Die Rolle der Turbulenz bei der Entstehung massereicher Sterne

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://pweb.cfa.harvard.edu/news)

Ein IRAC-Infrarotbild vom massereichen Sternentstehungskomplex NGC6334. Einige Theorien besagen, daß turbulente Gasbewegungen in solchen Molekülwolken die Bildung von Sternen mit geringer Masse verhindern, die Bildung von Sternen mit hoher Masse jedoch erleichtern. Astronomen haben die Gasbewegungen in dichten Kernen in der Dunkelwolke NGC6334S, die durch den weißen Kasten umrissen wird, mit sehr hoher räumlicher und spektraler Auflösung unter-sucht. Sie fanden heraus, daß die scheinbar turbulente Bewegung des Gases im Gegensatz zu früheren Schlussfolgerungen häufig das Ergebnis von Beobachtungen mit geringer Auflösung ist, bei denen die Bewegungen von zwei oder mehr unterschiedlichen Gasvolumina miteinander vermischt wurden.
Willis et al., 2013

Molekülwolken in der Milchstraße sind im Allgemeinen bei der Bildung von Sternen ineffektiv; nur etwa 1 % des verfügbaren Materials landet in einem Stern. Astronomen vermuten, daß ein Grund dafür darin liegt, daß die sternbildenden Kerne durch den Druck des turbulenten, sich mit Überschall bewegenden Gases am Kollaps durch die Gravitation gehindert werden. Vor vier Jahrzehnten stellten Wissenschaftler fest, daß die turbulenten Gasgeschwindigkeiten in Wolken zuzunehmen scheinen, wenn die Größe der Wolke zunimmt. Diese Beziehung wurde benutzt, um zu argumentieren, daß sich die Überschallturbulenz auf den kleinen räumlichen Skalen aufgelöst hat, auf denen Gas zum Kollaps bereitsteht. Dieses Verhalten würde mit neueren Beobachtungen im fernen Infrarot übereinstimmen, bei denen festgestellt wurde, daß Sterne dazu neigen, sich entlang begrenzter fadenförmiger Strukturen zu entwickeln. Diese kleinräumigen Strukturen wären schwer zusammenzuhalten, wenn sie sich schnell bewegendes, turbulentes Gas enthielten.

Zumindest gilt dieses Geschehen für massearme Sterne. Beobachtungen an jungen massereichen Sternen scheinen jedoch auf das Gegenteil hinzudeuten. In vielen kleinen Kernen, in denen sich Protosterne hoher Dichte und hoher Masse entwickeln, stellte sich heraus, daß sich das Gas in Überschallbewegung befindet. Dieses Ergebnis gab Anlaß zu einem Gegenmodell, bei dem sich massereiche Sterne genau dort bilden, wo Gasturbulenzen die Entwicklung massearmer Sterne unterdrücken – bis sich genügend Masse für die Entstehung massereicherer Sterne ansammelt. Massereiche Sterne beeinflußen entscheidend die galaktische Umwelt: Ihre intensive Strahlung ionisiert das interstellare Medium, und ihr Untergang in Supernovae reichert das Medium mit schweren Elementen an. Aufgrund der kosmischen Bedeutung massereicher Sterne haben sich Astronomen mit den Unsicherheiten bei den Beobachtungen und Schlußfolgerungen befaßt.

Die CfA-Astronomen Shanghuo Li, Qizhou Zhang, Howard Smith, Joe Hora und Shaye Strom leiteten eine Untersuchung der Sternentstehung in der Riesenmolekülwolke NGC6334S. Als Teil eines viel größeren Sternentstehungskomplexes ist NGC6334S insofern ungewöhnlich, als dort keine Entstehung massereicher Sterne zu beobachten ist, obwohl sie alle Voraus-setzungen dafür zu haben scheint. Die Astronomen benutzten die ALMA- und JVLA-Teleskopanordnungen, um Bilder mit hoher räumlicher (0.07 Lichtjahre) und Geschwindigkeitsauflösung (0.2 km/s) von neunundvierzig dichten Kernen entlang von Filamenten in der Wolke zu erhalten, wobei die Kernmassen bis zu vierzehn Sonnenmassen betragen. Die Beobachtungen ermöglichten es, die Strukturen in einzelne Quellen aufzulösen und zu erkennen, daß scheinbar turbulente Bewegungen mit hohen Geschwindigkeiten in Wirklichkeit das Ergebnis von zwei oder mehr verschiedenen Gasvolumina waren, die sich mit etwas unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegten; sie erschienen nur dann turbulent, wenn die verschiedenen Quellen vermischt wurden. Tatsächlich waren die mäßigen Gasbewegungen denen sehr ähnlich, die bei der Bildung von massearmen Sternen auftreten. Die Wissenschaftler bringen vor, daß die niedrigeren Auflösungen früherer Studien zu der falschen Schluß-folgerung geführt haben, daß das Gas Überschallgeschwindigkeit hat, obwohl die Quellen aus mehreren Unterstrukturen bestehen. Eine Folgerung aus diesem Ergebnis ist, daß der Druck außerhalb des Kerns (und nicht die internen Gas-bewegungen) eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung massereicher, dichter protostellarer Kerne spielt.

Literatur:

„ALMA observations of NGC 6334S I: Forming Massive Stars and Clusters in Subsonic and Transonic Filamentary Clouds“

Shanghuo Li, Qizhou Zhang, Hauyu Baobab Liu, Henrik Beuther, Aina Palau, Josep Miquel. Girart, Howard Smith, Joseph L. Hora, Yuxing Lin, Keping Qiu, Shaye Strom, Junzhi Wang, Fei Li, and Nannan Yue

The Astrophysical Journal 896,110, 2020

oder

arXiv:2003.13534v1 [astro-ph.GA] 30 Mar 2020