Fremdartige Doppelsterne (Originalartikel vom 06.04.2018)

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff
(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Ein Bild des Kugelsternhaufens 47 Tucanae, mit dem Chandra-Röntgen-Observatorium aufgenommen. Das Bild erstreckt sich über ungefähr zehn Lichtjahre und zeigt viele kataklysmische Veränderliche (CVs), Weiße Zwerge, die von einem Begleiter Material akkretieren. Astronomen haben zweiundzwanzig neue CVs in dem Haufen entdeckt und kommen mittels Statistik zu dem Ergebnis
, daß, anders als bei vielen Haufen, die helle, kürzlich entstandene CVs beherbergen, in 47 Tucanae die CVs älter oder sogar ursprünglicher Natur sind. NASA / CXC / Michigan State / A. Steiner et al. 2014


 
Kataklysmische Veränderliche (cataclysmic variable stars = CVs) sind Weiße Zwerge, die einem sie umkreisenden Begleiter von geringer Masse Material abziehen. Die Akkretion wird durch die Nähe der Sterne erleichtert; übliche Umlaufzeiten schwanken zwischen etwa einer und bis zu zehn Stunden. Obwohl die Familie dieser exotischen CV-Doppelsterne heterogen ist, gibt es grob gesprochen vier Klassen, die sich durch die Physik der Akkretion, durch Ausbrüche, verursacht durch gelegentliche Akkretionsereignisse, Aufflackern durch die Aktivität an der Oberfläche des Weißen Zwergs und das Auftreten von Wasserstofflinien beim Begleitstern auszeichnen.
CVs sind in vielen galaktischen Umfeldern zu finden, aber ihr Vorkommen in Kugelsternhaufen, deren Entfernungen und Populationen gut untersucht sind, erlaubt eine genauere vergleichende Untersuchung ihrer Eigenschaften. CVs können die Entwicklung des Haufens beeinflussen, derweil sie selbst durch das dichte stellare Umfeld in einem Haufen beeinflußt werden. Modelle zur Entwicklung eines Kugelsternhaufens besagen, daß nach ungefähr zehn Milliarden Jahren ein Haufen mit einer Million Sterne etwa zweihundert CVs besitzen sollte – viel mehr, als bisher in irgendeinem Haufen gesehen worden ist. Allerdings ist es nicht einfach, CVs zu identifizieren, da sie lichtschwach sein können und da sie in solch stark bevölkerten Umfeldern vorkommen.
Die CfA-Astronomen Maureen van den Berg und Josh Grindlay entdeckten mit ihren Kollegen zweiundzwanzig neue CVs in dem nah gelegenen Kugelsternhaufen 47 Tucanae (47 Tuc) mittels Messungen des Chandra-Röntgen- und Hubble-Observatoriums; dies erhöht die Gesamtzahl der bekannten CVs auf dreiundvierzig, die bis jetzt größte Ansammlung in irgendeinem Kugelsternhaufen. Die Wissenschaftler finden, daß 47 Tuc weniger helle CVs besitzt als erwartet worden ist. Viele Kugelsternhaufen zeigen nahe ihrer Zentren einen steilen Anstieg der stellaren Dichte (das sogenannte „Kernkollaps“-Szenario). Die Wissenschaftler folgern, daß die hohen zentralen Dichten in diesen Kernkollaps-Haufen zu häufigen, nahen Begegnungen zwischen den Sternen führten, die im Gegenzug die Bildung jüngerer und heller CVs zur Folge haben. Der Haufen 47 Tuc hat einen Kernkollaps nicht durchlaufen; dies könnte den relativen Mangel an solch hellen CVs erklären. Diese neuen Resultate bedeuten, daß die CV-Population in 47 Tuc eine Mischung aus von Anfang an vorhandenen CVs und anderen, dynamisch in der frühen Entwicklung des Haufens gebildeten CVs darstellt.
Literatur:
„New Cataclysmic Variables and Other Exotic Binaries in the Globular Cluster 47 Tucanae“
L. E. Rivera Sandoval, M. van den Berg, C. O. Heinke, H. N. Cohn, P. M. Lugger, J. Anderson, A. M. Cool, P. D. Edmonds, R. Wijnands, N. Ivanova, and J. E. Grindlay
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 475, 4841, 2018
oder
arXiv1705.07100v2 [astro-ph.SR] 15 Jan 2018