Astronomie ohne Teleskop – Flaches Universum

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Verschiedene Entwicklungsszenarien des Universums. Ein Universum mit zu hoher Dichte fällt in sich zusammen, ein Universum mit kritischer Dichte bleibt statisch während sich ein Universum mit zu geringer Dichte mit einer gleichbleibenden Rate ausdehnt. Allerdings legt die heutige Kosmologie den Schwerpunkt auf die kosmologische Konstante, welche zu einer beschleunigten Expansion führt. Bedeutet dies, Dichte ist ohne Bedeutung? Quelle: NASA

 

Eine bemerkenswerte Erkenntnis des frühen 21. Jahrhunderts, die gewissermaßen an der Seite mit der mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Entdeckung der beschleunigten Ausdehnung des Universums steht, ist die Feststellung, daß das Universum geometrisch flach ist. Dies ist eine bemerkenswerte und unerwartete Eigenschaft eines Universums, das sich ausdehnt – geschweige denn eines Universums, das sich mit einer beschleunigten Rate ausdehnt – und wie die beschleunigte Ausdehnung ist es eine Schlüsseleigenschaft unseres gegenwärtigen Standardmodells des Universums.

Es kann sein, daß die Flachheit gerade eine Folge der beschleunigten Ausdehnung ist – aber bis heute kann diese Überlegung nicht überzeugend dargelegt werden.

Wie üblich dreht sich alles um Einstein. Die Einsteinschen Feldgleichen ermöglichen es, die Geometrie des Universums zu gestalten – und viele unterschiedliche Lösungen sind von Kosmologen entwickelt worden. Eine zentrale Lösung bilden die Friedmann-Gleichungen, die die Form und wahrscheinlich auch das Schicksal des Universums berechnen. Es ergeben sich drei mögliche Szenarien:

  • geschlossenes Universum – mit einem Inhalt, der so dicht ist, daß die Geometrie der Raumzeit des Universums in eine hypersphärische Form aufgerollt ist. Letztlich würde man von solch einem Universum erwarten, daß es in sich selbst zusammenfällt (Big Crunch)

  • offenes Universum – ohne ausreichende Dichte, um die Raumzeit aufzurollen, entsteht eine nach außen gerichtete hyperbolische Geometrie – allgemein sattelförmig genannt – mit dem Schicksal, für ewig zu expandieren

  • flaches Universum – mit einer „gerade richtigen“ Dichte – dafür aber mit unklarer Zukunft

Die Friedmann-Gleichungen wurden in der Kosmologie des 20. Jahrhunderts benutzt, um das endgültige Schicksal unseres Universums zu überprüfen und zu ermitteln. Dabei dachten nur wenige, daß das Bild von einem flachen Universum ein geeigneter Befund sein könnte – da man ein Universum erwarten würde, das nur für kurze Zeit flach bleibt, bevor es in einen offenen (oder geschlossenen) Zustand driftet, da seine Expansion (Kontraktion) die Dichte seiner Bestandteile verändern würde.

Materiedichte wurde als Schlüssel für die Geometrie angesehen. Abschätzungen der Materiedichte für unser Universum kommen auf etwa 0.2 Atome/m3. Hingegen berechnet sich mit dem betreffenden Teil der Friedmann-Gleichungen, daß die kritische Dichte, die benötigt wird, damit unser Universum flach bleibt, 5 Atome/m3 betragen würde. Da wir nur 4% der geforderten kritischen Dichte finden konnten, deutete dies darauf hin, daß wir vermutlich in einem offenen Universum leben – doch dann konnte man beginnen, mit neuen Methoden die Geometrie des Universums direkt zu vermessen.

Die Vermessung der Geometrie erfolgt mit Hilfe der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (von WMAP und früheren Experimenten). Dabei stellt der kosmische Mikrowellen-Hintergrund, am Himmel kartiert, eine Seite eines Dreiecks dar. Der irdische Beobachter sitzt dieser Seite gegenüber im Scheitelpunkt und blickt entlang der beiden anderen Seiten an die beiden übrigen Eckpunkte des Dreiecks. Nun kann man die Winkel messen, die sich in einem flachen (euklidischen) Universum zu 180°, in einem geschlossenen Universum zu mehr als 180° und in einem offenen Universum zu weniger als 180° aufsummieren.

Diese Erkenntnisse, die darauf hindeuteten, daß das Universum bemerkenswert flach ist, kamen um dieselbe Zeit zur Jahrtausendwende auf, als 1998 der Befund einer beschleunigten Expansion bekannt gegeben wurde.

Auch wenn das frühe Universum nur aus Materie bestanden haben könnte, muß man heute Dunkle Energie beifügen, um die andauernde Flachheit des Universums zu erklären. Quelle: NASA

 

So führt uns eigentlich die Flachheit des Universums und die Abschätzung, daß eine Materiedichte von nur 4% (0.2 Atome/m3) benötigt wird, um das Universum flach zu halten, dazu, dunkles Material heranziehen, um das Universum zu erklären. Allerdings können wir nicht einfach nach Materie rufen, sei sie sichtbar oder dunkel, die dafür verantwortlich ist, daß unser Universum seine kritische Dichte im Angesicht der Expansion, gar nicht zu reden von beschleunigter Expansion, aufrecht erhält – was auch immer für die kritische Dichte verantwortlich ist, es erscheint aus dem Nichts. Und so stützen wir uns auf die Dunkle Energie, um den fehlenden Anteil zu ergänzen – ohne eine Vorstellung zu besitzen, um was es sich da eigentlich handelt.

Angesichts der geringen Bedeutung, die gewöhnliche Materie für die Geometrie unseres Universums zu haben scheint, kann man die anhaltende Bedeutung der Friedmann-Gleichungen in der modernen Kosmologie in Zweifel ziehen. So findet gegenwärtig das De-Sitter-Universum mehr Beachtung, eine andere Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen, bei dem ein Universum ohne Materie entworfen wird – dessen Expansion und Entwicklung gänzlich das Ergebnis der kosmologischen Konstante ist.

De Sitter Universen, wenn auch nur auf dem Papier, kann man dazu bringen, sich mit beschleunigter Expansion auszudehnen und dennoch räumlich flach zu bleiben – ganz wie unser Universum. Daher ist es eine verlockende Annahme, daß Universen von Natur aus flach bleiben, während sie eine beschleunigte Expansion durchlaufen – und weil dies so ist, was Universen tun, haben ihre Bestandteile nur geringen direkten Einfluß auf die langfristige Entwicklung oder die großräumige Geometrie ihrer Universen.

Aber wer weiß es wirklich – wir arbeiten sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinn im Dunkeln.