NASA’s Webb zieht den Vorhang vor frühen Galaxien des Universums zurück

Originalveröffentlichung am 17.11.2022 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases

Zusammenfassung: Infrarotsicht des Teleskops erforscht die letzte Grenze

Das leistungsstarke James-Webb-Weltraumteleskop der NASA hat hinter dem Galaxiencluster Abell 2744 ein unerwartet reiches „unentdecktes Land“ früher Galaxien entdeckt, das bisher weitgehend verborgen war.

Webb enthüllt ein sehr reiches Universum, in dem die ersten sich bildenden Galaxien bemerkenswert anders aussehen als die reifen Galaxien, die wir heute um uns herum sehen. Die Forscher fanden zwei außergewöhnlich helle Galaxien, die etwa 350 und 450 Millionen Jahre nach dem Urknall bestanden. Ihre extreme Helligkeit gibt den Astronomen Rätsel auf. Die jungen Galaxien wandeln extrem schnell Gas in Sterne um. Sie erscheinen zu kugelförmigen oder scheibenförmigen Gebilden verdichtet, die viel kleiner sind als unsere Milchstraße. Die Sternentstehung könnte nur 100 Millionen Jahre nach dem Urknall, der sich vor 13,8 Milliarden Jahren ereignete, eingesetzt haben.

Nachfolgende spektroskopische Beobachtungen mit Webb sollten die Entfernungen zu diesen weit entfernten Galaxien bestätigen und auch die Sternentstehungsrate und die Elementhäufigkeiten in der Zusammensetzung der frühen Sterne aufzeigen.

Wenige Tage nach der offiziellen Aufnahme des wissenschaftlichen Betriebs hat das James-Webb-Weltraumteleskop der NASA Astronomen in ein Reich früher Galaxien katapultiert, das bisher für alle anderen Teleskope unerreichbar war.

„Alles, was wir sehen, ist neu. Webb zeigt uns, daß es ein sehr reiches Universum gibt, das weit über das hinausgeht, was wir uns vorgestellt haben“, sagte Tommaso Treu von der University of California in Los Angeles, leitender Forscher bei einem der Webb-Programme. „Wieder einmal hat uns das Universum überrascht. Diese frühen Galaxien sind in vielerlei Hinsicht sehr ungewöhnlich“.

Zwei Forschungsarbeiten, eine unter der Leitung von Marco Castellano vom Nationalen Institut für Astrophysik in Rom, Italien, die andere unter Leitung von Rohan Naidu vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und dem Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, Massachusetts, wurden in der Zeitschrift Astrophysical Journal Letters veröffentlicht.

Diese ersten Ergebnisse stammen aus einer breiteren Webb-Forschungsinitiative, an der zwei Early Release Science (ERS)-Programme beteiligt sind: der Grism Lens-Amplified Survey from Space (GLASS) und der Cosmic Evolution Early Release Science Survey (CEERS).

In nur vier Auswertungstagen fanden die Forscher zwei außergewöhnlich helle Galaxien auf den GLASS-JWST-Bildern. Diese Galaxien existierten etwa 450 und 350 Millionen Jahre nach dem Urknall (mit einer Rotverschiebung von ungefähr 10,5 bzw. 12,5), wobei künftige spektroskopische Messungen mit Webb dazu beitragen werden, dies zu bestätigen.

„Wir waren erstaunt, mit Webb das am weitesten entfernte Sternenlicht zu finden, das jemals jemand gesehen hat, nur wenige Tage nachdem Webb seine ersten Daten veröffentlicht hatte“, sagte Naidu über die weiter entfernte GLASS-Galaxie, die als GLASS-z12 bezeichnet wird und von der man annimmt, daß sie 350 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden ist. Der bisherige Rekordhalter ist die Galaxie GN-z11, die 400 Millionen Jahre nach dem Urknall (Rotverschiebung 11,1) existierte und 2016 von Hubble und dem Keck-Observatorium in Deep-Sky-Programmen identifiziert wurde.

„Aufgrund aller Vorhersagen dachten wir, daß wir ein viel größeres Volumen des Weltraums durchsuchen müssten, um solche Galaxien zu finden“, sagt Castellano.

„Diese Beobachtungen lassen den Kopf einfach explodieren. Das ist ein ganz neues Kapitel in der Astronomie. Es ist wie eine archäologische Ausgrabung, bei der man plötzlich eine verlorene Stadt findet oder etwas, von dem man nichts wußte. Es ist einfach atemberaubend“, fügte Paola Santini, vierte Autorin der GLASS-JWST-Studie von Castellano et al. hinzu.

„Während die Entfernungen dieser frühen Quellen noch mit Spektroskopie bestätigt werden müssen, sind ihre extremen Helligkeiten ein echtes Rätsel, das unser Verständnis der Galaxienentstehung in Frage stellt“, bemerkte Pascal Oesch von der Universität Genf in der Schweiz, Zweitautor der Arbeit von Naidu et al.

Die Webb-Beobachtungen führen die Astronomen zur übereinstimmenden Meinung, daß eine ungewöhnliche Anzahl von Galaxien im frühen Universum so viel heller war als erwartet. Dies wird es Webb erleichtern, bei späteren Deep-Sky-Durchmusterungen noch mehr frühe Galaxien zu finden, sagen die Forscher.

„Wir sind auf etwas unglaublich Faszinierendes gestoßen. Diese Galaxien hätten schon 100 Millionen Jahre nach dem Urknall beginnen müssen, sich zusammenzufinden. Niemand hatte erwartet, daß die dunklen Zeitalter so früh zu Ende gehen würden“, sagt Garth Illingworth von der University of California in Santa Cruz, ein Mitglied des Teams Naidu/Oesch. „Das ursprüngliche Universum wäre nur ein Hundertstel so alt gewesen wie heute. Das ist nur ein Bruchteil der Zeit in dem 13,8 Milliarden Jahre alten, sich entwickelnden Kosmos.“

Erica Nelson von der University of Colorado in Boulder, ebenfalls Mitglied des Naidu/Oesch-Teams, bemerkte, daß „unser Team beeindruckt war, weil wir die Formen dieser ersten Galaxien messen konnten; ihre ruhigen, geordneten Scheiben stellen unser Verständnis davon in Frage, wie sich die ersten Galaxien im überfüllten, chaotischen frühen Universum gebildet haben“. Diese bemerkenswerte Entdeckung von kompakten Scheiben zu einem so frühen Zeitpunkt war nur möglich, weil Webb im Vergleich zu Hubble viel schärfere Bilder im Infrarotlicht liefert.

„Diese Galaxien sind ganz anders als die Milchstraße oder andere große Galaxien, die wir heute um uns herum sehen“, sagt Treu.

Illingworth betonte, daß die beiden hellen Galaxien, die von diesen Teams gefunden wurden, sehr viel Licht abgeben. Er sagte, daß eine Erklärung sei, daß sie sehr massereich waren und wie spätere Galaxien mit vielen massearmen Sternen ausgestattet. Alternativ dazu könnten sie auch viel weniger massereich sein und aus viel weniger, aber außergewöhnlich hellen Sternen bestehen, die als Sterne der Population III bekannt sind. Lange Zeit ging man davon aus, daß es sich dabei um die ersten Sterne handelt, die je entstanden, die bei glühend heißen Temperaturen brannten und nur aus Wasserstoff und Helium aufgebaut waren, bevor nachfolgende Sterne schwerere Elemente in ihren Kernfusionsöfen hervorbringen konnten. Im lokalen Universum sind keine derartig extrem heißen, ursprünglichen Sterne mehr zu finden.

„Die am weitesten entfernte Quelle ist in der Tat sehr kompakt, und ihre Farben scheinen darauf hinzudeuten, daß ihre Sternpopulation besonders arm an schweren Elementen ist und sogar einige Sterne der Population III enthalten könnte. Nur die Webb-Spektren werden Aufschluß geben“, so Adriano Fontana, Zweitautor der Studie von Castellano et al. und Mitglied des GLASS-JWST-Teams.

Die aktuellen Entfernungsschätzungen von Webb zu diesen beiden Galaxien beruhen auf der Bestimmung ihrer Infrarotfarben. Spätere spektroskopische Messungen, die zeigen, wie das Licht im expandierenden Kosmos gestreckt wurde, werden eine unabhängige Überprüfung dieser kosmischen Maßstabsmessungen ermöglichen.

Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisation).

Abell 2744 GLASS (NIRCam Image)

Zolt G. Levay (STScI)
  • Fast Facts
  • Objekt
  • Objektname(n): Abell 2744, Pandora‘s Cluster
  • Objektbeschreibung: Galaxiencluster/Gravitationslinse und Anwärter für stark rotverschobene Galaxien     
  • Rektaszension: 00:14:22.63
  • Deklination: -30:23:44.50
  • Sternbild: Sculptor
  • Entfernung: Die Entfernung zum Cluster beträgt 4 Milliarden Lichtjahre
  • Daten
  • Instrument: NIRCam
  • Filter: F090W, F115W, F150W, F200W, F277W, F356W, F444W
  • Bild
  • Farbinformation: Diese Bilder sind eine Zusammenstellung aus Einzelaufnahmen, die das James-Webb-Weltraum-teleskop mit dem Instrument NIRCam gemacht hat. Es wurden mehrere Filter verwendet, um verschiedene Infrarot-Wellenlängenbereiche zu erfassen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuordnung verschiedener Farbtöne (Farben) zu jedem monochromatischen (Graustufen-)Bild, das einem einzelnen Filter zugeordnet ist. In diesem Fall sind die zugewiesenen Farben:
  • Blau: F090W, F115W Cyan: F150W Grün: F220W Gelb: F277W Orange: F356W Rot: F444W

Über das Bild: Zwei der am weitesten entfernten Galaxien, die bisher entdeckt wurden, sind auf diesen Bildern des Webb-Weltraumteleskops an den äußeren Regionen des Riesengalaxienclusters Abell 2744 zu sehen. Die Galaxien befinden sich nicht innerhalb des Clusters, sondern noch viele Milliarden Lichtjahre weiter weg. Die Galaxie mit der Bezeichnung (1) existierte nur 450 Millionen Jahre nach dem Urknall. Die Galaxie mit der Bezeichnung (2) bestand bereits 350 Millionen Jahre nach dem Urknall. Beide befinden sich zeitlich sehr nahe am Urknall, der sich vor 13,8 Milliarden Jahren ereignete. Diese Galaxien sind winzig im Vergleich zu unserer Milchstraße, da sie nur wenige Prozent ihrer Größe ausmachen, selbst die unerwartet langgestreckte Galaxie mit der Bezeichnung (1).

Abell 2744 GLASS (NIRCam Compass Image)

Zolt G. Levay (STScI)
  • Fast Facts
  • Objekt
  • Objektname(n): Abell 2744, Pandora‘s Cluster
  • Objektbeschreibung: Galaxiencluster/Gravitationslinse und Anwärter für stark rotverschobene Galaxien     
  • Rektaszension: 00:14:22.63
  • Deklination: -30:23:44.50
  • Sternbild: Sculptor
  • Entfernung: Die Entfernung zum Cluster beträgt 4 Milliarden Lichtjahre
  • Daten
  • Instrument: NIRCam
  • Filter: F090W, F115W, F150W, F200W, F277W, F356W, F444W
  • Bild
  • Farbinformation: Diese Bilder sind eine Zusammenstellung aus Einzel-aufnahmen, die das James-Webb-Weltraum-teleskop mit dem Instrument NIRCam gemacht hat. Es wurden mehrere Filter verwendet, um verschiedene Infrarot-Wellenlängenbereiche zu erfassen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuordnung verschiedener Farbtöne (Farben) zu jedem monochromatischen (Graustufen-)Bild, das einem einzelnen Filter zugeordnet ist. In diesem Fall sind die zugewiesenen Farben:
  • Blau: F090W, F115W Cyan: F150W Grün: F220W Gelb: F277W Orange: F356W Rot: F444W

Über das Bild: Bilder des Pandora-Clusters, Abell 2744, aufgenommen mit Webb‘s Nahinfrarotkamera (NIRCam), mit Kompasspfeilen, Skalenbalken und Farbschlüssel als Referenz.

Die Kompasspfeile nach Norden und Osten zeigen die Ausrichtung des Bildes am Himmel an. Beachten Sie, dass die Beziehung zwischen Norden und Osten am Himmel (von unten gesehen) im Vergleich zu den Richtungspfeilen auf einer Karte des Bodens (von oben gesehen) umgekehrt ist.

Der Skalenbalken ist in Bogensekunden angegeben, einem Maß für die Winkelentfernung am Himmel. Eine Bogensekunde entspricht 1/3600 eines Bogengrads. (Der Vollmond hat einen Winkeldurchmesser von etwa 0,5 Grad.) Die tatsächliche Größe eines Objekts, das eine Bogensekunde am Himmel bedeckt, hängt von seiner Entfernung zum Teleskop ab.

Dieses Bild zeigt nicht sichtbare Nahinfrarot-Wellenlängen, die in Farben des sichtbaren Lichts umgewandelt wurden. Der Farbschlüssel zeigt, welche NIRCam-Filter bei der Aufnahme des Lichts verwendet wurden. Die Farbe jedes Filternamens ist die Farbe des sichtbaren Lichts, die verwendet wird, um das infrarote Licht darzustellen, das durch diesen Filter fällt.