Mit visueller Navigation durch den Coma-Virgo Haufen

Beschriftete Aufnahme des Coma-Virgo Haufens (Christian Roßberg, Canon EOS 6D, 135mm f/2.8)

Frühjahrszeit ist Galaxien-Saison am Nachthimmel. Eine besonders reichhaltige Region ist der Coma-Virgo-Galaxienhaufen. Er besteht aus tausenden Galaxien und ist gemeinsam mit der Lokalen Galaxien-Gruppe (mit Milchstraße und Andromedagalaxie) Teil des Virgo-Superhaufens. Er ist ca. 54 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt und befindet sich scheinbar zwischen den Sternbildern Haar der Berenike (Coma Berenices) und Jungrau (Virgo).

Von den ca. 1.300 bekannten Galaxien lassen sich in mittleren Öffnungen mehr als 100 Galaxien beobachten. Wo soll man da anfangen? Wie navigiert man am besten mit dem Teleskop durch den Haufen? Im Frühjahr 2022 habe ich zwei Möglichkeiten ausprobiert aber den Beobachtungsbericht nie veröffentlicht. Das hole ich jetzt ein Jahr später – motiviert durch den Kurzvortrag „Galaxienhopping im Virgo-Haufen“ von unserem Vereinskollegen Robert Wagner – nach.

Ein T-Asterismus zum Einstieg

Himmelskarte erstellt mit „Cartes du Ciel“

Ca. 7° östlich von Denebola befindet sich der 5m helle Stern „6 Com“. Dieser ist Teil eines T-förmigen Sternmusters aus 5 Sternen mit 5 bis 7 Magnituden. Die dort beschriebene Tour beobachtete ich in der Nacht vom 27. April 2022 bei Stumpertenrod im Vogelsberg (SQM-L 21,40 / fst 6,3m, 430m über N.N.). Einmal im „T“ angekommen, kann man einfach über die Okularansicht navigieren.

½ Grad westlich von 6 Com befindet sich die 44 Millionen Lichtjahr entfernte Spiralgalaxie M98. Mit einer Flächenhelligkeit von 13m2 handelt es sich um eine der lichtschwächsten Galaxien des Messier Kataloges. Im 16“ f/4,25 Dobson-Teleskop bei 211x Vergrößerung (8mm Okular) zeigt sich die Galaxie fast „Edge-On“, gestreckt von Süd-Ost nach Nord-West. Der Kern und Andeutungen von Spiralarmen sind zu sehen. Die Transparenz ist an diesem Abend war nicht perfekt (5/7) und der Himmelshintergrund leicht aufgehellt. Ich erhöhe die Vergrößerung auf 360x (4,7mm Okular), was den Kontrast verbessert und weitere Details zeigt. Der Kern wirkt jetzt deutlich größer (länglicher) und die Galaxie in Richtung Süd-Osten länger und strukturreicher. In einer Nacht mir exzellenter Transparenz werde ich dort noch einmal vorbeischauen.

Die nächste Galaxie M99 („Coma Pinwheel Galaxy“) lässt sich noch einfacher finden: einfach das Teleskop auf den mittleren Stern des T stellen. Die Galaxie erscheint dann süd-westlich des Sterns im Okulargesichtsfeld. Bei 169x im 10mm Okular zeigt sich die Galaxie asymmetrisch. Der Spiralarm in Richtung Westen steht etwas ab und liegt einsam. Der Kern ist Richtung Süd-West verschoben, von Norden bis Osten tummeln sich mehrere Arme.

Die letzte Messier-Galaxie am Sternenmuster findet man bei Verlängerung der Oberen Linies des T um ½ Grad Richtung Nord-Osten. Die Galaxie M100 ist eine der größten Galaxien im Virgo-Haufen und hat einen Durchmesser von 107.000 Lichtjahren. Sie zeigt sich „Face-On“. Im 8mm Okular bei 211x waren Strukturen und Spiralarme zu erkennen. Galaxien mit so gut definierten und sichtbaren Armen nennt man auch „Grand-Design“ Galaxien.

Great Galactic Face zum Start in die Markarjansche Kette

Himmelskarte erstellt mit „Cartes du Ciel“

Eine optisch attraktive Ansammlung von Galaxien ist die Markarjansche Kette. Eine gekrümmte Kette von Galaxien die nach dem Astrophysiker Benjamin Markarjan benannt ist. Wie man diese schnell findet zeigte mir Timm Klose in einer Beobachtungsnacht am 21. April 2022 im Schwarzwald auf der Schwarzmiss bei Kaltenbronn (933m über N.N.. SQM-L 21,15, fst ca. 6,20m).

Man positioniert das das Teleskop einfach mittig in den Bereich zwischen Vindemiatrix (Sternbild Virgo) und Denebola (Sternbild Löwe). Im Okular erscheint ein Galaxien-Muster, das im Spiegelteleskop aussieht wie ein Propeller. Im Linsenteleskop mit Prisma wie ein Gesicht, daher die Bezeichnung „The Great Galactic Face“.

Im Zentrum steht ein kleiner Fleck, die 12m helle elliptische Galaxie NGC 4387, als „Nase“. Südlich die 11m helle Spiralgalaxie NGC4388 als „Mund“. Im Nord-Westen M84 mit 9m und Nord-Osten M86 mit 8m9 als „Augen“. Beide Galaxien erscheinen bei 130x im 13mm Okular als neblige Flecken mit hellem Kern. Letztere sind das westliche Ende von Markarjans Kette. In direkter Verlängerung von M84 über NGC 4387 nach Süd-Osten liegt ca. 1° entfernt die Galaxie M87. Sie erscheint im Teleskop ebenfalls als nebliger Fleck. Ab 20“ Öffnung soll hier der 6.500 Lichtjahre lange Jet sichtbar werden.

Der Quasar 3C 273

Himmelskarte mit Telrad-Kreisen (4°, 2°, 0,5°) erstellt mit „Cartes du Ciel“.

13 Grad südlicher im Sternbild Jungrau befindet sich der Quasar 3C 273. Hierbei handelt es sich um den aktiven Kern einer Galaxis, die „Quasi Stellar“, also wie ein Stern aussieht. 3C 273 war der erste entdeckte Quasar, hat eine scheinbare Helligkeit von 12m9 und ist 2,1 Milliarde Lichtjahre von der Erde entfernt. Einfach mal spontan vorbeischauen, so meine Idee. Per Telrad zum Stern FW Virginis, der ca. 3 ½ Grad nördlich von Porrima (Gamma Virginis) liegt. Dann mit Sternenkarte, Sucher und per Star-Hopping immer dichter ans Ziel herantasten. In der Zielregion angekommen geht es weiter im Übersichtsokular (30mm, 56x). Mehrfach verlaufe ich mich, denn die zu kleine Detailkarte ist umständlich in der Anwendung. Es hat etwas länger gedauert als gedacht, aber endlich habe ich ihn und fertige noch schnell eine Skizze an. Damit es beim nächsten Mal schneller geht.

Skizze ca. 1/2° Gesichtsfeld (211x im 8mm Okular bei 16″ f/4,25)

Jetzt im Frühjahr 2023 würde ich diese Tour gerne nochmal ausprobieren – ob das Wetter mitspielt?

Viel Erfolg und Clear Skies, Christian Roßberg.

Beobachtergruppe Deep-Sky der Volkssternwarte Darmstadt e.V. (beobachtergruppe-deep-sky@vsda.de)