Originalveröffentlichung am 25.10.2023 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases
Zusammenfassung: Webb’s Untersuchung des zweithellsten Gammastrahlenausbruchs, der je beobachtet wurde, enthüllt Tellur
Unter welchen Bedingungen viele chemische Elemente im Universum entstehen, war lange Zeit ein Rätsel. Dazu gehören auch Elemente, die sehr wertvoll oder sogar lebenswichtig für das Leben, wie wir es kennen, sind.
Die Astronomen sind der Antwort nun einen Schritt näher gekommen, dank des James-Webb-Weltraumteleskops und eines hochenergetischen Ereignisses: Der zweithellste jemals entdeckte Gammastrahlenausbruch, der höchstwahrschein-lich durch die Verschmelzung zweier Neutronensterne verursacht wurde, was zu einer als Kilonova bekannten Explosion führte. Mithilfe der spektakulären Empfindlichkeit von Webb konnten die Wissenschaftler das erste Spektrum der Kilonova GRB 230307A im mittleren Infrarotbereich aus dem Weltraum aufzeichnen und damit den ersten direkten Blick auf ein einzelnes schweres Element – Tellur – eines solchen Ereignisses werfen.
Ein Team von Wissenschaftlern hat mehrere weltraum- und bodengestützte Teleskope eingesetzt, darunter NASA’s James-Webb-Weltraumteleskop, das Fermi-Gammastrahlen-Weltraumteleskop der NASA und das Neil-Gehrels-Swift-Observatorium der NASA, um einen außergewöhnlich hellen Gammastrahlenausbruch, GRB 230307A, zu beobachten und die Neutronensternverschmelzung zu identifizieren, die zu einer Explosion führte, die den Ausbruch verursachte. Webb half den Wissenschaftlern auch beim Nachweis des chemischen Elements Tellur in den Nachwehen der Explosion.
Andere Elemente, die im Periodensystem in der Nähe von Tellur stehen – wie Jod, das bei einem Großteil des Lebens auf der Erde benötigt wird – sind vermutlich auch im ausgestoßenen Material der Kilonova enthalten. Eine Kilonova ist eine Explosion, die durch die Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch oder mit einem anderen Neutronenstern entsteht.
“Etwas mehr als 150 Jahre, nachdem Dmitri Mendelejew das Periodensystem der Elemente niedergeschrieben hat, sind wir dank Webb nun endlich in der Lage, die letzten Lücken zu füllen, um zu verstehen, wie alles entstanden ist”, so Andrew Lewan von der Radboud-Universität in den Niederlanden und der University of Warwick im Vereinigten Königreich, Hauptautor der Studie.
Während man seit langem davon ausgeht, daß Neutronensternverschmelzungen die idealen “Dampfkochtöpfe” sind, um einige der selteneren Elemente zu erzeugen, die wesentlich schwerer als Eisen sind, sind die Astronomen bisher auf einige Hindernisse gestoßen, um solide Beweise zu erhalten.
Kilonovae sind extrem selten, was es schwierig macht, diese Ereignisse zu beobachten. Kurze Gammastrahlenausbrüche (GRBs), von denen man traditionell annimmt, daß sie weniger als zwei Sekunden dauern, können Nebenprodukte dieser seltenen Verschmelzungsepisoden sein. (Im Gegensatz dazu können lange Gammastrahlenausbrüche mehrere Minuten dauern und werden normalerweise mit dem explosiven Tod eines massereichen Sterns in Verbindung gebracht).
Der Fall von GRB 230307A ist besonders bemerkenswert. Er wurde erstmals im März von Fermi entdeckt und ist der zweithellste GRB, der in den letzten 50 Jahren beobachtet wurde, und etwa 1.000 Mal heller als ein typischer Gamma-strahlenausbruch, den Fermi beobachtet. Außerdem dauerte er 200 Sekunden, was ihn trotz seines anderen Ursprungs eindeutig in die Kategorie der Gammastrahlenausbrüche mit langer Dauer einordnet.
Dieser Ausbruch fällt in die Kategorie “lang”. Er ist nicht in der Nähe der Grenze beider Gammastrahlenausbruchsformen. Aber er scheint von einem verschmelzenden Neutronenstern zu kommen”, fügte Eric Burns, Mitautor der Studie und Mitglied des Fermi-Teams an der Louisiana State University, hinzu.
Die Zusammenarbeit vieler Teleskope am Boden und im Weltraum ermöglichte es den Wissenschaftlern, eine Fülle von Informationen über dieses Ereignis zusammenzustellen, sobald der Ausbruch zum ersten Mal entdeckt wurde. Es ist ein Beispiel dafür, wie Satelliten und Teleskope zusammenarbeiten, um Änderungen im Universum zu beobachten, während sich diese entfalten.
Nach der ersten Entdeckung wurde eine intensive Reihe von Beobachtungen vom Boden und aus dem Weltraum, unter anderem mit Swift, durchgeführt, um die Quelle am Himmel zu lokalisieren und zu verfolgen, wie sich ihre Helligkeit ver-änderte. Diese Beobachtungen im Gammastrahlen-, Röntgen-, optischen, Infrarot- und Radiowellenbereich zeigten, daß das optische/infrarote Gegenstück schwach war, sich schnell entwickelte und sehr rot wurde – die Kennzeichen einer Kilonova.
“Diese Art von Explosion ist sehr schnell, und das Material in der Explosion dehnt sich ebenfalls schnell aus”, sagt Om Sharan Salafia, Mitautor der Studie am INAF – Brera Astronomical Observatory in Italien. “Während sich die gesamte Wolke ausdehnt, kühlt das Material schnell ab, und der Scheitelpunkt seines Lichts wird im Infrarot sichtbar und wird in Zeiträumen von Tagen bis Wochen röter.”
Zu späteren Zeiten wäre es unmöglich gewesen, diese Kilonova vom Boden aus zu studieren, aber für die Instrumente NIRCam (Nahinfrarotkamera) und NIRSpec (Nahinfrarotspektrograph) von Webb waren dies die perfekten Bedingungen, um diese turbulente Umgebung zu beobachten. Das Spektrum weist breite Linien auf, die zeigen, daß das Material mit hoher Geschwindigkeit ausgestoßen wird, aber ein Kennzeichen ist eindeutig: das Licht, das von Tellur ausgesandt wird, einem Element, das auf der Erde seltener ist als Platin.
Die hochempfindlichen Infrarotfähigkeiten von Webb halfen den Wissenschaftlern, die Heimatadresse der beiden Neutronensterne zu identifizieren, die die Kilonova erzeugten: eine Spiralgalaxie, die etwa 120.000 Lichtjahre vom Ort der Verschmelzung entfernt ist.
Vor ihrem Abgang waren sie einst zwei normale, massereiche Sterne, die in ihrer Heimatgalaxie ein Doppelsternsystem bildeten. Da das Duo durch die Schwerkraft aneinander gebunden war, endeten beide Sterne auf gleichem Weg, aber bei zwei verschiedenen Gelegenheiten: als einer der beiden als Supernova explodierte und zu einem Neutronenstern wurde, und als der andere Stern diesem Beispiel folgte.
In diesem Fall blieben die Neutronensterne trotz zweier explosiver Stöße als Doppelsternsystem bestehen und wurden aus ihrer Heimatgalaxie herausgeschleudert. Das Paar legte eine Strecke zurück, die in etwa dem Durchmesser der Milch-straße entspricht, bevor es einige hundert Millionen Jahre später verschmolz.
Die Wissenschaftler erwarten, daß sie in Zukunft noch mehr Kilonovae finden werden, da es immer mehr Möglichkeiten gibt, weltraum- und bodengestützte Teleskope auf komplementäre Weise zusammenarbeiten zu lassen, um Veränderun-gen im Universum zu untersuchen. Während das Webb-Teleskop beispielsweise tiefer in den Weltraum blicken kann als je zuvor, wird das bemerkenswerte Sichtfeld des kommenden Nancy Grace Roman Space Telescope der NASA es den Astronomen ermöglichen, zu erkunden, wo und wie häufig diese Explosionen auftreten.
“Webb liefert einen phänomenalen Schub und könnte sogar noch schwerere Elemente finden”, sagte Ben Gompertz, ein Mitautor der Studie an der Universität Birmingham in Großbritannien. “Je häufiger wir beobachten, desto besser werden die Modelle und desto mehr kann sich das Spektrum mit der Zeit entwickeln. Webb hat mit Sicherheit die Tür geöffnet, um noch viel mehr zu tun, und seine Fähigkeiten werden unser Verständnis des Universums völlig verändern.”
Diese Ergebnisse sind in der Zeitschrift Nature veröffentlicht worden.
Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisa-tion).
Kilonova und Wirtsgalaxie
- Fast Facts
- Objekt
- Objektname(n): GRB 230307A
- Objektbeschreibung: Gammastrahlenausbruch von zwei kollidierenden Neutronensternen
- Rektaszension: 04:03:26.01
- Deklination: -75:22:42.78
- Sternbild: Mensa
- Abmessungen: Das Bild hat einen Durchmesser von etwa 1,3 Bogenminuten
- Daten
- Instrument: NIRCam
- Filter: F115W, F150W, F277W, F356W, F444W
- Bild
- Farbinformation: Dieses Bild ist ein Komposit aus Einzelbelichtungen, die vom James-Webb-Weltraumteleskop mit dem NIRCam-Instrument aufgenommen wurden. Es wurden mehrere Filter verwendet, um einen breiten Wellenlängen-bereich zu erfassen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuweisung verschiedener Farbtöne (Farben) zu jedem mono-chromatischen (Graustufen-) Bild, das einem einzelnen Filter zugeordnet ist. In diesem Fall sind die zugewiesenen Farben:
- Blau: F115W + F150W Grün: F277W Rot: F356W + F444W
Über das Bild: Ein Team von Wissenschaftlern hat mit dem James-Webb-Weltraumteleskop der NASA einen außer-gewöhnlich hellen Gammastrahlenausbruch, GRB 230307A, und die damit verbundene Kilonova beobachtet. Kilonovae – eine Explosion, die von einem Neutronenstern erzeugt wird, der entweder mit einem Schwarzen Loch oder einem anderen Neutronenstern verschmilzt – sind extrem selten, was es schwierig macht, diese Ereignisse zu beobachten. Die hoch-empfindlichen Infrarotfähigkeiten von Webb halfen den Wissenschaftlern, die Heimatadresse der beiden Neutronensterne zu ermitteln, die die Kilonova erzeugten.
Dieses Bild des Webb-Instruments NIRCam (Nahinfrarotkamera) zeigt die Kilonova von GRB 230307A und ihre ehemalige Heimatgalaxie inmitten ihrer lokalen Umgebung aus anderen Galaxien und Vordergrundsternen. Die Neutronensterne wurden aus ihrer Heimatgalaxie herausgeschleudert und legten eine Strecke von etwa 120.000 Lichtjahren zurück, was in etwa dem Durchmesser der Milchstraße entspricht, bevor sie schließlich einige hundert Millionen Jahre später ver-schmolzen.
Kilonova-Emissionsspektrum
- Fast Facts
- Objekt
- Objektname(n): GRB 230307A
- Rektaszension: 04:03:26.01
- Deklination: -75:22:42.78
- Sternbild: Mensa
- Daten
- Instrument: NIRSpec
Über das Bild: Diese Grafik vergleicht die Spektraldaten der Kilonova von GRB 230307A, wie sie vom James-Webb-Weltraumteleskop beobachtet wurden, mit einem Kilonova-Modell. Beide zeigen einen deutlichen Peak in der Region des Spektrums, die mit Tellur in Verbindung gebracht wird, wobei der Bereich rot schattiert ist. Der Nachweis von Tellur, das auf der Erde seltener ist als Platin, ist der erste direkte Blick von Webb auf ein einzelnes schweres Element aus einer Kilo-nova.
Obwohl Astronomen die Theorie aufgestellt haben, daß Neutronensternverschmelzungen die ideale Umgebung für die Entstehung chemischer Elemente sind, einschließlich einiger, die für das Leben essenziell sind, sind diese explosiven Ereignisse – bekannt als Kilonovae – selten und schnell. Webb’s NIRSpec (Nahinfrarot-Spektrograph) nahm ein Spektrum der Kilonova GRB 230307A auf und half den Wissenschaftlern, Beweise für die Synthese schwerer Elemente aus Neutronensternverschmelzungen zu sichern.
Dank der außergewöhnlichen Fähigkeit von Webb, weiter ins All zu blicken als je zuvor, erwarten die Astronomen, noch mehr Kilonovae zu finden und weitere Beweise für die Entstehung schwerer Elemente zu sammeln.
Kilonova und Wirtsgalaxie (NIRCam Kompass-Ansicht)
- Fast Facts
- Objekt
- Objektname(n): GRB 230307A
- Objektbeschreibung: Gammastrahlenausbruch von zwei kollidierenden Neutronensternen
- Rektaszension: 04:03:26.01
- Deklination: -75:22:42.78
- Sternbild: Mensa
- Abmessungen: Das Bild hat einen Durchmesser von etwa 1,3 Bogenminuten
- Daten
- Instrument: NIRCam
- Filter: F115W, F150W, F277W, F356W, F444W
- Bild
- Farbinformation: Dieses Bild ist ein Komposit aus Einzelbelichtungen, die vom James-Webb-Weltraumteleskop mit dem NIRCam-Instrument aufgenommen wurden. Es wurden mehrere Filter verwendet, um einen breiten Wellenlängen-bereich zu erfassen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuweisung verschiedener Farbtöne (Farben) zu jedem mono-chromatischen (Graustufen-) Bild, das einem einzelnen Filter zugeordnet ist. In diesem Fall sind die zugewiesenen Farben:
- Blau: F115W + F150W Grün: F277W Rot: F356W + F444W
Über das Bild: Ein Bild der Kilonova GRB 230307A und der ehemaligen Heimatgalaxie der Neutronensterne, aufge-nommen von Webb’s NIRCam (Nahinfrarotkamera), mit Kompasspfeilen, einem Maßstabsbalken und einem Farbschlüssel als Referenz.
Die Kompasspfeile nach Norden und Osten zeigen die Ausrichtung des Bildes am Himmel an. Beachten Sie, daß die Beziehung zwischen Norden und Osten am Himmel (von unten gesehen) im Vergleich zu den Richtungspfeilen auf einer Karte des Bodens (von oben gesehen) umgekehrt ist.
Die Skala ist in Bogensekunden angegeben, ein Maß für die Winkelentfernung am Himmel. Eine Bogensekunde entspricht 1/3600 eines Bogengrads. (Der Vollmond hat einen Winkeldurchmesser von etwa 0,5 Grad.) Die tatsächliche Größe eines Objekts, das eine Bogensekunde am Himmel bedeckt, hängt von seiner Entfernung zum Teleskop ab.
Dieses Bild zeigt unsichtbare Nahinfrarot-Wellenlängen, die in Farben des sichtbaren Lichts umgewandelt wurden. Der Farbschlüssel zeigt, welche NIRCam-Filter bei der Erfassung des Lichts verwendet wurden. Die Farbe jedes Filternamens ist die Farbe des sichtbaren Lichts, die verwendet wird, um das infrarote Licht darzustellen, das durch diesen Filter gelangt.