren von Methan und Kohlenmonoxid (CO) die Belegungsdichte an fester Oberfläche erhöhte und somit vielleicht zu den Wachstumszonen von Uranus und Neptun beitrug. Die aktuellsten Modelle für das Sonnensystem fordern zudem, daß sich die meisten Kometen noch viel weiter außerhalb, bei etwa fünfunddreißig AE, bildeten.
Chunhua Qi und David Wilner vom CfA und sieben weitere Astronomen haben mit den riesigen, neuen Radioteleskopen des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) die Lage eines einfachen, stickstoffhaltigen Moleküls abgebildet, das den Schwund von Kohlenmonoxid (CO) wiederspiegelt. (Die Anwesenheit von gasförmigem CO unterbindet chemisch die Bildung dieser stickstoffhaltigen Moleküle.) Die Wissenschaftler haben herausgefunden, daß bei dem jungen Stern TW Hya die CO-Schneelinie bei ungefähr dreißig AE liegt. Dieses Ergebnis stimmt annähernd mit einigen Vorstellungen neuerer Modelle des Sonnensystems überein und zeigt, wie neue Beobachtungen und die Theorie eindrucksvoll große Fortschritte bei der Erklärung über Bildung und Entwicklung unseres Sonnensystems erzielen.
Literatur:
“Imaging of the CO Snow Line in a Solar Nebula Analog”
Chunhua Qi, Karin Oberg, David Wilner, Paola d’Alessio, Edwin Bergin, Sean M. Andrews, Geoffrey A. Blake, Michiel Hogerheijde, and Ewine F. van Dishoeck
Science 09 Aug 2013: Vol. 341, Issue 6146, pp. 630-632