Eine Galaxie mit zu wenig Dunkler Materie

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://pweb.cfa.harvard.edu/news)

Ein genaues Bild der diffusen Zwerggalaxie NGC 1052-DF2 vom Hubble-Weltraum-Teleskop. Astronomen haben die Leuchtkräfte lichtschwacher Sterne an der Spitze des Rote-Riesenastes in dieser Galaxie gemessen, um ihre Entfernung genauer zu bestimmen und ziehen den Schluß, daß sie in Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen sehr geringe Mengen an Dunkler Materie aufzuweisen scheint.
NASA/Hubble; Shen et al 2021

Die Galaxie NGC 1052-DF2 findet sich in einem Galaxienfeld, etwa fünfundsechzig Millionen Lichtjahre entfernt. Ihre geringe Masse, nur circa zweihundert Millionen Sonnenmassen, macht sie zu einem „Zwerg“ und ihre Größe, ungefähr fünfzehntausend Lichtjahre im Durchmesser, ordnet sie dem System der ultradiffusen Galaxien zu. Sie ist auch durch das Vorkommen einer großen Zahl an leuchtkräftigen Kugelsternhaufen gekennzeichnet. Vor zwei Jahren wurde eine zweite, ähnlich lichtarme Zwerggalaxie in ihrer Nähe entdeckt, und die relativen Bewegungen dieser beiden Galaxien weisen deutlich darauf hin, daß sie sehr wenig oder keine Dunkle Materie besitzen; zum Vergleich: die Dunkle Materie in der Milchstraße (eine normale Galaxie) besitzt nahezu zehn Mal mehr Masse als die stellare Materie. Astronomen bemerkten zudem, daß, falls diese Massen- und Bewegungsmessungen korrekt sind, sie genutzt werden könnten, um eine seit langem bestehende alternative Gravitationstheorie zu der Theorie von Einstein zu testen und zu verwerfen (oder zu bestätigen). Doch zuerst ist es notwendig, die Entfernung zu der Galaxie viel genauer zu kennen, da die Werte für viele Eigenschaften der Galaxie wie Bewegung, Leuchtkraft und abgeleitete Masse auf der angenommenen Entfernung beruhen.

CfA-Astronom Charlie Conroy war Mitglied in einem Team von Astronomen, das eine weitere Entfernung zu der Galaxie ermittelte. Anstatt sich auf ihre Geschwindigkeit/Rotverschiebung zu verlassen, um die Entfernung zu erhalten, ein Wert, der durch die lokale Bewegung innerhalb der Galaxiengruppe möglicherweise irregeleitet sein könnte, erlangten sie die Entfernung unter Verwendung der Helligkeit von lichtschwachen Roten Riesen an der Spitze des Rote-Riesenastes, Norm und gängige Methode, wenn die Sterne hell genug sind, um genau untersucht zu werden. Wenn ein Stern geringer Masse nahezu seinen gesamten Wasserstoff verbrannt hat und beginnt, Helium in seinem Kern zu fusionieren, geht der Übergang mit einem Schrumpfen seiner Größe, einem schnellen Anstieg in der Kerntemperatur, einer Verschiebung zu blauer Farbe und einem plötzlichen Abfall seiner Leuchtkraft einher. Diese schnelle Änderung in der Helligkeit ist bei optischen und nahinfraroten Wellenlängen leicht erkennbar; die absoluten Leuchtkräfte dieser Sterne können sodann bestimmt und, aus ihren scheinbaren Leuchtkräften, ihre Entfernung berechnet werden. Die Astronomen nutzten vierzig Umläufe des Hubble-Weltraum-Teleskops, um die Helligkeit der Roten Riesen in NGC 1052-DF2 zu messen und leiteten aus diesen Daten ihren Abstand ab: 72.7 Millionen Lichtjahre, plus/minus 5%. Diese neue Entfernung bestätigt die ungewöhnlichen Eigenschaften der Galaxie, darunter ihr rätselhafter Mangel an Dunkler Materie und das ihre Kugelsternhaufen außergewöhnlich leuchtkräftig sind (die neue Entfernung macht sie in der Tat sogar noch leuchtkräftiger). Das Ergebnis bedeutet zudem, daß die Daten nicht für Tests der vorgeschlagenen alternativen Gravitationstheorie geeignet sein werden.

Literatur:

„A Tip of the Red Giant Branch Distance of 22.1±1.2Mpc to the Dark Matter Deficient Galaxy NGC 1052–DF2 from 40 Orbits of Hubble Space Telescope Imaging“

Zili Shen, Shany Danieli, Pieter van Dokkum, Roberto Abraham, Jean P. Brodie, Charlie Conroy, Andrew E. Dolphin, Aaron J. Romanowsky, J. M. Diederik Kruijssen, and Dhruba Dutta Chowdhury

The Astrophysical Journal Letters 914, L12, 2021

oder

arXiv:2104.03319v2 [astro-ph.GA] 20 May 2021