Aller guten Dinge sind… (Teil 1)

Dr. Ilka Petermann

…sechs? Neun oder dreizehn? 741? Die Frage, wie viele Mitglieder unser Sonnensystem (Abb. 1) hat, war die längste Zeit ziemlich klar: Die hellen Glanzpunkte des Nachthimmels Venus, Jupiter, Mars, Merkur und Saturn stehen zwar nicht so fix am Himmel wie die Sterne, doch ließen sich die ‘Wanderer’ und ihre Wege mit bloßem Auge leicht verfolgen. Doch dann kam die ‘Polizei’, eine kosmische Geröll-Lawine und am Ende sogar noch ein ziemlich leidenschaftlich geführter Streit…

Abb.1: Was dereinst das Sonnensystem sein und die Frage aufwerfen wird:
Wie viele Mitglieder hat es denn nun eigentlich?
Quelle: NASA/FUSE/Lynette Cook

Weit heller als Sirius, der hellste Stern des Nachthimmels, grüßt uns ein Himmelskörper am frühen Morgen oder wünscht uns zu später Stunde eine gute Nacht: die Venus. Mit einer solchen nichtkontinuierlichen Bewegung fiel das Objekt ein wenig aus der Reihe, war man doch sonst von den Sternen, der Sonne und dem Mond einen ordentlichen, leicht nachvollziehbaren Lauf am Nachthimmel gewohnt. In der griechischen Mythologie hatte die Venus daher auch zwei Namen: Phosphoros (in etwa ‘der Lichtbringer’), der Morgenstern und Hesperos, der Abendstern. Doch ob einer oder zwei: im antiken China, bei den Sumerern und Babyloniern im Orient genauso wie bei den Maya in Mittelamerika, verfolgten Astronomen und alle anderen, die nachts wach waren, den Lauf des  ‘Wandelsterns’ oder ‘Wanderers’ (altgriechisch planetes, ‘Umherschweifender, Wanderer’). Ähnlich lauffreudig verhielten sich noch vier andere Planeten: der rötliche Mars, Merkur, Jupiter und Saturn.

Während sich der Lauf der Sterne während eines Jahres gut nachvollziehen und vorhersagen ließ, wurde es bei den Planeten bis zu den Arbeiten Keplers schnell anstrengend. Claudius Ptolemäus arbeitete im 2. Jahrhundert nach Christus das astronomische Wissen der Zeit zum geozentrischen Weltbild aus: wir, bzw. die Erde, in der Mitte des Universums, umrundet von allen anderen Objekten. Das Weltbild gefiel Wissenschaftlern wie Theologen und blieb für die nächsten rund 1.400 Jahre das kosmische Standardwerk.

Der Lauf von Sonne, Mond und Planeten wurde im geozentrischen Weltbild durch die Epizykeltheorie beschrieben und der Name war Programm: ein auf ‘einem Kreis kreisender Kreis’ (Abb. 2). Um die Erde sollte ein Objekt auf einer Kreisbahn laufen (entgegen des Uhrzeigersinns), wobei es sich noch zusätzlich auf einer kleineren Kreisbahn bewegt. Die solcherart bestimmten ‘Ephemeriden’, also die tagesgenau angegebenen Positionen sich bewegender astronomischer Objekte, stimmten mit etwas gutem Willen leidlich mit den beobachteten Positionen überein. Manchmal wichen der berechnete und der beobachtete Wert auch schon mal um einen dritten Vollmondradius voneinander ab – aber man will sich ja nicht beschweren. Oder vielleicht ein bisschen: zwischen dem 11. und 17. Jahrhundert gaben Herrscher mit dem nötigen Kleingeld sogenannte Ephemeridentafeln in Auftrag, welche die genaue Berechnung der Positionen von Himmelsobjekten verbessern sollten und oft den Namen des Gönners trugen (z.B. die Alfonsinischen oder Rudolfinischen Tafeln).

Abb.2: Ein auf einem Kreis kreisender Kreis: die Bahnen von Sonne, Merkur und Venus nach dem geozentrischen Weltbild. Da kann einem schon mal schwindlig werden…
Abbildung von James Ferguson (1710-1776) für die Encyclopaedia Britannica 1771, basierend auf gleichartigen Schaubildern von Giovanni Cassini (1625-1712) und Dr. Roger Long (1680-1770).
Quelle: Encyclopaedia Britannica (1st Edition, 1771; facsimile reprint 1971), Volume 1, Fig. 2 of Plate XL facing page 449

Doch bei allem Ephemeriden-Enthusiasmus: mit der Erde im Mittelpunkt wird das nichts… Erst mit den Arbeiten von Nikolaus Kopernikus (heliozentrisches Weltbild, 1543), und insbesondere Johannes Keplers Modell, dass die Planeten auf Ellipsen um die Sonne laufen lässt, und schließlich Isaac Newtons Gravitationsgesetz ließen sich die Bahnen der Planeten präzise bestimmen (ja ja,  Merkur fällt aus der Reihe: für die Berechnung seiner Periheldrehung brauchte es noch Albert Einstein und die Relativitätstheorie…). Die Sonne war also ins Zentrum gerückt und ihr ‘Sonnensystem’ hatte insgesamt sechs kreisende Mitglieder: Merkur, Mars, Venus, Erde, Jupiter und Saturn.

Als 1781 William Herschel ein ‘nebliger Stern’ vor seine Teleskoplinse lief, konnten Astronomen dank der mittlerweile wohl etablierten Theorien mit hoher Präzision die Bahn des ‘Objekts’ bestimmen. Und so stellte sich schnell heraus: es ist nicht irgendein Nebelchen, sondern unser Nebelchen, oder genauer: Herschel hatte ein weiteres Mitglied unseres Sonnensystems entdeckt – den Planeten Uranus (Abb. 3)! Auf einen Schlag war das Sonnensystem doppelt so groß wie vorher: Ist der Saturn schlappe 9,5 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt, bringt es der Uranus auf ganze 19 Astronomische Einheiten.

Abb.3: Sieht großartig aus und vergrößerte 1781 unser Sonnensystem: der gerade noch mit bloßem Auge sichtbare Planet Uranus. Hier eine Falschfarbenaufnahme des Uranus mit Ringen, Monden und Wolken im nahen Infrarotbereich.
Quelle: Erich Karkoschka (University of Arizona) and NASA

Die Entdeckung war nicht nur aufregend, sie passte auch ganz wunderbar in ein Schema, das kurz zuvor von Johann Daniel Titius und Johann Elert Bode vorgestellt worden war: Mit der empirischen Beziehung konnten die Abstände der bekannten Planeten von der Sonne mit einer einfachen mathematischen Formel näherungsweise hergeleitet werden.

Da die ‘Titius-Bode-Reihe’ ein weiteres Mal gute Ergebnisse lieferte, fiel eine Lücke umso stärker ins Auge: zwischen Mars und Jupiter schien ein Planet zu fehlen… Für die Astronomen Franz Xaver von Zach und Hieronymus Schroeter eine astronomisch unhaltbare Situation – sie riefen die Polizei! Oder genauer: um den vermuteten fehlenden Planeten ausfindig zu machen, riefen sie mit der ‘Himmelspolizey’ eines der ersten internationalen, wissenschaftlichen Gemeinschaftsprojekte ins Leben. Die Ekliptik wurde in 24 Abschnitte geteilt und jeder Abschnitt einer anderen Sternwarte in Europa zugeordnet, die sich auf die Suche nach dem fehlenden Planeten machen sollte.

Der ‘Lückenfüller’ wurde am Ende zwar nicht von der ‘Polizey’ gefunden, sondern 1801 vom katholischen Priester und Astronom Guiseppe Piazzi – doch wurde der Fund sicher sehr achtsam von der astronomischen Gemeinschaft verfolgt. Mit der kugelförmigen Ceres, rund 960 km im Durchmesser, zog ein Objektchen zwischen Mars und Jupiter seine Bahnen, das eher eine Ähnlichkeit mit unserem Mond hat, denn mit den anderen Planeten des Sonnensystems. Gerade einmal ein 6.360-tel der Erdmasse bringt Ceres auf die Waage – aber die Astronomen waren zufrieden, die Titius-Bode-Reihe gefüllt und Ceres wurde der achte Planet unseres Sonnensystems.

Doch Ceres war nicht lange allein: Als der Arzt und Hobbyastronom Heinrich Olbers ein Jahr später den neuen Planeten für weitere Untersuchungen wiederfinden wollte, stolperte er über ein weiteres Objekt: eine 546 km im Durchmesser große, etwas eingedellte Kugel – auf ähnlicher Umlaufbahn wie Ceres und damit ebenfalls zwischen Mars und Jupiter gelegen. Das ‘Pallas’ getaufte Objekt sorgte für neuen Diskussionsstoff (sind Ceres und Pallas Bruchstücke eines einst viel größeren Planeten?) – und einen neuen, neunten Planeten im Sonnensystem.

Abb.4: Ein Asteroid mit Ecken und Kanten: die so gar nicht kugelrunde Juno, entdeckt von Karl Ludwig Harding im Jahr 1804 und hier in voller Schönheit mit dem Very Large Telescope aufgenommen (2018).
Quelle: Very Large Telescope SPHERE/ZIMPOL team

Für kurze Zeit bekamen die beiden neuen Mitglieder des Sonnensystems die volle Aufmerksamkeit der Astronomen, doch schon 1804 war Schluss: Karl Ludwig Harding entdeckte, ebenfalls zwischen Mars und Jupiter gelegen, die etwas schrumpelige Juno (Planet Nummer 10, Abb. 4). Vesta (Nr. 11, 1807) und Astraea (Nr. 12; nach einer etwas längeren Pause im Jahr 1845) reihten sich schon bald in der gleichen Gegend ein und auch wenn die Objekte um viele Größenordnungen kleiner als die ‘klassischen Planeten’ waren, wurden sie der gleichen Kategorie zugeordnet. Zum Vergleich: der kleine Merkur bringt es immerhin noch auf 3,3 x 1023 kg, die Erde schon auf knapp 6 x 1024 kg – und Jupiter, der weitaus größte und massereichste Planet des Sonnensystems, sogar auf 1,9 x 1027 kg. Astraea hingegen geht mit gerade einmal 2,6 x 1018 kg ins Rennen.

Im Jahr 1846 dann entdeckte Johann Gottfried Galle nach Berechnungen durch den sehr hartnäckigen Urbain Le Verrier (seine Bahnbestimmungen eines möglichen, weit außen im Sonnensystem gelegenen Planeten stießen auf wenig Interesse bei anderen Astronomen) den Planeten Neptun.

Da waren’s dreizehn – und ein Ende der Lawine war nicht in Sicht: Hebe, Iris, Flora, Metis, Hygiea, Parthenope und Victoria wurden in schneller Abfolge gefunden und langsam wurde es sogar knapp mit den weiblichen Namen aus der antiken Mythologie (1883 benannte der Wiener Astronom Johann Palisa einen Asteroiden ‘Henrietta’ – nach der völlig irdischen Ehefrau des französischen Pioniers der Sonnenphysik Jules Janssen).

Alexander von Humboldt, sicher nicht abergläubisch, aber vielleicht des Mitzählens müde, machte schließlich 1851 einen Vorschlag: vielleicht könnte man die Anzahl der Planeten im Sonnensystem auf acht begrenzen – und alle kleineren ‘Mitläufer’ würden zur neuen Klasse der ‘Asteroiden’ gezählt werden. Die astronomische Gemeinschaft war einverstanden (Es kann ja so einfach sein! Dass es auch anders geht, zeigte sich im 21. Jahrhundert…) und bis zum Jahr 1890 wurden über 300 Brocken, Bröckchen und Geröllgebilde (viele Asteroiden sind eher locker aufgebaut und lassen sich eher als ‘Schutthaufen’ denn als kompakter Felsbrocken beschreiben) als Asteroiden in die neue Objektklasse eingeordnet.

Die gehäufte Anordnung der Himmelskörper ist heute als ‘Asteroidengürtel’ (auch: Hauptgürtel) bekannt. Zwischen 2 bis 3,4 Astronomischen Einheiten befinden sich nach heutiger Dokumentation mehr als 600.000 Objekte – Schätzungen gehen von bis zu 1,9 Millionen Körpern aus, viele davon eher ein ‘Steinchen’ als ein imposantes Objekt. Die Masse des Asteroidengürtels wurde lange Zeit überschätzt: heute weiß man, dass alle Asteroiden zusammengenommen gerade einmal fünf Prozent der Masse des Erdmondes ausmachen – wovon bereits 25 % auf die Nummer 1, Ceres, entfallen.

Und dann, im Jahr 1930, machte der US-amerikanische Astronom Clyde Tombaugh eine Entdeckung – ganz weit entfernt von dem mittlerweile so vertrauten Asteroidengürtel. In den Randgebieten unseres Sonnensystems zog ein weiterer Körper seine Bahnen um die Sonne: Pluto, der kleine, kalte neunte Planet (pst, noch nichts verraten…)! Gut sechzig Jahre – gerade einmal ein Viertel Plutojahr! Er braucht 248 Jahre, um die Sonne einmal zu umrunden – blieb alles ruhig. Bis mit Albion ein weiteres Objekt gefunden wurde, das jenseits der Neptunbahn seine Runden dreht.

Und dann sollte es richtig rund gehen – mit Pluto, Ceres und 741 anderen Himmelskörperchen, die auch noch etwas Aufmerksamkeit bekommen wollen…

Und in Teil 2: Charon, Albion und die große Frage nach den kleinen Himmelskörpern, oder: Hat Pluto aufgeräumt?

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