Ein pulsierendes Leben – von Sternschluckauf und Sonnenbeben

Dr. Ilka Petermann, Universität Liège

Ob Triangel oder Kirchglocke, Piccoloflöte oder Alphorn, unsere normale Stimme oder das Piepsen nach einem tiefen Atemzug aus dem Heliumballon – über Schwingungen und Frequenzen von Objekten können wir detaillierte Aussagen über deren Eigenschaften treffen. Die Masse und Abmessungen oder auch die Dichte und die innere Struktur sind einige dieser Größen. Eine besondere Art von ‚Instrument‘ mit eigenen Schwingungsmoden sind gravitativ gebundene Gasbälle: Sterne.
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Profil der akustischen Wellen an der Sonnenoberfläche und im Innern. Das Oszillationsmuster ist gekennzeichnet durch Orte von Auf- und Abwärtsbewegungen (rot, blau), sowie ‚Knoten‘, an denen die Bewegung zur Ruhe kommt. Die Anzahl der Knoten beschreibt einen bestimmten Schwingungsmodus eindeutig. https://www3.kis.uni-freiburg.de/~mroth/titel.jpg
 
Sterne ‚atmen‘, vibrieren, zittern, beben und stoßen in Form von Flares schon auch mal auf. Was uns das Sprudelwasser ist den Sternen ein kompliziertes Wechselspiel von Kompression und Entspannung der ionisierten Schichten und hängt direkt mit der wichtigen Kenngröße der ‚Opazität‘ oder Undurchsichtigkeit zusammen.
Die Undurchsichtigkeit ist es aber auch, die uns den direkten Blick ins Sterninnere versperrt. Unser Wissen über den Aufbau der Sterne bekommen wir durch Beobachtungen und Messungen der Oberflächenparameter der Sterne wie Temperatur und Leuchtkraft. Erst theoretische Modelle erlauben es dann, auf das Innere zu schließen.
So wie die ‚Seismologie‘ die Lehre von Erdbeben und der Ausbreitung seismischer Wellen im Innern der Erde ist, so ist die Asteroseismologie das stellare Pendant. Vom Ursprung her sind die Mechanismen, die ein ‚Beben‘ auslösen, zwar verschieden – aber das Prinzip, aus der Ausbreitung von Wellen den inneren Aufbau zu analysieren ist dasselbe. Und während starke Erdbeben zum Glück nicht allzu häufig auf der Erde sind, sind Sterne mehr oder weniger ständig in Bewegung. Gigantische Gasmassen sind in einer andauernden Auf- und Abwärtsbewegung und bringen den Stern wie eine Glocke zum ‚Klingen‘. Resultierende Dichtewellen durchlaufen Gebiete verschiedener Dichte mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und werden an Grenzflächen gebrochen oder reflektiert.
Die ersten Astronomen, die Helligkeitsschwankungen des nächsten Sterns, unserer Sonne, beobachte-ten und theoretisch deuteten, waren Franz-Ludwig Deubner und Robert Leighton. Die rhythmischen Veränderungen der Sonnenoberfläche mit einer Periode von 5 Minuten wurden aber zuerst als ein reines Nachführproblem des Teleskops gedeutet. Weitere genauere Untersuchungen bestätigten aber ein ständiges Auftreten der Schwankungen (das ‚Heben und Senken‘ der einzelnen Regionen geschieht immerhin mit bis zu 1800 km/h!). Mit den ersten Publikationen in den 1960er Jahren war der wissenschaftliche Zweig der ‚Helioseismologie‘ begründet. Die 5-Minuten-Oszillationen konnten später immer präziseren Prüfungen, sowohl durch Raumsonden wie SOHO (Solar and Heliospheric Observatory) als auch durch erdbasierte Beobachtungen, Stand halten.
Wie erklärt man sich nun das Zustandekommen von Pulsationen? Eine Ursache sieht man in der Opazität, der Undurchsichtigkeit des Sternenmediums.
Wenn die Opazität in einer Ionisationsschicht mit steigender Temperatur zunimmt, können Pulsationen entstehen – eine Art stellarer Dampfmaschine. Diesen Vorgang nennt man auch ‚Kappa-Mechanismus‘, nach dem griechischen Buchstaben Kappa, der zumeist als Symbol für die Opazität steht.
Durch eine äußere Störung wird die Ionisationsschicht zu Beginn komprimiert und bewegt sich in Richtung des Zentrums. Eine Kompression sorgt immer für steigenden Druck und steigende Temperatur, womit sich hier auch noch die Opazität erhöht. Im Innern des Sterns liefert die Kernfusion die nötige Energie, um den Stern im Gleichgewicht zu halten. Ist die Opazität nun sehr hoch, kann die Strahlung ihren Ursprungsort nicht mehr ungehindert verlassen, sondern wird vielfach gestreut. Sie ’staut‘ sich unter der komprimierten Schicht. Ein Strahlungsdruck baut sich auf, der schließlich zu einer Ausdehnung führt. Die Folge: Druck und Temperatur, damit auch die Opazität sinken, die Strahlung entweicht. Der Ionisationsschicht, der aber sozusagen der Stuhl unter dem Hintern weggezogen wurde, fällt in Richtung des Zentrums. Sie fühlt wieder eine stärkere Gravitation, wird komprimiert und der Pulsationszyklus beginnt von vorne.
Und wie sieht es mit anderen Sternen aus? Unsere Sonne ist ja im kosmischen Vergleich eher ein Otto Normalwasserstoffverbraucher und es wäre zu erwarten, dass sie auch hier im Durchschnitt liegt. Tatsächlich ist die Familie der ‚Veränderlichen Sterne‘ weit verzweigt. Neben den ‚kataklysmischen‘ und ‚eruptiven‘ Veränderlichen sind es die ‚Pulsationsveränderlichen‘, die von Interesse für die Astero-seismologie sind. Zu den bekanntesten gehören die Cepheiden, deren Periodizität schon 1784 entdeckt wurde, und die Mira-ähnlichen Sterne; rote Riesen, die große Amplituden und lange Perioden (80-1000 Tage) zeigen. Die ‚Delta Scuti‘ Sterne, auch Zwergcepheiden genannt, pulsieren zwar auch sehr regel-mäßig, haben aber eine Periodendauer unter einem halben Tag. Noch kürzere Helligkeitsschwankungen zeigen die ‚Beta Cephei‘ Sterne, die Perioden zwischen drei und sieben Stunden haben. Sortiert man diese Sterne und weitere Familienmitglieder ins Hertzsprung-Russell-Diagramm ein, so erkennt man, dass sie sich in einem schmalen, schrägen Streifen treffen: dem ‚Instabilitätsstreifen‘, der astronomi-schen Partymeile, wo das Leben pulsiert (Graphik).
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Die Klasse der Veränderlichen Sterne im Hertzsprung Russell Diagramm. https://schulen.eduhi.at/astro/cyaquarii/berichtRR-Dateien/image017.jpg
 
Der Pulsationsmechanismus ist für alle Partygäste weitgehend derselbe, die Unterschiede haben ihre Ursache (wie bei vielen gelungenen Feiern) in den verschiedenen Massen und einem unterschiedlichen Alter.
Das Wissen über die Pulsationsveränderlichen ist schwer erarbeitet: das Verhältnis von Intensitäts-änderung zur Gesamtintensität ist extrem klein und sehr genaue Messungen und detaillierte Datensätze sind erforderlich. Was bei unserer Sonne aufgrund ihrer Nähe aber noch zu bewerkstelligen ist, führt bei allen weiter entfernten Sternen zur Katerstimmung…
Doch es gibt einen Ausweg – der Rollmops für die Asteroseismologie sind die Weltraumteleskope. CoRoT, MOST, Kepler und WIRE haben mit ihren Messungen der Lichtschwankungen viel Licht ins Dunkel gebracht.
 
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Künstlerische Darstellung des CoRoT Satelliten mit einem 30-cm-Spiegelteleskop. Copyright CNES / D. Ducros, www.esa.int
 
Das Teleskop CoRoT (franz. Convection, Rotation et Transit Planétaire; auf Deutsch: Konvektion, Rotation und Planetentranits) der französischen Raumfahrtbehörde CNES hatte zwei wissenschaftliche Ziele: das Auffinden von Exoplaneten und die Durchführung hochpräziser Messungen der Helligkeits-schwankungen von (größtenteils) Hauptreihensternen. Daraus konnten der Radius des thermonuklear aktiven Kerns, der Heliumanteil, die Dicke der äußeren Konvektionsschichten und das Profil der Winkelgeschwindigkeit mit höchster Genauigkeit bestimmt werden. Die Mission lieferte Daten von 2006 bis zu einem Computerdefekt im Jahr 2012; in diesem Jahr wurde der Satellit schließlich vollständig abgeschaltet.
MOST (Microvariability and Oscillations of Stars), ein Mikrosatellit und Kanadas erstes Weltraum-teleskop, sammelte seit 2003 hochpräzise Daten von über 5000 Sternen. Im September diesen Jahres wurde die Mission, nachdem sie die anfänglichen Erwartungen weit übertroffen hatte, schließlich eingestellt. Bedeutende Ergebnisse waren die Entdeckung, dass ‚Prokyon‘ weniger stark oszilliert als ursprünglich angenommen wurde und das Aufspüren neuer Familienmitglieder, einer bis dahin unbekannten Klasse von Riesensternen, den ’slowly pulsating B supergiants‘.
Und so bleibt auch die Erwartung, dass neue Satelliten und Teleskope mit verbesserter Genauigkeit sicher noch den einen oder anderen pulsierenden Überraschungsgast finden.