Auf der Suche nach warmer Dunkler Materie (Originalartikel vom 02.08.2019)

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Zwei Simulationen der Galaxienbildung zu einer Zeit, als das Universum nur ungefähr eine Milliarde Jahre alt war. Die obere Simulation („CDM“) zeigt Klumpen und Filamente an jungen Galaxien unter Nutzung einer konventionellen Anwendung von nicht wechselwirkender Dunkler Materie, während die untere („sDAO“) die minimalen – aber meßbaren – Abweichungen zeigt, die auftreten, wenn Dunkle Materie stattdessen mit einigen Teilchen in Wechselwirkung treten könnte. Astronomen zeigen, daß künftige, genaue Messungen der großräumigen Anordnung von Galaxien helfen könnten, das Wesen der geheimnisvollen Dunklen Materie im Universum einzugrenzen. Bose et al. 2019

Im letzten Jahrhundert, als Astronomen die Bewegungen von Galaxien und die Eigenschaft der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung untersuchen, kommen sie zu der Überzeugung, daß die meiste Materie im Universum nicht sichtbar ist. Etwa 84% der Materie im Kosmos ist dunkel und gibt weder Licht noch irgendeine andere bekannte Form an Strahlung ab. Daher wird sie Dunkle Materie genannt. Eine ihrer anderen Haupteigenschaften besteht darin, daß sie mit anderer Materie nur durch die Schwerkraft in Wechselwirkung tritt: Sie trägt beispielsweise keine elektrische Ladung. Dunkle Materie wird auch deshalb „dunkel“ genannt, da sie rätselhaft ist: Sie besteht nicht aus Atomen oder deren gängigen Bausteine wie Elektronen und Protonen. Teilchenphysiker haben sich neuartige Formen an Materie ausgedacht, die in Einklang mit den bekannten Gesetzen des Universums stehen, aber bisher ist keine entdeckt oder deren Existenz bestätigt worden. Die im Jahr 2012 mit dem Large Hadron Collider gemachte Entdeckung des Higgs-Bosons gab Anlaß zum Optimismus, daß die Teilchen der Dunklen Materie bald entdeckt werden würden, aber bisher ist nichts gefunden worden und zuvor vielversprechende Klassen an Teilchen scheinen weit hergeholte Vermutungen zu sein.

Astronomen haben erkannt, daß Dunkle Materie der beherrschende Bestandteil an Materie im Universum ist. Was auch immer die Natur der Dunklen Materie ist, sie beeinflusste tiefgreifend die Entwicklung der Anordnung von Galaxien und die Verteilung der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (CMBR = cosmic microwave background radiation). Die bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Werten wichtiger kosmischer Größen (etwa die Ausdehnungsrate), abgeleitet aus zwei völlig unterschiedlichen Formen großräumiger kosmischer Strukturen, nämlich Galaxien und die CMBR, läßt die inflationären Urknallmodelle, welche die Rolle der Dunklen Materie in ihre Betrachtung mit einbeziehen, glaubwürdig erscheinen.

Gegenwärtige Modelle der Dunklen Materie nehmen an, sie sei “kalt”, daß heißt, sie interagiert nicht mit irgendwelchen anderen Formen an Materie oder Strahlung – oder gar mit sich selbst – außer über die Schwerkraft. Diese Variante der Kosmologie wird folglich das Modell der kalten Dunklen Materie genannt. Doch Kosmologen fragen sich, ob genauere Beobachtungen imstande sein könnten, auch Wechselwirkungen auf niedrigem Niveau auszuschließen. Der CfA-Astronom Sownak Bose leitete ein Kollegenteam zur Studie eines sehr beliebten (wenn auch spekulativen) „Dunkle Materie“-Teilchens, eines, das in gewissen Grenzen fähig ist, mit sehr leichten Teilchen, die sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegen, in Wechselwirkung zu treten. Diese Spielart bildet eine von mehreren möglichen Szenarien an warmer Dunkler Materie (vielleicht genauer wechselwirkende Dunkle Materie genannt). Den hypothetischen Teilchen wird es insbesondere erlaubt, mit Neutrinos zu interagieren (Neutrinos sollen im heißen, frühen Universum extrem häufig vorgekommen sein).

Die Wissenschaftler nutzten modernste kosmologische Simulationen der Galaxienbildung, um ein Universum mit dieser Art an warmer Dunkler Materie zu modellieren. Sie stellen fest, daß für viele Beobachtungen die Effekte zu klein sind, um feststellbar zu sein. Die Wirkung dieser warmen Dunkler Materie macht sich jedoch durch einige unterscheidbare Folgen bemerkbar und dies besonders in dem Muster, wie ferne Galaxien im Raum verteilt sind, etwas, daß durch Kartierung von Galaxien über die Betrachtung ihres Wasserstoffgases getestet werden kann. Die Autoren ziehen den Schluß, daß künftige, hochempfindliche Beobachtungen diese Tests möglich machen sollten. Genaue neue Karten über die Verteilung der Absorption von Wasserstoffgas könnten genutzt werden, um die Möglichkeit der Existenz dieser warmen Dunklen Materie zu stützen – oder auszuschließen (siehe Abbildung) und Licht in das Dunkel dieser geheimnisvollen komischen Komponente zu bringen.

Literatur:

„ETHOS – an Effective Theory of Structure Formation: Detecting Dark Matter Interactions through the Lyman-α Forest“

Sownak Bose, Mark Vogelsberger, Jesus Zavala, Christoph Pfrommer, Francis-Yan Cyr-Racine, Sebastian Bohr, and Torsten Bringmann

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 487, 522–536 (2019)

oder

arXiv:1811.10630v2 [astro-ph.CO] 30 May 2019