Bebauungspläne im Sonnensystem

Dr. Ilka Petermann

Richtig voll, aber eigentlich ziemlich leer: im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter (Abb. 1) ziehen Millionen von kleineren und größeren Objekten ihre Bahnen – doch durch die große Ausdehnung halten sie trotzdem einen Abstand von durchschnittlich rund einer Million Kilometern. Und dann bleibt ja immer noch die Frage: noch ein Asteroid oder schon ein Zwergplanet? Oder vielleicht ein Minimond?

Abb.1: Lange Zeit dachten Astronomen, dass zwischen Mars und Jupiter ein weiterer Planet seine Bahnen dreht – doch statt eines einzelnen, kompakten Himmelskörpers sind es Millionen von Asteroiden und ein paar Zwergplaneten, die den Bereich – den Asteroidengürtel (weiße Daten-punkte) – bevölkern.
Credit: Wikipedia

‚Ich setze da jetzt einen Planeten hin‘, entschied Johannes Kepler im Jahr 1596 und hielt ihn in seinem Werk ‚Mysterium Cosmographicum‘ (Das Weltgeheimnis) fest. Ein leichtfertiger Lückenfüller war der vermutete planetare Neuzugang aber auf keinen Fall. Als Befürworter des neuen kopernikanischen Weltbildes suchte Kepler Ordnung in die Bahnen der Planeten um die Sonne zu bringen. Ein erster Versuch, die Kreisbahnen der damals fünf bekannten Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn) im Einklang mit ineinander geschachtelten Polyedern zu beschreiben, führte nicht zum Erfolg – doch brachte er den Astronomen auf die Entdeckung jener drei Gesetzmäßigkeiten, die heute als ‚Kepler’sche Gesetze‘ seinen Namen tragen und die Bewegung der Planeten um die Sonne beschreiben. Bei der Auswertung von Beobachtungsdaten, insbesondere den sehr präzisen Aufzeichnungen von Tycho Brahe, fiel Kepler dabei auf, dass zwischen Mars und Jupiter eine auffällige Lücke klaffte – die er mit einem hypothetischen Planeten ‚bebaute‘.

Und 170 Jahre später schien sich die Lücke auch für Johann Daniel Titius und Johann Elert Bode zu schließen: bei ihrer Untersuchung der Abstände der Planeten von der Sonne stießen sie auf eine einfache mathematische Formel, die näherungsweise die Distanzen der Planeten angeben konnte. Von Merkur bis Saturn lieferte die ‚Titius-Bode-Reihe‘ gute Ergebnisse – und ließ vermuten, dass zwischen Mars und Jupiter ein weiterer Mitstreiter im Sonnensystem seine Bahnen ziehen müsste. Titius schreckte sogar vor mehreren Himmelskörpern in der Lücke nicht zurück und führte aus: ‚Und der Bauherr sollte diesen Raum leer gelassen haben? Es ist nicht zu zweifeln, daß dieser Raum den bisher noch unentdeckten Trabanten des Mars zugehöre, oder daß vielleicht auch Jupiter noch Trabanten um sich habe, die bisher durch kein Fernrohr gesehen sind.‘

Und damit hatte er ein bisschen recht – und ein bisschen unrecht.

Heute wissen wir, dass zwischen Mars und Jupiter der sogenannte ‚Asteroidengürtel‘ liegt, ein Bereich mit einer gehäuften Ansammlung von ‚kleinen Objekten‘ wie Asteroiden und Zwergplaneten, die größten mit Durchmessern von einigen hundert Kilometern (rund 200 Objekte sind größer als 100 km), die kleinsten mit einem Kilometer im Durchmesser (Abb. 1). Gemein ist allen, dass sie durch ihren kleinen Durchmesser, aber auch durch ein zumeist außerordentlich geringes Rückstrahlvermögen sehr dunkel und damit nur schwer, selbst mit den besten Teleskopen, zu finden sind. Kleinere Brocken und Bröckchen ziehen mit großer Wahrscheinlichkeit auch ihre Bahnen – doch gilt die ‚Kilometer-Grenze‘ oft als Abschneidekriterium bei der Auflistung der bekannten und neuentdeckten Objekte. Schätzungen gehen davon aus, dass es zwischen 700.000 und 1,7 Millionen Objekte größer als ein Kilometer im Durchmesser gibt.

Der Bereich des Asteroidengürtels erstreckt sich zwischen 2 und 3,4 Astronomischen Einheiten (AE; eine Astronomische Einheit sind knapp 150 Millionen Kilometer, was der durchschnittlichen Entfernung zwischen Sonne und Erde entspricht), sodass trotz der gewaltigen Anzahl an Kleinkörpern der Bereich alles andere als ‚dicht bebaut‘ ist. Mit einem mittleren Abstand der Objekte von rund einer Million Kilometern lässt er sich ganz unbehelligt durchfliegen – wie es die Sonde Pioneer 10 als erstes von Menschen hergestelltes Objekt im Jahr 1973 tat. Damals war unklar, ob Raumsonden den Gürtel tatsächlich durchqueren können, da bereits Teilchen von einem hundertstel Millimeter die Sonde hätten beschädigen können. Doch ein ‚Bombardement‘ blieb aus – und Pioneer setzte seine Reise unbehelligt fort.

Titius Vorschlag, dass eine Vielzahl von Objekten hier ihre Bahn zieht, ist nun zwar richtig – um Trabanten von Mars oder Jupiter handelt es sich dabei aber nicht. Frühere Ansätze gingen davon aus, dass Asteroiden die Überreste eines Planeten namens ‚Phaeton‘ waren, der in der Frühzeit des Sonnensystems mit einem anderen Körper heftig zusammenstieß – und so als ein gewaltiger Haufen ‚Kieselsteine‘ den Weg zwischen Mars und Jupiter pflasterte. Neue Studien haben jedoch ergeben, dass die Gesamtmasse des Asteroidengürtels viel zu gering für eine solches Szenario ist: auf gerade einmal fünf Prozent der Masse des Erdmondes bringt es der Gürtel demnach! Auch die teils erheblich unterschiedliche Zusammen-setzung der Asteroiden spricht gegen einen Ursprung aus einem einzigen (bzw. zwei) Ursprungskörpern.

Wahrscheinlicher ist, dass der gewaltige Jupiter den Bau eines weiteren Planeten in seiner Nachbarschaft verhinderte: Erste Planetesimale, entstanden aus der Zusammenballung von kleinen Kieseln, die sich wiederum aus µm-großen Stein-Staub-Eis-Klümpchen bildeten, sind durch die gravitative Einwirkung von Jupiter schon bald auf so hohe Geschwindig-keiten beschleunigt worden, dass ein Zusammentreffen jener Planetesimale nicht mehr zu einer weiteren Verklebung zu größeren Strukturen geführt hätte, sondern nur zu einer zerstörerischen Kollision. Jupiter blieb das mächtige Hochhaus der Sonnensystemsiedlung – und nebenan hielt sich lediglich eine geschotterte Straße.

Wobei: zwischen den bei der Kollision entstandenen kleinen, feinen Steinen kann sich auch schon einmal ein ziemlicher Brocken verbergen. Zum Beispiel Ceres (Abb. 2).

Abb.2: Richtig rund, fast wie ‚die großen‘: der Zwergplanet Ceres ist das größte und massereichste Objekt im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Fotografische Aufnahme aus dem Jahr 2015 durch die Raumsonde Dawn aus 13.600 Kilometern Entfernung.
Credit: NASA, JPL-Caltech, UCLA, MPS, DLR, IDA
Composition: Justin Cowart

Mit einem Äquatordurchmesser von knapp 1.000 Kilometern ist Ceres das größte und schwerste Objekt im Asteroiden-gürtel. Mit seinen 9 x 1020 kg vereint der nach Neudefinitionen von Himmelskörpern durch die International Astronomical Union im Jahr 2006 als ‚Zwergplanet‘ geführte Himmelskörper (dieselbe Kategorie in die auch unser Ex-Planet Pluto fällt) rund 25 % der Gesamtmasse des Gürtels. Aufgrund seiner vergleichsweise hohen Masse erreicht Ceres ein hydro-statisches Gleichgewicht und kann daher eine (fast) runde Form annehmen – anders als die stets unregelmäßig geformten, kleineren und leichteren Asteroiden.

Aus Beobachtungen mit dem Hubble Weltraumteleskop geht hervor, dass es sich bei Ceres um einen differenzierten Zwergplaneten handelt: aus einem homogenen Ursprungsmaterial sind demnach durch Entmischungsprozesse verschie-dene Materialschichten entstanden; Ceres könnte folglich über einen Gesteinskern, einen Mantel aus Wassereis und eine staubreiche Kruste aus verschiedenen Mineralien und Wassereis verfügen. Astronomen schätzen, dass die gesamten Wasservorräte des Zwergplaneten rund das Fünffache der auf der Erde vorhandenen Süßwasservorräte ausmachen könnten.

Und 214 Jahre nach seiner Entdeckung in der Neujahrsnacht des Jahres 1801 durch den italienischen Priester und Astronom Guiseppe Piazzi rückte die Menschheit dem Zwergplaneten nicht nur mit Teleskopen, sondern sogar mit einer Raumsonde zu Leibe: die Sonde ‚Dawn‘ (engl. Morgendämmerung) des Discovery-Programms der NASA startete 2007 in Richtung Asteroidengürtel, stattete zuerst dem ‚Nachbarasteroiden‘ Vesta einen Besuch ab, flog anschließend weiter in Richtung Ceres und schwenkte in eine Umlaufbahn ein – auf der sie sich bis heute befindet.

Dawn führte mehrere Kartographierungen der gesamten Oberfläche von Ceres durch und untersuchte den Zwergplaneten mittels Gammastrahlen- und Neutronenspektrometern. Dabei ließen sich auch zwei auffällige helle, ‚leuchtende Flecken‘ (lat. facula) auf der Oberfläche von Ceres genauer analysieren. Den Datenanalysen nach ist das zwergplanetare Feuer-werk demnach auf helle Salzansammlungen, hauptsächlich aus Natriumcarbonat und Ammoniumhydrogencarbonat, zurückzuführen. Ganz nüchtern bekamen Haupt- und Nebenfleck dann die Namen ‚Fackel des Ceresfestes‘ und ‚Fackel des Weinfestes‘.

Da könnten sich zwei besondere Objekte des Asteroidengürtels nun fröhlich zuprosten. Der Asteroid Ida, 1884 von Johann Palisa entdeckt, ist ein unregelmäßig geformtes, längliches Objekt, das rund 60 km lang und 20 km breit ist. Ida ist silikatreich, verhältnismäßig hell und zeigt mehrere deutliche Einschlagkrater – so weit, so normal. Doch Ida ist nicht allein: ein kleiner, lediglich 1,4 km großer Mond begleitet sie und ist damit der einzig bekannte natürliche Satellit um einen Asteroiden (Abb. 3). Wie Ida zu Dactyl kam, ist noch schwierig zu erklären. Ein Einfang ist dabei durch die geringe Gravitation des Asteroiden kaum möglich; wahrscheinlicher ist es, dass Ida von einem anderen Objekt getroffen wurde – das Bröckchen Dactyl dabei herausgeschleudert, aber ganz anhänglich in einer stabilen Umlaufbahn blieb. Oder das Pärchen ist der Überrest eines viel größeren Asteroiden, der vor langer Zeit durch einen Zusammenstoß zerstört wurde.

Abb.3: Asteroid Ida mit Möndchen Dactyl. Eine Sonnenfinsternis könnte das Begleiterchen auf Ida zwar nicht produzieren – aber als bisher einzig bekannter natürlicher Satellit eines Asteroiden ist Dactyl trotzdem ein bemerkenswertes Objekt.
Credit: NASA, JPL, Galileo Mission

Und dann könnte sich Herr Titius bei einem Gläschen auf dem Weinfest zurücklehnen und freuen – wenn auch ganz anders als gedacht kam er doch noch zu seinen vielen Objekten und einem Mond in dem Gürtel zwischen Mars und Jupiter.