Originalveröffentlichung am 10.04.2025 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases
Zusammenfassung: Nachklingende Helligkeit liefert Hinweise auf den Untergang eines Planeten
Jedes Jahr bewerben sich Wissenschaftler aus aller Welt um Beobachtungszeit am James-Webb-Weltraumteleskop der NASA. Wenn die Vorschläge nach einer strengen Prüfung ausgewählt worden sind, kommen die Programme in Webb’s Warteschlange für zukünftige Beobachtungen und können auf der Grundlage verschiedener Faktoren, einschließlich der Sichtbarkeitsfenster, geplant werden.
Was ist, wenn ein Astronom etwas studieren möchte, aber nicht genau weiß, wann dieses Ereignis stattfinden wird? Oder wo? Denken Sie an Supernova-Explosionen oder einen Gammastrahlenausbruch. So etwas wird als „Target of Opportunity“ (ToO) Beobachtung bezeichnet, die Astronomen in der vorbereitenden Planungsphase definieren können, um sie zu gegebener Zeit „in die Tat umzusetzen“.
Eines der ersten von Webb durchgeführten ToO-Programme hat sich nun als fruchtbar erwiesen und Einblicke in die unmittelbaren Folgen geliefert, wenn ein Stern seinen eigenen Planeten verschluckt.
Die Beobachtungen des James-Webb-Weltraumteleskops der NASA haben für eine überraschende Wende in der Geschichte um den angeblich ersten Stern gesorgt, der beim Verschlucken eines Planeten beobachtet wurde. Die neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, daß sich der Stern nicht, wie bisher angenommen, aufgebläht hat, um einen Planeten zu verschlingen. Stattdessen zeigen Webb’s Beobachtungen, daß die Umlaufbahn des Planeten im Laufe der Zeit schrumpfte und den Planeten langsam seinem Untergang näher brachte, bis er schließlich vollständig verschlungen wurde.
„Da es sich um ein so neuartiges Ereignis handelt, wußten wir nicht genau, was uns erwartete, als wir beschlossen, dieses Teleskop in seine Richtung zu richten“, sagte Ryan Lau, Erstautor der neuen Studie und Astronom am NOIRLab der NSF (National Optical-Infrared Astronomy Research Laboratory der National Science Foundation) in Tucson, Arizona. „Mit seinem hochauflösenden Blick im Infraroten gewinnen wir wertvolle Erkenntnisse über das endgültige Schicksal von Planetensystemen, möglicherweise einschließlich unseres eigenen.“
Zwei Instrumente an Bord von Webb führten die Obduktion am Tatort durch – MIRI (Mid-Infrared Instrument) und NIRSpec (Near-Infrared Spectrograph) von Webb. Die Forscher konnten ihre Schlußfolgerungen mithilfe eines zweigleisigen Untersuchungsansatzes ziehen.
Das Wie einschränken
Der Stern im Zentrum des Geschehens befindet sich in der Milchstraße, etwa 12.000 Lichtjahre von der Erde entfernt.
Das Aufhellungsereignis mit der offiziellen Bezeichnung ZTF SLRN-2020 wurde ursprünglich als optischer Lichtblitz mit Hilfe der Zwicky Transient Facility am Palomar Observatory in San Diego, Kalifornien, entdeckt. Daten von NEOWISE (Near-Earth Object Wide-field Infrared Survey Explorer) der NASA zeigten, daß der Stern bereits ein Jahr vor dem optischen Lichtblitz im Infraroten aufleuchtete, was auf das Vorhandensein von Staub hindeutet. Diese erste Untersuchung aus dem Jahr 2023 führte die Forscher zu der Annahme, daß der Stern eher sonnenähnlich war und sich über Hunderttausende von Jahren zu einem Roten Riesen entwickelt hatte, der sich langsam ausdehnte, während sein Wasserstoffbrennstoff aufgebraucht war.
Das MIRI von Webb erzählt jedoch eine andere Geschichte. Mit seiner hohen Empfindlichkeit und räumlichen Auflösung war Webb in der Lage, die verborgene Strahlung des Sterns und seiner unmittelbaren Umgebung, die in einer sehr dicht besiedelten Region des Weltraums liegt, präzise zu messen. Die Forscher fanden heraus, daß der Stern nicht so hell war, wie er hätte sein müssen, wenn er sich zu einem Roten Riesen entwickelt hätte, was darauf hindeutet, daß es kein Ausdehnen gab, das den Planeten verschlungen hätte, wie einst angenommen.
Rekonstruktion des Schauplatzes
Die Forscher vermuten, daß der Planet zu einem bestimmten Zeitpunkt etwa die Größe Jupiters hatte, aber recht nahe am Stern kreiste, sogar näher als Merkur auf seiner Umlaufbahn um unsere Sonne. Im Laufe der Jahrmillionen kreiste der Planet immer näher um den Stern, was zu den katastrophalen Folgen führte.
„Der Planet begann schließlich, die Atmosphäre des Sterns zu streifen. Von diesem Moment an war es ein unkontrollierbarer Prozeß eines nach innen Fallens, das immer schneller wurde“, sagte Morgan MacLeod vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics sowie dem Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, Massachusetts. „Der Planet begann, während er nach innen fiel, eine Art Schmierspur um den Stern herum zu bilden.“
Bei seinem finalen Einschlag hätte der Planet Gas aus den äußeren Schichten des Sterns weggesprengt. Als dieses sich ausdehnte und abkühlte, kondensierten die schweren Elemente in diesem Gas im Laufe des nächsten Jahres zu kaltem Staub.
Überprüfen der Überreste
Während die Forscher eine sich ausdehnende Wolke aus kühlerem Staub um den Stern erwarteten, offenbarte ein Blick mit dem leistungsstarken NIRSpec mehr im Inneren eine heiße zirkumstellare Scheibe aus molekularem Gas. Zudem konnte die hohe spektrale Auflösung von Webb bestimmte Moleküle in dieser Akkretionsscheibe nachweisen, darunter auch Kohlenmonoxid.
„Mit einem Teleskop wie Webb, das wichtige und dauerhafte Veränderungen bewirkt, war es schwer für mich, irgendwelche Erwartungen zu haben, was wir in der unmittelbaren Umgebung des Sterns finden würden“, sagte Colette Salyk vom Vassar College in Poughkeepsie, New York, eine Exoplanetenforscherin und Mitautorin der neuen Arbeit. „Ich muß sagen, ich hätte nicht erwartet, daß wir in den Nachwehen des Verschlingens etwas sehen, das die Merkmale einer planetenbildenden Region aufweist, trotz der Tatsache, daß sich hier keine Planeten bilden.“
Die Möglichkeit, dieses Gas zu beschreiben, eröffnet den Forschern weitere Fragen darüber, was tatsächlich geschah, nachdem der Planet vollständig von dem Stern verschluckt wurde.
„Dies ist wirklich der Höhepunkt bei der Erforschung dieser Geschehnisse. Dies ist das einzige Ereignis, das wir in Aktion beobachtet haben, und dies ist der beste Nachweis der Folgen, nachdem sich die Dinge wieder beruhigt haben“, sagte Lau. „Wir hoffen, daß dies erst der Anfang unserer Stichprobe ist.“
Diese Beobachtungen, die im Rahmen des Guaranteed Time Observation program 1240 gemacht wurden, das speziell zur Untersuchung einer Familie mysteriöser, plötzlicher Infrarot-Aufhellungen entwickelt wurde, gehörten zu den ersten Target of Opportunity-Programmen von Webb. Diese Art von Untersuchungen ist Ereignissen wie Supernova-Explosionen vorbehalten, die zwar erwartet werden, von denen die Forscher aber nicht wirklich wissen, wann und wo sie stattfinden. Die Weltraumteleskope der NASA sind Teil eines wachsenden internationalen Netzwerks, das bereit ist, diese flüchtigen Veränderungen zu beobachten, um uns zu helfen, zu verstehen, wie das Universum funktioniert.
Die Forscher erwarten, daß sie ihre Stichprobe erweitern und künftige Ereignisse wie dieses mit Hilfe des geplanten Vera C. Rubin Observatoriums und des Nancy Grace Roman Weltraumteleskops der NASA identifizieren können, die große Bereiche des Himmels wiederholt untersuchen werden, um Veränderungen im Laufe der Zeit zu erkennen.
Die Ergebnisse des Teams werden heute in der Zeitschrift The Astrophysical Journal veröffentlicht.
Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisation).
Darstellung eines planetaren Verschlingens
Über das Bild: Die Beobachtungen des James-Webb-Weltraumteleskops der NASA über das vermutlich erste jemals aufgezeichnete Ereignis des Verschlingens eines Planeten zeigten eine heiße Akkretionsscheibe, die den Stern umgibt, und eine sich ausdehnende Wolke aus kühlerem Staub, die die Szene einhüllt. Webb zeigte auch, daß der Stern nicht anschwoll, um den Planeten zu verschlucken, sondern daß sich die Umlaufbahn des Planeten im Laufe der Zeit langsam verringerte.
Diese Darstellung zeigt die Abfolge der Ereignisse, die sich über Millionen von Jahren abspielten, basierend auf Beobachtungen von Webb’s MIRI (Mid-Infrared Instrument) und NIRSpec (NIR-Infrared Spectrograph).
Tafel 1: Der Planet hatte etwa die Größe von Jupiter und kreiste sehr nahe am Stern – sogar näher als Merkur auf seiner Umlaufbahn um unsere Sonne.
Tafel 2: Die Umlaufbahn des Planeten schrumpfte mit der Zeit langsam, und der Planet näherte sich dem Stern. Schließlich begann er, die Atmosphäre des Sterns zu streifen. Als der Planet weiter nach innen fiel, bildete er eine Art Schmierspur um den Stern.
Tafel 3: Der Planet wurde von dem Stern vollständig verschlungen und stieß Gas von den äußeren Schichten des Sterns aus.
Tafel 4: Als sich dieses Gas ausdehnte und abkühlte, kondensierten in diesem Gas die schweren Elemente im Laufe des nächsten Jahres zu kaltem Staub. In der Umgebung des Sterns befindet sich eine heiße zirkumstellare Scheibe aus molekularem Gas.