Matroschka und die Teilchen

Dr. Ilka Petermann – Arizona State University, Tempe/USA

Was in klaren Nächten für farbenfrohe Polarlichter sorgt und Grundlage für die Altersbestimmung mit Hilfe der Radiokarbonmethode ist, kann für Astronauten eine Gefahr darstellen: die kosmische Teilchenstrahlung. Ihr Ursprung und ihre Beschleunigungsmechanismen geben auch gut hundert Jahre nach ihrer ersten Beschreibung noch Rätsel auf, doch internationale Großexperimente entlocken der Strahlung mehr und mehr Informationen. Und dann ist da ja noch Matroschka, die außen an der ISS die Stellung hielt…
 
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Abb.1: Polarlicht, aufgenommen aus der ISS. Das grünliche Glühen wird von molekularem Sauerstoff, das rote Band von atomarem Sauerstoff hervorgerufen. Dank an: Scott Kelly, Expedition 44, NASA
 
Bei den meisten Jobs sind Höhenflüge während der Arbeitszeit wahrscheinlich eher selten. Für den Physiker und Lehrer Karl Bergwitz dagegen gehörte 1908 neben dem Klassenzimmer auch eine Ballongondel zum Arbeitsplatz. Er untersuchte eine mögliche ‚ionisierende Strahlung des Erd-körpers‘ und ging der Frage nach, bis in welche Höhen diese Luftionisation nachweisbar wäre. Während eines Fluges registrierte er, dass die Ionisation erst abnahm, in größeren Höhen jedoch wieder anstieg. Bergwitz führte dies jedoch auf einen Messfehler in der Apparatur zurück und publizierte die Daten nicht. Einige Jahre später, im Jahre 1912, führte der Physiker Victor Franz Hess ähnliche Messungen bei einem Ballonaufstieg durch, erkannte aber, dass es sich nicht um einen Fehler handeln konnte und benannte das Phänomen als ‚Kosmische Strahlung‘ oder auch ‚Höhenstrahlung‘.
Auch wenn das Wort ‚Strahlung‘ an elektromagnetische Strahlung denken lässt, wird unter der Höhenstrahlung im Allgemeinen eine Teilchenstrahlung verstanden: zum größten Teil Protonen und Alphateilchen und ein kleiner Prozentsatz an schwereren Ionen.
Unterschieden wird zumeist in den recht gut verstandenen anisotropen Sonnenwind und die galaktische und extragalaktische Strahlung, die durch Streuprozesse und Wechselwirkungen mit interstellaren Magnetfeldern abgelenkt und gestreut wird und die Erde isotrop trifft.
Durch den stetigen Sonnenwind, aber auch während sogenannter Sonnenflares, gelangen geladene Teilchen zur Erde und werden durch das Erdmagnetfeld in Richtung der Pole gelenkt. Beim Eintritt in die Atmosphäre reagieren sie mit Gasatomen und ionisieren diese. Bei der Rekombination entsteht dabei dann etwas für Auge und Kamera: die Polarlichter (Abb.1).
(Extra-)galaktische Teilchen dagegen sind zwar weit weniger zahlreich, dafür aber erheblich energiereicher. Mögliche Kandidaten für kosmische Beschleuniger sind vor allem Supernova-Schockwellen, Pulsare, Aktive Galaktische Kerne oder Schwarze Löcher (Abb.2). Viele Fragen sind allerdings noch offen, etwa wie die seltensten und energiereichsten Teilchen beschleunigt werden können. Damit verknüpft ist auch die Frage, welches die höchstmögliche Energie ist, die ein Teil-chen erhalten kann und wie weit es durch den Weltraum reisen kann, bevor Wechselwirkungen es stoppen.
 
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Abb. 2: Künstlerische Darstellung einer Supernovaexplosion. Durch die Schockwelle werden Protonen auf hohe Energien beschleunigt und können als Kosmische Strahlung auf der Erde detektiert werden. Dank an: Greg Stewart/ SLAC National Accelerator Laboratory
 
Durch den Zusammenprall mit atmosphärischen Gasatomen entsteht aus einem dieser energie-reichen Teilchen ein ganzer ‚Schauer‘ an Folgeteilchen (Abb.3). Internationale Großexperimente wie das Pierre Auger Observatorium in Argentinien messen mit 1600 Stationen, von denen jede aus einem 12 m3 Wassertank besteht, die Resultate eines Schauers, die durch gleichzeitiges ‚Anschlagen‘ der Detektoren festgestellt werden. Aus der Stärke der Einzelsignale kann dann auf Energie und Richtung des Primärteilchens geschlossen werden.
Vor der Entwicklung von Beschleunigeranlagen (wie etwa dem LHC am CERN) war die kosmische Strahlung die einzige Quelle von hochenergetischen Teilchen. Durch sie konnten Teilchen wie Myonen oder Pionen erstmals nachgewiesen werden. Seitdem hat der ‚Teilchenzoo‘ viele neue Mitglieder bekommen und an Beschleunigern weltweit können ihre Eigenschaften analysiert werden. Doch trotz allen Fortschritts bleibt die kosmische Strahlung auch weiterhin die Quelle von Teilchen mit den allerhöchsten Energien.
 
höhenstrahlungAbb.3: Teilchen der kosmischen Höhenstrahlung treffen auf Gasatome der Erdatmosphäre und erzeugen einen Schauer an Sekundärteilchen, die auf der Erdoberfläche nachgewiesen werden können. Bild: Website des Deutsches Elektronen Synchrotron (=DESY)
Was am 15. Oktober 1991 gut 1000 km nordwestlich von Roswell in New Mexiko vom ‚Fly’s Eye‘ Detektor der Universität Utah registriert wurde, war zwar weder ein UFO noch eine göttliche Erscheinung, trotzdem war das ‚Oh-My-God-Teilchen‘ ein ganz besonderes Ereignis. Das Proton hatte eine Energie von 3.2*1020 eV (zum Vergleich: ’normale‘ Teilchen bringen es auf 106-109 eV) und damit eine Kollisionsenergie im Schwerpunktsystem, die hundertmal höher liegt, als das was der LHC in einer Proton-Proton-Kollision leisten kann. Das Proton hatte fast Lichtgeschwindigkeit, es war nur 1.5 Femtometer/Sekunde langsamer als ein Photon. Würden sich die beiden auf eine ein Lichtjahr lange Reise begeben, hätte das Photon nach 9.46*1015 m nur einen Vorsprung von 46 Nanometern! Gerade mal ein gutes Dutzend weiterer hochenergetischer Teilchen konnten seitdem nachgewiesen werden, was vermutlich auch diese Male den begeisterten Ausruf der beobachtenden Wissenschaftler zur Folge hatte.
Doch die kosmischen Teilchen erstaunen nicht nur,   sie können sogar helfen herauszufinden, wann etwa der berühmte Gletschermann ‚Ötzi‘ seine letzte Mahlzeit eingenommen hat. Die Radiokarbon-methode ist ein Verfahren zur Datierung organischer und damit kohlenstoffhaltiger Materialien. Der Kohlenstoff der Erdatmosphäre besteht zu fast 100 % aus den stabilen Isotopen C12 und C13, ein winziger (10-10 %) Anteil aus dem radioaktiven C14 mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Ohne ständigen Nachschub würde unserer 4.6 Milliarden Jahre alten Erde das C14 schon längst ausge-gangen sein. Doch die Wechselwirkung von kosmischer Strahlung mit dem Stickstoff der Atmos-phäre füllt den Vorrat ständig auf.
Die Radiokarbonmethode beruht darauf, dass lebende Organismen durch ihren Stoffwechsel ständig Kohlenstoff mit der Umgebung austauschen und damit dasselbe Isotopenverhältnis wie die Atmos-phäre haben. Fällt der Austausch weg (etwa wenn der Organismus stirbt) zerfällt das vorhandene C14 und die Messung des Verhältnisses von stabilem C12 zu radioaktivem C14 liefert eine Angabe des Alters. Die Methode liefert gute Ergebnisse bis zu einem Bereich von etwa 60000 Jahren – Ötzis Alter konnte so auf gut 5250 Jahre angegeben werden. Ob sein letzter Snack, Analysen gehen von Alpensteinbock-Fleisch aus, Begeisterungsstürme (oh my god!) hervorrief, ist dagegen nicht bekannt.
Während Erdmagnetfeld und Atmosphäre die Erdbewohner gut vor der Strahlung schützen, sind Astronauten während ihres Fluges oder ihres Aufenthaltes auf einer Raumstation wie der ISS in 300 km Höhe erheblich größeren Strahlungsdosen ausgesetzt. Deren Verteilung im Körper und Wirkung sind noch nicht ausreichend erforscht. Insbesondere für deutlich längere Missionen wie etwa eine Marsmission ist eine effiziente Abschirmung aber unerlässlich, damit der Mars-Astronaut seine Kartoffeln auch gesund und munter genießen kann…
Matroschka ist ein Experiment der ESA und des Zentrums für Luft-/ und Raumfahrt zur Messung der Strahlungsbelastung von Astronauten auf der Internationalen Raumstation. Die in Scheiben zerlegbare ‚Puppe‘, die einen lebensgroßen menschlichen Torso mit Kopf darstellt, enthält echte menschliche Knochen und Kunststoffkomponenten, die das Absorptionsverhalten menschlicher Organe nachahmen. 600 eingelassene Sensoren messen die Strahlungsbelastung, die mit üblichen, auf der Erde benutzten Dosimetern nur unzureichend gemessen werden könnte. Nur durch die genauen Analysen ist es möglich, entsprechende Schutzmaßnahmen für die Astronauten zu entwickeln. Matroschka trat dem ISS-Team 2004 bei und maß die Strahlung sowohl im Innern der Raumstation als auch bei einem ‚Außeneinsatz‘, angebracht an der Hülle. 2009 kehrte Matroschka wohlbehalten zur Erde zurück und mit ihr ein besseres Wissen über die kosmischen Teilchen.