Astronomie ohne Teleskop – „Oh-mein-Gott“-Teilchen

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Centaurus A ist eine der uns am nächsten gelegenen Galaxien mit einem aktiven galaktischen Kern – obwohl sie über 10 Millionen Lichtjahre entfernt liegt. Sucht man nach einer vermutlichen Quelle an ultrahochenergetischer kosmischer Höhenstrahlung, ist es allem Anschein nach nicht notwendig, sich weiter umzuschauen. Quelle: ESO


 
Kosmische Höhenstrahlung besteht aus atomaren Teilchen, vorwiegend Protonen (Wasserstoffkerne), gelegentlich Helium oder schwerere Atomkerne und sehr vereinzelt Elektronen. Die Teilchen der kosmischen Höhenstrahlung sind in Folge ihrer beträchtlichen Geschwindigkeit und dem sich daraus ergebenden beachtlichen Impuls sehr energiereich.
Das „Oh-mein-Gott“-Teilchen, das 1991 über Utah gemessen wurde, war wahrscheinlich ein Proton, das sich mit 0.999 (und noch weitere 20 mal eine 9 hinzufügen) der Lichtgeschwindigkeit bewegte und angeblich die gleiche Bewegungsenergie besaß wie ein Baseball, der sich mit 90 km/h bewegt.
Seine kinetische Energie wurde auf 3 x 1020 Elektronenvolt (eV) geschätzt und es würde eine Aufprallenergie von 7.5 x 1014 eV entwickelt haben, als es auf ein Teilchen der Atmosphäre traf – doch kann es seine gesamte kinetische Energie bei dem Zusammenstoß nicht abgeben. Denn sich schnell bewegende Trümmerteilchen tragen ebenso etwas von dieser Energie davon wie durch die entstehende Hitze Energie verloren geht. Auf jeden Fall ist das über 50-mal mehr an Kollisionsenergie, als durch den Large Hadron Collider (LHC) erzeugt werden könnte, wenn er bei voller Energiezufuhr arbeitet. Dies gibt jedem ein überzeugendes Argument, der sich mit Untergangspropheten auseinandersetzen will, die behaupten, der LHC werde die Erde zerstören.
Allerdings besitzen die meisten Teilchen der kosmischen Höhenstrahlung weniger Energie – „nur“ bis 1010 eV – und rühren lokal von Sonnenausbrüchen her. Weitere, etwas energiereichere Teilchen – bis zu 1015 eV – sollen anderenorts in unserer Galaxis erzeugt werden. Es ist schwierig, ihre genaue Herkunft zu bestimmen, da die Magnetfelder der Galaxis und des Sonnensystems den Verlauf ihrer Feldlinien ständig ändern und so letztlich die Höhenstrahlung eine gleichförmige Verteilung am Himmel aufweist – so als ob sie von überall her kommen würden.
Die galaktische kosmische Höhenstrahlung stammt vermutlich in Wirklichkeit von Supernovae – höchstwahrscheinlich aus einem verzögerten Freisetzungsprozeß, bei dem die Teilchen in dem im Supernova-Überrest fortwirkenden Magnetfeld hin- und her geschleudert werden, bevor sie in die Weite der Galaxis katapultiert werden.
Letztlich gibt es noch die extragalaktische kosmische Höhenstrahlung, von der Art „Oh-mein-Gott“, mit Energien bis zu 1015 eV und selten sogar bis zu 1020 eV – die man formal als ultrahochenergetische kosmische Höhenstrahlung bezeichnet. Diese Teilchen fliegen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit und müssen einen gewaltigen Stoß erlebt haben, um solche Geschwindigkeiten zu erreichen.

Linkes Bild: Das Energiespektrum der kosmischen Höhenstrahlung, die die Erde erreicht. Teilchen mit niedrigen Energien stammen in großer Zahl von Sonnenausbrüchen (gelber Bereich). Weniger häufig, aber mit höherer Energie wird kosmische Höhenstrahlung anderenorts in der Galaxis erzeugt und liegt im blauen Bereich. Am seltensten, aber energiereichsten ist die extragalaktische kosmische Höhenstrahlung im purpurnen Bereich. Rechtes Bild: Der Ausstoß des aktiven galaktischen Kerns von Centaurus A beherrscht den Himmel im Radiolicht – zu sehen ist die scheinbare Ausdehnung im Verhältnis zum Vollmond. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird fast die gesamte, von außerhalb der Galaxis stammende kosmische Höhenstrahlung, die die Erde erreicht, von Centaurus A erzeugt.


 
Indes umgibt eine wohl völlig überzogene, geheimnisvolle Aura den Ursprung der extragalaktischen kosmischen Strahlung – wie mit dem „Oh-mein-Gott“-Titel veranschaulicht werden soll.
In der Realität gibt es Grenzen, bis zu welcher Entfernung ein ultrahochenergetisches Teilchen, das bei uns eintrifft, erzeugt werden kann – denn wenn es nicht mit irgendetwas zusammenstößt, wird es letztlich an die Greisen–Zatsepin–Kuzmin- (GZK) Grenze stoßen. Diese gibt die Wahrscheinlichkeit an, bei der ein sich schnell bewegendes Teilchen schließlich mit einem Photon des kosmischen Mikrowellen-Hintergrunds kollidiert und bei diesem Vorgang Bewegungsenergie und Geschwindigkeit verliert. Es stellt sich heraus, daß extragalaktische kosmische Höhenstrahlung mit Energien über 1019 eV nicht von einer Quelle hervorgerufen werden kann, die mehr als 163 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt liegt – eine Entfernung, die als GZK-Horizont bekannt ist.
Kürzlich durchgeführte Beobachtungen mit dem Pierre Auger Observatorium offenbarten eine starke Übereinstimmung zwischen dem Muster der extragalaktischen kosmischen Höhenstrahlung und der Verteilung naher Galaxien mit aktiven galaktischen Kernen. Biermann und Souza haben jetzt ein auf Beweisen gestütztes Modell für den Ursprung der galaktischen und extragalaktischen kosmischen Höhenstrahlung entwickelt – welches eine Anzahl überprüfbarer Voraussagen macht.
Sie schlagen vor, daß die extragalaktische kosmische Höhenstrahlung in den Akkretionsscheiben der supermassereichen Schwarzen Löcher, die den Ursprung der aktiven galaktischen Kerne darstellen, beschleunigt wird. Darüber hinaus schätzen sie, daß nahezu die gesamte extragalaktische kosmische Höhenstrahlung, die die Erde erreicht, von Centaurus A stammt. Damit also kein großes Geheimnis – sondern ein großes Feld für weitere Forschungen. Teilchen aus der Akkretionsscheibe eines aktiven massereichen Schwarzen Lochs aus einer anderen Galaxie werden bis an unsere Haustür geliefert.
Weiterführende Literatur (im Internet zu finden):
arXiv:1106.0625v1
Peter L. Biermann, Vitor de Souza
On a common origin of galactic and extragalactic cosmic rays (2011)