Die sich entwickelnde Chemie von protoplanetaren Scheiben

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Künstlerische Darstellung einer planetenbildenden, zirkumstellaren Scheibe um einen jungen Stern. Astronomen haben mit der ALMA untersucht, wie sich die Chemie flüchtiger Moleküle – darunter Wasser und Kohlenmonoxid – entwickelt, während junge Scheiben ähnlich dieser hier Planeten hervorbringen, sowie die Auswirkungen dieser Änderungen auf die sich ausbildenden, neuen Planeten.
Karne L. Teramura, UH IfA

Planeten bilden sich aus Gas und Staub in Scheiben, die junge Sterne umgeben. Chemikalien in der Scheibe, die leicht verdampfen, flüchtig genannt, umfassen wichtige Moleküle wie Wasser, Kohlenmonoxid, Stickstoff sowie andere einfache organische Moleküle. Die Menge an flüchtigem Material, das sich in einem Planeten während seiner Bildung anreichert, ist ein wichtiger Faktor bei der Festlegung der Atmosphäre und der Eignung des Planeten für Leben, und hängt von den Einzelheiten der Gas- und Eisvorräte in der Scheibe zur Zeit der Planetenbildung ab. Da sich die Zusammensetzung der Scheibe über deren Lebenszeit ändert, arbeiten Astronomen, die an dem Aufbau von Planeten interessiert sind, intensiv daran, die Entwicklung der Chemie von Scheiben zu verstehen. Sie haben bereits erkannt, daß Wasser und Kohlenmonoxidgas in jungen Systemen im Vergleich zu ihrem Vorkommen im normalen interstellaren Medium ausgedünnt werden, manchmal bis zu einem Faktor von Einhundert. Heutige Vorstellungen gehen davon aus, daß die Ursache darin zu suchen ist, daß die flüchtigen Stoffe auf den Oberflächen von Staubkörnern ausgefroren sind, die sich anschließend in der Mitte der kalten Ebene der Scheibe sammeln, wo sie ausgefroren zurückbleiben. Da jedoch jede flüchtige Substanz unterschiedliche Eigenschaften besitzt, ist jede in verschiedenem Ausmaß ausgedünnt; Sauerstoff ist das am stärksten verarmte Element, gefolgt von Kohlenstoff und Stickstoff. Dieser allgemeine Rahmen erklärt die Beobachtungen der wenigen, einzelnen untersuchten Quellen, aber Astronomen mangelt es immer noch an einem systematischen Blick, wie sich die Chemie der flüchtigen Stoffe mit der Zeit entwickelt.

Die CfA-Astronomen Karin Oberg, Sean Andrews, Jane Huang, Chunhua Qi und David Wilner waren Mitglieder in einem Team, das mit dem ALMA-Teleskop die flüchtigen Bestandteile in fünf jungen Scheibenanwärtern untersuchte. Sie kombinierten die Ergebnisse mit Daten einer früheren Untersuchung an vierzehn weiter entwickelten Scheiben und modellierten diese, um einen entwicklungsgeschichtlichen Überblick auf die flüchtigen Stoffe über die Lebenszeit der Scheiben zu entwickeln. Sie kommen zu dem Schluß, daß Kohlenmonoxid schnell ausdünnt – in den ersten 0.5 – 1 Million Jahren des Daseins einer Scheibe. Sie finden zudem, daß die jüngsten Objekte, das sind solche, die noch immer tief in ihrer Kokon aus Geburtsmaterial eingebettet sind, ausgeprägte chemische Signaturen aufweisen, da vermutlich Moleküle in der Scheibe vor der ultravioletten Strahlung, die die chemischen Bindungen zerstören kann, geschützt sind. Die Wissenschaftler werfen zudem die Frage auf, ob Verdampfung der Eismäntel Bestandteile in das Gas zurückführen könnte, folgern aber, daß nach wie vor zu viele Unsicherheiten bleiben, um eine endgültige Antwort zu erhalten und sie befürworten den Bedarf einer größeren Probe an jungen Scheiben. Die neue Untersuchung ist ein beträchtlicher Fortschritt im Verständnis der Entwicklung der Chemie von jungen, planetenbildenden Scheiben.

Literatur:

„An Evolutionary Study of Volatile Chemistry in Protoplanetary Disks“

Jennifer B. Bergner, Karin I. Öberg, Edwin A. Bergin, Sean M. Andrews, Geoffrey A. Blake, John M. Carpenter, L. Ilsedore Cleeves, Viviana V. Guzmán, Jane Huang, Jes K. Jørgensen, Chunhua Qi, Kamber R. Schwarz, Jonathan P. Williams, and David J. Wilner

The Astrophysical Journal 898, 97, 2020

oder

arXiv:2006.12584v1 [astro-ph.SR] 22 Jun 2020