Astronomie ohne Teleskop – Scheinbar überlichtschnelle Bewegung

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff
Die Liste der zehn am meisten gelesenen Beiträge in 2010 aus Universe Today beinhaltet auch den Beitrag „Pulsare schneller als Licht entdeckt“ – doch weiteres Lesen verdeutlichte, daß das unter-suchte Phänomen nicht wirklich genau Bewegung schneller als das Licht bedeutete.
Gleichwohl brachte mich dieser Beitrag dazu, verschiedene Wege zu betrachten, auf denen scheinbare überlichtschnelle Bewegung hervorgerufen werden könnte. Einerseits um mich zu beruhigen, daß die Relativitätstheorien noch gelten und andererseits um zu sehen, daß solche Vorgänge angemessen in klarem und doch einfachem Deutsch erklärt werden können. Also los…
1) Sinnestäuschungen durch Ursache und Wirkung
In der schneller als Licht Pulsar-Geschichte geht es im wesentlichen um einen hypothetischen Licht-knall – der ein wenig an einen Überschallknall erinnert, bei dem nicht der Überschallknall, sondern die Schallquelle selbst die Schallgeschwindigkeit übertrifft – so daß einzelne Schallpulse miteinander verschmelzen, um eine einzelne Schockwelle zu bilden, die sich mit Schallgeschwindigkeit bewegt.
Ob so etwas auf diese Weise in der Realität mit Licht von Pulsaren möglich ist, bleibt Gegenstand von Diskussionen, aber einer der Befürworter dieses Modells hat den Effekt in einem Labor vorgeführt.
Man ordnet in einer Linie Glühbirnen an, die unabhängig voneinander angeschaltet werden. Es ist ganz einfach, sie nacheinander aufleuchten zu lassen – erst die 1, dann die 2, dann 3 u.s.w. – und nun kann man den zeitlichen Abstand zwischen jedem ausgelösten Aufleuchten so weit verkürzen, bis man folgende Situation erhält: Glühbirne 2 leuchtet in einer Zeit nach Glühbirne 1 auf, die geringer ist als die Zeit, die Licht bräuchte, um die Entfernung zwischen den Glühbirnen 1 und 2 zurückzulegen. Es ist nur ein Trick – es gibt keine kausale Verbindung zwischen dem Aufleuchten der Glühbirnen – aber es sieht nach einer Abfolge von Handlungen aus (erst 1, dann 2, dann 3 u.s.w.), die sich schneller entlang der Reihe an Glühbirnen ausbreitet als das Licht. Diese Sinnestäuschung ist ein Beispiel für überlichtschnelle Bewegung.
Es gibt zahlreiche mögliche Szenarien, warum eine überlichtschnelle Synchrotron-Strahlungswelle an verschiedenen Punktquellen rund um einen sich sehr schnell drehenden Neutronenstern innerhalb eines starken Magnetfeldes entspringen könnte. Solange die Ausstrahlungen von diesen Punktquellen nicht kausal miteinander verbunden sind, verletzt dieses Ergebnis nicht die Relativitätstheorie.
2) Erzeugung von Licht, das schneller als Licht ist
Man kann eine scheinbare überlichtschnelle Bewegung des Lichts selbst erzeugen, indem man dessen Wellenlänge manipuliert. Wenn wir ein Photon als Wellenpacket betrachten, kann dieses Wellenpaket geradlinig gestreckt werden. Die Vorderflanke der Welle kommt am Reiseziel schneller an, da diese dem Rest der Welle vorausläuft – dies bedeutet, daß die Vorderflanke schneller als Licht reist.
Allerdings ist die physikalische Natur der „Vorderflanke eines Wellenpackets“ nicht klar. Das ganze Wellenpacket entspricht einem Photon – und die Vorderflanke eines gestreckten Wellenpackets kann keinerlei bedeutsame Information tragen. Durch das Strecken und Abschwächen könnte das Wellen-packet in der Realität vom Hintergrundrauschen ununterscheidbar werden.
Um das Wellenpacket zu strecken, muß sich das Licht zudem durch ein lichtbrechendes Medium und nicht durch das Vakuum bewegen. Wer sich für technische Einzelheiten interessiert: man kann eine Phasen- oder auch eine Gruppengeschwindigkeit erzeugen, die schneller als c (Lichtgeschwindigkeit im Vakuum) ist – aber nicht bei der Signalgeschwindigkeit. Jedenfalls wird auch hier die Relativitäts-theorie nicht verletzt, da sich die Information (oder das Photon als Ganzes) nicht schneller als Licht bewegt.
3) Ausstoß aus Materialien zur Laserverstärkung
Man kann noch drastischere überlichtschnelle Bewegung durch ein Lasermedium nachahmen. Das vordere Ende eines Lichtpulses regt die Emission eines neuen Pulses am anderen Ende des Laser-mediums an – so als ob ein Lichtpuls das eine Ende eines Newtonschen Kugelpendels anstößt und ein neuer Lichtpuls am anderen Ende des Kugelpendels ausgesendet wird. Obwohl das Licht den Ab-stand zwischen Ein- und Austrittsgrenze des Lasermediums überlichtschnell zu überspringen scheint, handelt es sich vielmehr um einen neuen Lichtpuls, der an der Austrittsgrenze ausgesandt wird – und der sich jetzt auch nur mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt.
 

Licht schneller als Licht. Links: Streckt man die Wellenform von Licht, scheint sich die Vorderflanke der Welle schneller als das Licht zu bewegen. Rechts: Ein Lasermedium kann wie ein Newtonsches Kugelpendel wirken und läßt Licht den Abstand zwischen Ein- und Austrittsgrenze scheinbar über-lichtschnell überspringen.


4) Die Illusion eines überlichtschnellen Jets
Wenn eine aktive Galaxie einen durchaus extrem heißen Plasmastrahl ausstößt und der Strahl sich sehr nah an der Lichtgeschwindigkeit bewegt – und noch dazu recht genau auf der Sichtlinie zur Erde ausgerichtet ist – kann man sich dazu verleiten lassen anzunehmen, die Bestandteile des Jets würden sich schneller als das Licht bewegen.
Lassen wir den Plasmajet 5.000 Lichtjahre lang sein, so sollte alles, was sich darin bewegt, mindestens 5.000 Jahre benötigen, um die Entfernung von 5.000 Lichtjahren zu überwinden. Wird ein Photon von einem Jetpartikel bei Punkt A nahe dem Startpunkt des Strahls ausgesandt, wird dieses Photon tatsächlich 5.000 Jahre benötigen, um uns zu erreichen. Doch auch das Teilchen bewegt sich derweil fast so schnell auf uns zu wie das emittierte Photon. Wenn das Teilchen nun ein weiteres Photon bei Punkt B aussendet – ein Punkt nah an der Jetspitze – wird das zweite Photon unser Auge in weniger als 5.000 Jahren nach dem ersten Photon von Punkt A erreichen. Dies vermittelt den Eindruck, daß das Teilchen die Entfernung von 5.000 Lichtjahren zwischen Punkt A und Punkt B in weniger als 5.000 Jahren zurücklegte. Das ist aber nur eine optische Illusion – die Relativitätstheorie wird nicht widerlegt.
5) Unbekannte überlichtschnelle Bewegung
Es ist durchaus möglich, daß sich Objekte jenseits des Horizonts unseres beobachtbaren Universums schneller als mit Lichtgeschwindigkeit von uns wegbewegen – Folge der beschleunigten Expansion des Universums, die entfernte Galaxien sich schneller fortzubewegen erscheinen läßt als nahe Galaxien. Aber da Licht von hypothetischen Objekten hinter dem beobachtbaren Horizont niemals die Erde erreichen wird, kann man von deren Existenz durch direkte Beobachtung von der Erde aus nie etwas erfahren – und so stellen diese Objekte keine Verletzung der Relativitätstheorie dar.
Und letztlich, nicht gänzlich unbekannt, wenn auch nur theoretisch, die Vorstellung einer frühen kosmischen Inflation, die ebenfalls Ausdehnung der Raumzeit selbst als den Bewegung innerhalb der Raumzeit bedeutet – also auch hier keine Verletzung der Relativitätstheorie.
Weitere Anmerkungen…
Ich bin nicht sicher, ob die oben aufgeführte Liste vollständig ist. Zudem sind weitere theoretische Vorschläge wie etwa die Quantenverschränkung und der Alcubierre-Warpantrieb absichtlich außer Acht gelassen worden. Beide würden, wenn real, die Relativitätstheorie wohl verletzen – da muß man vielleicht ein höheres Maß an Skepsis walten lassen.