Beste Aussichten: Neblig und bewölkt

Dr. Ilka Petermann

In einer schönen, sternklaren Nacht, irgendwann im Jahre 964, ging der in der westlichen Welt als Azophi bekannte persische Astronom vor die Tür um ein Wölkchen zu beobachten. Nun hatten es dem Gelehrten allerdings nicht die Ansammlungen von feinsten Wassertropfen in der Atmosphäre angetan, sondern ein verschwommener Fleck, den wir im heutigen Sternbild ‚Andromeda‘ finden: der ‚Andromedanebel‘. Mit 3,5 mag ist er freiäugig bei guten Sichtbedingungen leicht zu entdecken, doch um herauszufinden, was genau da an den Himmel ‚gekleckert‘ wurde – dafür braucht es dann schon mindestens ein (galaktisch gutes) Fernrohr.

Abb.1: Im Holzschnitt von Albrecht Dürer ‚Die nördliche Hemisphäre des Himmels‘ aus dem Jahr 1515 hält ‚Azophi Arabus‘
(unten rechts) ganz konzentriert eine sternenvolle Himmelskugel in der Hand.
Credit: Wikipedia

Der Mathematiker, Astronom und Arzt Simon Marius war einer der ersten, der im 17. Jahrhundert das neuartige Teleskop zur Himmelsbeobachtung nutzte und so 1612 auch den Andromedanebel beschrieb, den Azophi in seinem berühmten ‚Buch der Fixsterne‘ (das sowohl im arabischen als auch im europäischen Kulturraum einen bedeutenden Stellenwert einnahm, Abb.1) notiert hatte. Einzelheiten des Nebels konnte Marius mit seinem Fernrohr zwar auch noch nicht erkennen – er vermerkte jedoch ’schimmernde Strahlen, die um so heller werden, je näher sie dem Zentrum sind‘. Und damit sich seine Zeitgenossen das Ganze noch besser vorstellen konnten, beschrieb er jenen schwachen, blassen Lichterglanz ‚wie wenn man aus großer Entfernung eine brennende Kerze durch ein durchscheinendes Stück Horn betrachtet‘.

Gut 150 Jahre später sah der französische Astronom Charles Messier bei seiner Suche nach Kometen vielleicht nicht gerade rot – aber eine Menge störender Flecken, die ähnlich diffus wie Kometen aussahen, jedoch anders als diese eine feste Position aufwiesen. Er packte das Problem bei den Hörnern und stellte als Hilfestellung, auch für andere Kometen-jäger, einen ‚Nebelkatalog‘ zusammen. Der erste in der langen Reihe jener Kataloge (veröffentlicht 1771) umfasste 45 ortsfeste astronomische Objekte (heute: 110), die ’neblig‘ erscheinen und keine Kometen sind. Heute wissen wir, dass der Messier-Katalog eine Vielzahl von Objekten ganz unterschiedlicher Natur umfasst – doch um das rauszufinden brauchte es noch einige ‚Pfundskerle‘.

Einer davon war William Parsons, 3. Earl of Rosse oder besser: sein ‚Leviathan von Parsonstown‘. 1826 richtete Lord Rosse auf seinem Landsitz in Irland ein erstes kleines Observatorium ein und beobachtete verschiedene Nebel. In einigen Objekten meinte er, Sterne in dem leuchtenden Gas zu erkennen, doch sein 36 Zoll Spiegelteleskop begrenzte das Auflösungsvermögen. Und so nahm er einen ordentlichen Teil seines Vermögens, rund 12.000 Pfund Sterling (entsprechen heute ungefähr 1.4 Millionen €), um eben jenes zu verbessern. Im Jahr 1845, nach der Überwindung zahlreicher technischer Herausforderungen, wurde der ‚Leviathan von Parsonstown‘ fertiggestellt: der Hauptspiegel aus einer bronze-ähnlichen Legierung, 183 Zentimeter im Durchmesser, fast 4 Tonnen schwer und mit einer Brennweite von 16 Metern, wurde in einem gewaltigen Meridianteleskop verbaut und erlaubte seinem stolzen Besitzer einen einmalig scharfen Blick auf die Nebelflecken. Rosse erahnte schnell in mehreren Objekten wirbelartige, spiralförmige Strukturen, die er in zahl-reichen Zeichnung festhielt (Abb. 2) und die seine Überzeugung zu stützen schienen, dass alle nebligen Flecken aus unzähligen und schon fertigen Sonnen bestünden (der britische Astronom John Herschel vertrat die gegensätzliche Auffassung, dass das Universum sich entwickelt und aus Nebeln durchaus erst noch Sterne entstehen können).

Abb.2: Da dreht sich was: Nach Beobachtungen mit seinem ‚Leviathan‘ Riesenteleskop erkennt Lord Rosse feinere Strukturen in Nebelflecken – wie hier in der ‚Whirlpool Galaxie‘ (Zeichnung um 1845)
Credit: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Whirlpool_by_lord_rosse.jpg

Die neuen Beobachtungen sorgen für reichlich Wirbel in astronomischen Fachkreisen. Waren ‚Nebelflecken‘ in Wirklichkeit riesige Ansammlung von Sternen, hübsch sortiert in Strukturen wie – womöglich mehreren – Spiralarmen (diese Hypothese vertraten z.B. John Herschel, William Henry Smyth) oder einfach verwirbelte Gasmassen (Vertreter der ‚Nebeltheorie‘)? Heute wissen wir, dass die Frage mit einem entschiedenen ‚Jein‘ beantwortet werden kann – was allerdings erst weiter verbesserte Teleskope, die Astrofotografie und moderne Methoden wie die Spektralanalyse erforderte.

Denn selbst das Auflösungsvermögen des Koloss‘ von Lord Rosse war begrenzt – auch war eine Nachführung des Teleskops nicht vorgesehen, sodass etwa keine fotografischen Aufnahmen mit langer Belichtungszeit von leucht-schwachen Objekten möglich waren. Trotzdem war der Leviathan noch rund 70 Jahre das größte Teleskop der Welt – erst 1917 wurde er vom 100-Zöller des Mount-Wilson-Observatoriums in Kalifornien, nordöstlich von Los Angeles, abgelöst.

Die Natur der Nebel warf nun schnell noch weitere Fragen auf – neben dem ‚was‘ (Gas? Sterne?) und ‚wie‘ (Reich an Armen oder arm an Armen?) auch ein ‚wo‘: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war noch unbekannt, wie groß unsere Milch-straße eigentlich ist – und damit auch, was alles zu ihr gehört. In der ‚Großen Debatte‘ von 1920 (auch Shapley-Curtis-Debatte) wurden damals gängige Theorien zur Natur der Nebelflecken und der Größe des Universums diskutiert. Harlow Shapley vertrat die Ansicht, dass die Milchstraße viel größer als zumeist angenommen ist – und die Spiralnebel Gaswolken in unserer Milchstraßenriesengalaxie sind. Dem gegenüber stand Heber Curtis, der argumentierte, die Milchstraße ist ‚gar nicht allzu groß‘ und die Spiralnebel sind eigenständige und der Milchstraße ähnliche Objekte in sehr großer Entfernung. Ihren Argumenten hatten beide Astronomen zwar teils heute widerlegte Annahmen zugrunde gelegt – doch bei einem behielt Curtis am Ende recht: das Weltall ist familiärer als gedacht, die Milchstraße hat viele, weit entfernte ‚Geschwister‘.

Wenig später, im Jahr 1926, beobachtete Edwin Hubble dann einen Typ von veränderlichen Sternen (Cepheiden) in der Andromedagalaxie, mit Hilfe derer erstmals eine Distanzmessung möglich wurde. Mit den so bestimmten 900.000 Licht-jahren (heutiger Wert: 2.500.000 Lichtjahre) ließ sich dann auch Shapley überzeugen, dass es auch außerhalb der Milch-straße einige andere schöne ‚Straßenzüge‘ – Galaxien – geben muss.

Hubble war es dann auch, der die ihm bekannten Galaxien (im sichtbaren Licht und alle recht nahe gelegen) in ein nach ihm benanntes morphologisches Ordnungsschema sortierte. Mit der Lesart einer ‚Entwicklungssequenz‘ von der dunstigen Linse (E0) zur herzlich grüßenden Spiralgalaxie (ausgebreitete, deutlich auflösbare Spiralarme, etwa Sc oder SBc) hat das Schema zwar mittlerweile nichts mehr zu tun, doch gibt die ‚Hubble-Klassifikation‘ nach wie vor ein übersichtliches Bild zu Beschreibung und Sortierung von Galaxien (Abb. 3).

Abb.3: Die Galaxienklassifikation nach Edwin Hubble sortiert die ‚Welteninseln‘ nach Form und Struktur (E: Ellipse; S: Spiralgalaxie; SB: Balkenspiralgalaxie) in eine übersichtliche ‚Stimmgabel‘. Unsere Milchstraße verdreht als ‚Balkenspiralgalaxie‘ vielleicht ein paar Außerirdischen den Kopf (so sie denn ‚von oben‘ draufschauen können…)
Credit: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hubble_sequence_photo.png

Und so könnten wir all jenen frühen Himmelsbeobachtern, die bei der Frage nach der Natur der Nebel noch in eben jenem stocherten, für ein wenig Erleuchtung sorgen: Einige der dunstigen Flecken können tatsächlich ‚echte‘ Nebel sein, die aus einer irregulären Ansammlung von Gas (hauptsächlich Wasserstoff) und Staub bestehen. Je nach Natur ihres Leuchtens werden sie in Emissionsnebel (Orionnebel bzw. Messier 42, erst durch die Spektralanalyse als ‚echter Nebel‘ bekannt), Reflexionsnebel (etwa um die Plejaden, auch als Messier 45 katalogisiert) oder Licht absorbierende Dunkelnebel (der ‚Kohlensack‘ im Kreuz des Südens; Pferdekopfnebel) eingeteilt. Andere ‚Gasansammlungen‘ umfassen den Supernova-Überrest Messier 1, der unter anderem aus ionisiertem Wasserstoff und Helium besteht und planetarische Nebel, die abge-stoßenen Gashüllen alter sonnenähnlicher Sterne am Ende ihrer Entwicklung, (z.B. Messier 27, der Hantelnebel).

Und dann gibt es noch jene 40 Objekte im Messier-Katalog, die es Milliardenfach in sich haben: Galaxien. Mit so vielen Sternen, dass die weit entfernten Strukturen erst einmal nur wie ein verwaschenes Fleckchen am Himmel aussehen – das erst mit den modernsten Teleskopen in Einzelsterne aufgelöst werden kann. Und eines davon ist unsere Nachbarin, Azophis Wölkchen, der kleine Nebel im Sternbild Andromeda: Messier 31, die Andromeda-Galaxie. Mit ihrem Durchmesser von 200.000 Lichtjahren ist die Spiralgalaxie rund doppelt so groß wie unsere Milchstraße und ihre eine Billion Sterne lassen sie so hell strahlen, dass sie trotz ihrer Entfernung von 2,5 Millionen Lichtjahren noch mit bloßem Auge gesehen werden kann.

Lord Rosses ‚Whirlpool-Galaxie‘, Messier 51, erfreut nicht nur mit ihrer ausgeprägten Spiralstruktur (auf die wir direkt ‚von oben‘ draufblicken), sondern auch noch mit einer irregulären Begleitgalaxie, die sie an der Hand hält.

Messier 33 lässt uns – natürlich vor Freude – im Dreieck springen (die Dreiecksgalaxie hat eine Gesamthelligkeit von 5,7 mag und ist nach der Andromedagalaxie die zweithellste Spiralgalaxie am Nachthimmel); Messier 82 muss dagegen vor der Tür warten (Rauchen bitte nur draußen: die ‚Zigarrengalaxie‘ erscheint ‚zigarrenähnlich‘ schmal und länglich), dafür erinnert uns Messier 104, die ‚Sombrerogalaxie‘ an schöne, warme Sommertage (die eher kleine Galaxie verblüfft mit einem zentralen Schwarzen Loch, dessen Masse jene von Milchstraße und Andromeda übertrifft).

Beim Gedanken an Sombreros und Zigarren kommt nun der eine oder die andere vielleicht auf die Idee, ganz kurzerhand die Koffer zu packen und sich auf den Weg in Richtung Süden zu machen. Und wie man dann so mit dem völlig unsortierten Gepäck, einem großen Koffer und dem kleineren Handgepäck, im Hotel ankommt und ans wolkenlose Firmament schaut – wird man von einem himmlischen Pendant gegrüßt: zwei der uns nächsten Galaxien, die die Große und die Kleine Magellansche Wolke stehen hoch am Südhimmel. Nachbarschaftliche 163.000 bzw. 206.000 Lichtjahre von uns entfernt und ihres Zeichens ‚irreguläre Galaxien‘ weisen sie weder  Spiralarme, noch ausgeprägte Balkenstrukturen, einen deutlichen Kern oder Symmetrieebenen auf. Im galaktischen Vergleich sind sie eher klein (selbst die Große Magellansche Wolke bringt es nur auf rund 5% der Anzahl der Sterne der Milchstraße) – doch ihre recht üppige Menge an Gas und Staub lässt besonders die große Wolke astronomisch glänzen. So finden sich etwa einige der massereichsten bekannten Sterne in der Galaxie – manche davon bringen über 100 Sonnenmassen auf die Waage, der Stern R136a1 trumpft sogar mit unvorstellbaren 265 Sonnenmassen auf. Dies teilt er seiner Umgebung mit einer 10-millionenfachen Sonnenleuchtkraft dann auch wenig bescheiden mit und bringt den ihn umgebenden ‚Tarantelnebel‘ (auch unter NGC 2070 bekannt, Abb. 4) ordentlich zum Strahlen. Sogar so stark, dass ‚die Tarantel‘, eines der größten Sternentstehungsgebiete der lokalen Gruppe ist, das sogar schon in kleinen Fernrohren leicht zu beobachten ist.

Glowing brightly about 160 000 light-years away, the Tarantula Nebula is the most spectacular feature of the Large Magellanic Cloud, a satellite galaxy to our Milky Way. This image from VLT Survey Telescope at ESO’s Paranal Observatory in Chile shows the region and its rich surroundings in great detail. It reveals a cosmic landscape of star clusters, glowing gas clouds and the scattered remains of supernova explosions.

Und dann kann die Große Magellansche Wolke auch noch mit einem echten Superstar aufwarten, oder besser: der Supernova 1987A. Der explosive Stern ist bis heute eines der am besten untersuchten Objekte der Astrophysik, das neben einer genauen spektroskopischen Untersuchung auch erstmalig eine Neutrinomessung erlaubte und so theoretische Modelle zu Supernovaexplosionen bestätigen konnte.

Nun dauerte es ein Weilchen, bis reisefreudige Bewohner der Nordhalbkugel erstmalig den Südhimmel beobachteten und die beiden Wölkchen beschrieben. Neben dem Namensgeber der Wolken, Ferdinand Magellan, sind unter ihnen etwa der Mönch Peter Maryr D’Anghiera (der das Pfeilgift Curare, die beiden Galaxien und als Chronist die Abenteuer seines Freundes Christoph Columbus beschrieb) oder Andrea Corsali, der auf einem portugiesischen Schiff die Welt bereiste, zu nennen.

Für die Bewohner der Südhalbkugel dagegen waren die beiden Nebelchen gut bekannte nächtliche Begleiter, die bedeu-tende Rollen in den Mythen ihrer Gemeinschaft spielen. Petroglyphen (in Stein gearbeitetes Felsbild) und Zeichnungen in Chile geben davon Zeugnis, ebenso wie zahlreiche überlieferte Geschichten aus Südamerika, Afrika, Asien oder Australien. So sind etwa auf Groote Eylandt, einer Insel vor der Nordküste Australiens, die Magellanschen Wolken als das Lager eines sehr altes Paares bekannt, das nicht mehr allein für sich sorgen kann. Die jungen Mitglieder der Gruppe sammeln Gemüse und jagen Fisch in der Milchstraße, um es den beiden zu bringen: Er ist dabei die Große Wolke, sie die Kleine Wolke und ein heller Stern dazwischen (vermutlich Achernar) ihre Mahlzeit auf dem Feuer (H. Selin, S. Xiaochun: Astronomy Across Cultures – The History of Non-Western Astronomy, Springer Dordrecht, 2000).

Und in Arnhemland, ganz im nördlichsten Zipfel Australiens, sind die beiden Magellanschen Wolken als die Wohnstätten zweier Schwestern bekannt. In der Trockenzeit verlässt die große Schwester die kleine, und zur Regenzeit kehrt sie zurück – und beide sammeln gemeinsam Yams.

Und dann gab es schließlich noch ein ‚gemeinsames Projekt‘ ganz anderer Natur: 1962 führte das Interesse an den beiden Satellitengalaxien der Milchstraße zur Gründung der ESO mit ihren Teleskopen in der chilenischen Atacama-Wüste (Abb. 5) – die seitdem neben erstklassiger Forschung auch großartige Aufnahmen für Astronomen und Astronomiebegeisterte weltweit teilt.

This beautiful image of the Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA), showing the telescope’s antennas under a breathtaking starry night sky, comes from Christoph Malin, an ESO Photo Ambassador. This is a still frame taken from one of his painstakingly created time-lapse videos of ALMA, which are also available (see ann12099).Located on the Chajnantor Plateau at an elevation of 5000 metres, ALMA is the world’s most powerful telescope for studying the Universe at submillimetre and millimetre wavelengths. Construction work for ALMA will be completed in 2013, and a total of 66 of these high-precision antennas will be operating on the site. Glowing brightly in the sky, the Large and Small Magellanic Clouds stand out above the antennas. These nearby irregular dwarf galaxies are conspicuous objects in the southern hemisphere, even with the naked eye. These galaxies are both orbiting the Milky Way — our galaxy — and there is evidence that both have been greatly distorted by their interaction with the Milky Way as they travel close to it.  ALMA, an international astronomy facility, is a partnership of Europe, North America and East Asia in cooperation with the Republic of Chile. ALMA construction and operations are led on behalf of Europe by ESO, on behalf of North America by the National Radio Astronomy Observatory (NRAO), and on behalf of East Asia by the National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ). The Joint ALMA Observatory (JAO) provides the unified leadership and management of the construction, commissioning and operation of ALMA. Links ALMA time-lapse compilation 2012 video More about ALMA at ESO Joint ALMA Observatory ESO Photo Ambassadors