Die Entfernung zum Nordpolarsporn

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

(Originalartikel unter https://www.cfa.harvard.edu)

Ein Bild der Milchstraße, wie sie im Radiolicht erscheint, das den markanten Nordpolarsporn, die größere Loop 1 und weitere Besonderheiten zeigt. Astronomen haben die Entfernung zum Sporn aus den vom Gaia-Satelliten neu vermessenen Abständen von Molekülwolken ermittelt und festgestellt, daß er mit ungefähr fünfhundert Lichtjahren viel näher liegt als einige Modelle vorgeschlagen haben, die ihn mit dem galaktischen Kern und den Fermi-Blasen in Verbindung bringen.
Haslam, C.G.T. et al., 
Astron. Astrophys. Suppl. Ser. 1982

Eine der größten Strukturen in der Milchstraße, der Nordpolarsporn, wurde mittels Radio- und Röntgenlicht entdeckt. Der Sporn ist ein gewaltiger Grat heller Strahlung, der nahezu senkrecht aus der Ebene der Galaxis aufsteigt; er beginnt annähernd im Sternbild Schütze, biegt sich dann nach oben und erstreckt sich für über dreißig Grad (die Größe von sechzig Vollmonden) über den Himmel, wo er sich mit anderen hellen filamentartigen Strukturen zu verbinden scheint. Die ausgesandte Strahlung ist sehr stark polarisiert, ein Zeichen dafür, daß er durch ionisiertes Gas bei Anwesenheit von starken Magnetfeldern erzeugt wird. Abhängig davon, wie weit der Sporn von uns entfernt ist, reichen seine Längenschätzungen über hunderte bis tausende Lichtjahre.

Eine wichtige Theorie über den Sporn besagt, daß es sich um eine lokale Struktur handelt, die durch einen Supernova-Überrest gebildet wurde und vielleicht nur wenige hundert Lichtjahre entfernt ist. Andere Untersuchungen, welche die durch den Sporn gesehene Absorption von Sternlicht nutzen, deuten darauf hin, daß er mehr als tausend Lichtjahre entfernt ist. Mit Hilfe kinematischer Beobachtungen an Gas und verwandten Datensätzen kommt eine weitere Gruppe zu dem Schluß, daß der Sporn eher sechs- bis zehntausend Lichtjahre weit entfernt liegt. Da die allgemeine Form des Bogens an die riesigen Fermi-Blasen erinnert, bei denen man entdeckte, daß sie der Region des galaktischen Zentrums entspringen, argumentieren andere Astronomen, daß der Sporn in Wirklichkeit Teil einer Schockfront ist, die durch Sternentstehungsaktivität, die vor ungefähr fünfzehn Millionen Jahren nahe dem etwa fünfundzwanzigtausend Lichtjahren entfernten galaktischen Zentrum auftrat, erzeugt wurde.

Eine stabile Begrenzung der Entfernung des Sporns hat Folgen für unser Verständnis über seine Herkunft und seinen Aufbau, aber ebenso für andere helle ausgedehnte Emissionsschleifen, die galaktischen Blasen, Supernova-Aktivitäten in der Sonnenumgebung und Ausströmungen von Material, das man aus den Kernen in anderen Galaxien kommen sieht. Die CfA-Astronomen Catherine Zucker, Joshua Speagle und Alyssa Goodman und ihre Kollegen nutzten die kürzlich veröffentlichten Parallaxen-Messungen der Gaia-Mission, um genaue und präzise Entfernungen zu lokalen Molekülwolken abzuleiten. Durch Vergleich dieser Daten mit Messungen der interstellaren Extinktion in Richtung Sporn sowie unabhängige Beobachtungen der Mengen an Gas entlang unterschiedlicher Sichtlinien kommen sie zu dem Schluß, daß nahezu der gesamte Sporn innerhalb einer Entfernung von fünfhundert Lichtjahren liegt (ein kleinerer Bereich könnte bis zu einigen tausend Lichtjahren entfernt liegen). Auf Grundlage ihrer Ergebnisse stellen sie die These auf, daß der Sporn weder mit den Fermi-Blasen noch dem galaktischen Zentrum, sondern eher mit der näher liegenden Scorpius-Centaurus OB-Assoziation massereicher junger Sterne in Verbindung steht.

Literatur:

„Constraining the distance to the North Polar Spur with Gaia DR2“

Kaustav K. Das, Catherine Zucker, Joshua S. Speagle, Alyssa Goodman, Gregory M. Green, and Joao Alves

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 498, 5863, 2020

oder

ArXiv: 2009.01320v2 [astro-ph.GA] 26 Oct 2020